Sportliches Glück gegen den Schatten des Krieges
Paralympics in Peking enden mit einem deutschen Erfolg – Unmut über Gastgeber China
(dpa) - So viele verschiedene Emotionen hat Friedhelm Julius Beucher selten erlebt. Und solch seltsame Paralympics schon gleich gar nicht. Deshalb muss der 75-Jährige auch ungewöhnlich lange überlegen, wie er das Fazit der Winterspiele in Peking in einem Satz zusammenfasst. „Mit Freude über die sportlichen Erfolge, aber auch mit sehr viel Nachdenklichkeit verlassen wir China“, sagt der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) schließlich.
Der überlagernden Trauer durch den Ukraine-Krieg, dem Frust über das Leben in der rigorosen CoronaBlase und dem Ärger über Ausrichter China mit schwierigen Transporten, Verboten von Friedensbotschaften und teilweise wohl zweifelhaft klassifizierten Sportlern steht aus deutscher Sicht ein erfreuliches Abschneiden mit vielen Emotionen gegenüber. „Ich bin unwahrscheinlich glücklich und euphorisiert über das Abschneiden“, sagt Beucher. Mit einem nach Rücktritten, Krankheiten und Verletzungen dezimierten Team, das mit geringggen Erwartungen angetreten war, holte der DBS mit 19 Medaillen so viele wie vor vier Jahren in Pyeongchang, wenn auch weniger Gold. Mit Rang sieben im Medaillenspiegel wurde das Ziel Top Ten erreicht. „Wir feiern hier eigentlich jeden Tag eine Medaillenparty, Herr Bundeskanzler“, verriet Snow-boarder Matthias Keller in einer Videoschalte Bundeskanzler Olaf Scholz.
„Das haben wir im Ansatz nicht erwartet und auch nicht erwarten können“, sagt Beucher. „Vor allem gab es viele schöne Medaillen.“Neben der erneuten Doppel-Paralympicssiegerin Anna-Lena Forster aus Radolfzell, die am Skihang die hohen Erwartungen erfüllte und nach ihrem Sieg in der Kombination am Samstag im Slalom zur zweiten Goldmedaille raste, holten die erst 15 Jahre alte Linn Kazmaier im Langlauf und die 18 Jahre alte Abschlussfahnenträgerin Leonie Walter im Biathlon Gold. „Das Schwarzwaldmädel und das Schwabenmädel aus der ,Küken-WG’ haben eine sensationelle Geschichte geschrieben“, sagt Beucher lachend. „Sie sollten nur Erfahrungen sammeln. Und dann sammeln sie gleich Erfahrung beim Medaillenabgreifen. Ich hoffe, dass sie eine Leuchtkraft entwickeln, die uns hilft, Nachwuchs zu generieren.“
Während die Youngsters ihre Erfolge gelassen genossen, flossen auch viele Tränen. So bei Andrea Rothfuss, die nach Bronze im Riesenslalom unerwartet auch von ihren fünften Spielen mit einer Medaille zurückkehrte und diese emotional sogar über Slalom-Gold von 2014 stellte. Oder bei Eröffnungsfahnenträger Martin Fleig, der seine Karriere beendete und nach Gold 2018 diesmal im 10-KilometerBiathlonrennen Silber holte.
Vieles um den Sport herum verlief jedoch betrüblich. Während die vom Krieg geplagten Ukrainer als Zweite im Medaillenspiegel erfolgreich waren und vielerorts bejubelt wurden, wurden zahlreiche Friedenssignale gestoppt und verhindert. Laut Beucher nicht vom Internationalen Paralympischen Komitee (IPC), sondern vom Organisationskomitee (OCOG). „Das OCOG hat mehr Einfluss auf die Ukrainer genommen als es dem IPC lieb war“, sagt er vorsichtig.
Dennoch fand IPC-Präsident Andrew Parsons in seiner Rede bei der
Abschlussfeier im Pekinger „Vogelnest“ausschließlich positive Worte für die Gastgeber. Er dankte den Organisatoren für „atemberaubende, sichere und spektakuläre Spiele“. China habe „Maßstäbe für alle zukünftigen Winterspiele gesetzt“und sei nun „ein paralympisches Wintersport-Powerhouse“, sagte der Brasilianer.
Obwohl Parsons zum Abschluss deutlich weniger politische Anspielungen machte als noch bei der Eröffnung vor zehn Tagen, bei der er seiner Empörung über den Ukraine-Krieg Luft gemacht hatte, wurde seine Rede bei der Übersetzung des chinesischen Staatsfernsehens erneut zensiert, indem umschrieben und das Wort „Frieden“vermieden wurde.
Unstrittig ist derweil, dass die strikten Corona-Maßnahmen wie schon bei den Olympischen Spielen wirkten. Nach einer offiziellen Erhebung wurden bis einschließlich Samstag während der Spiele 519 486 Tests entnommen. Davon waren sechs positiv, davon fünf Athleten oder Offizielle. Der fade Beigeschmack bleibt dennoch.