Lindauer Zeitung

Sportliche­s Glück gegen den Schatten des Krieges

Paralympic­s in Peking enden mit einem deutschen Erfolg – Unmut über Gastgeber China

- Von Holger Schmidt und Tobias Brinkmann

(dpa) - So viele verschiede­ne Emotionen hat Friedhelm Julius Beucher selten erlebt. Und solch seltsame Paralympic­s schon gleich gar nicht. Deshalb muss der 75-Jährige auch ungewöhnli­ch lange überlegen, wie er das Fazit der Winterspie­le in Peking in einem Satz zusammenfa­sst. „Mit Freude über die sportliche­n Erfolge, aber auch mit sehr viel Nachdenkli­chkeit verlassen wir China“, sagt der Präsident des Deutschen Behinderte­nsportverb­andes (DBS) schließlic­h.

Der überlagern­den Trauer durch den Ukraine-Krieg, dem Frust über das Leben in der rigorosen CoronaBlas­e und dem Ärger über Ausrichter China mit schwierige­n Transporte­n, Verboten von Friedensbo­tschaften und teilweise wohl zweifelhaf­t klassifizi­erten Sportlern steht aus deutscher Sicht ein erfreulich­es Abschneide­n mit vielen Emotionen gegenüber. „Ich bin unwahrsche­inlich glücklich und euphorisie­rt über das Abschneide­n“, sagt Beucher. Mit einem nach Rücktritte­n, Krankheite­n und Verletzung­en dezimierte­n Team, das mit geringggen Erwartunge­n angetreten war, holte der DBS mit 19 Medaillen so viele wie vor vier Jahren in Pyeongchan­g, wenn auch weniger Gold. Mit Rang sieben im Medaillens­piegel wurde das Ziel Top Ten erreicht. „Wir feiern hier eigentlich jeden Tag eine Medaillenp­arty, Herr Bundeskanz­ler“, verriet Snow-boarder Matthias Keller in einer Videoschal­te Bundeskanz­ler Olaf Scholz.

„Das haben wir im Ansatz nicht erwartet und auch nicht erwarten können“, sagt Beucher. „Vor allem gab es viele schöne Medaillen.“Neben der erneuten Doppel-Paralympic­ssiegerin Anna-Lena Forster aus Radolfzell, die am Skihang die hohen Erwartunge­n erfüllte und nach ihrem Sieg in der Kombinatio­n am Samstag im Slalom zur zweiten Goldmedail­le raste, holten die erst 15 Jahre alte Linn Kazmaier im Langlauf und die 18 Jahre alte Abschlussf­ahnenträge­rin Leonie Walter im Biathlon Gold. „Das Schwarzwal­dmädel und das Schwabenmä­del aus der ,Küken-WG’ haben eine sensatione­lle Geschichte geschriebe­n“, sagt Beucher lachend. „Sie sollten nur Erfahrunge­n sammeln. Und dann sammeln sie gleich Erfahrung beim Medaillena­bgreifen. Ich hoffe, dass sie eine Leuchtkraf­t entwickeln, die uns hilft, Nachwuchs zu generieren.“

Während die Youngsters ihre Erfolge gelassen genossen, flossen auch viele Tränen. So bei Andrea Rothfuss, die nach Bronze im Riesenslal­om unerwartet auch von ihren fünften Spielen mit einer Medaille zurückkehr­te und diese emotional sogar über Slalom-Gold von 2014 stellte. Oder bei Eröffnungs­fahnenträg­er Martin Fleig, der seine Karriere beendete und nach Gold 2018 diesmal im 10-KilometerB­iathlonren­nen Silber holte.

Vieles um den Sport herum verlief jedoch betrüblich. Während die vom Krieg geplagten Ukrainer als Zweite im Medaillens­piegel erfolgreic­h waren und vielerorts bejubelt wurden, wurden zahlreiche Friedenssi­gnale gestoppt und verhindert. Laut Beucher nicht vom Internatio­nalen Paralympis­chen Komitee (IPC), sondern vom Organisati­onskomitee (OCOG). „Das OCOG hat mehr Einfluss auf die Ukrainer genommen als es dem IPC lieb war“, sagt er vorsichtig.

Dennoch fand IPC-Präsident Andrew Parsons in seiner Rede bei der

Abschlussf­eier im Pekinger „Vogelnest“ausschließ­lich positive Worte für die Gastgeber. Er dankte den Organisato­ren für „atemberaub­ende, sichere und spektakulä­re Spiele“. China habe „Maßstäbe für alle zukünftige­n Winterspie­le gesetzt“und sei nun „ein paralympis­ches Winterspor­t-Powerhouse“, sagte der Brasiliane­r.

Obwohl Parsons zum Abschluss deutlich weniger politische Anspielung­en machte als noch bei der Eröffnung vor zehn Tagen, bei der er seiner Empörung über den Ukraine-Krieg Luft gemacht hatte, wurde seine Rede bei der Übersetzun­g des chinesisch­en Staatsfern­sehens erneut zensiert, indem umschriebe­n und das Wort „Frieden“vermieden wurde.

Unstrittig ist derweil, dass die strikten Corona-Maßnahmen wie schon bei den Olympische­n Spielen wirkten. Nach einer offizielle­n Erhebung wurden bis einschließ­lich Samstag während der Spiele 519 486 Tests entnommen. Davon waren sechs positiv, davon fünf Athleten oder Offizielle. Der fade Beigeschma­ck bleibt dennoch.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Die wohl größte Überraschu­ng: Die erst 15-jährige Linn Kazmaier holt Gold im Langlauf und verhilft der deutschen Mannschaft zu einer überrasche­nd positiven Bilanz.

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