Nato-Truppen verlegen, schützen und versorgen
Das Ulmer Kommando des Bündnisses ist in der Ukraine-Krise täglich gefragt – Befehlshaber geht in Ruhestand
- In Dienst gestellt im September 2021, stark gefragt seit Beginn der Ukraine-Krise im Spätherbst 2021, seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine jeden Tag im Kontakt mit dem Nato-Oberbefehlshaber, dem US-General Tod Wolters: 270 Soldatinnen und Soldaten, die im Ulmer Nato-Kommando mit dem sperrigen Namen „Joint Support and Enabling Command“arbeiten, beraten derzeit umfassend in allen Fragen, die die mögliche Verlegung, den Schutz, die Ausbildung, die Versorgung oder Unterbringung großer Truppenteile betreffen. „Wir betrachten diese Fragen in einem 360-Grad-Modus, das heißt aus allen Blickwinkeln“, sagt Generalleutnant Jürgen Knappe, unter dessen Leitung das Kommando seit 2018 aufgebaut worden ist, in seinem letzten Pressegespräch als Befehlshaber. Am 31. März tritt der 65Jährige in den Ruhestand, am Donnerstag übergibt er den Befehl über das JSEC an seinen Nachfolger, Generalleutnant Alexander Sollfrank.
Das JSEC hat gerade noch rechtzeitig vor der Eskalation der Ukraine-Krise seine Einsatzbereitschaft gemeldet, sind sich Beobachter in Berlin, Ulm und Brüssel einig. Die Verantwortung erstreckt sich von Grönland bis nach Afrika, auf ganz Europa und dessen Randmeere.
Erst im Februar 2018 hatten die Verteidigungsminister der Nato einen Vorschlag zur Anpassung der Kommandostruktur verabschiedet. „Bis dahin hatte das Bündnis keine gebündelte Expertise und keine Struktur, um im Bündnisfall Truppenund Materialtransporte innerhalb Europas zu organisieren und ihren Schutz zu koordinieren“, sagt Knappe.
Als Reaktion auf den Krieg sind mittlerweile mehrere Hunderttausend Soldaten aus den Bündnisstaaten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt wurden. Darunter sind 100 000 US-Soldaten in Europa und rund 40 000 Soldaten unter direktem
Nato-Kommando. Dass die multinationale Truppe in der Wilhelmsburgkaserne jetzt täglich vor der Aufgabe steht, mögliche Verkehrsrouten für schweres Gerät zu planen, das Know-how für Zollformalitäten zu erarbeiten oder mit Transitländern Vorfahrtsrechte für militärische Züge auszuhandeln, hätte Knappe sich nicht vorstellen können, als er 2018 in Ulm antrat: „Und es ist etwas anderes, ob wir im Stab den täglichen Wetterbericht für Europa ohne konkretes Szenario betrachten oder ob wir damit rechnen müssen, tatsächlich in Aktion zu treten.“Die Anspannung
sei zu spüren, schildert Knappe. Ein anderes Beispiel: Die Beobachtung von Flüchtlingsströmen, die von Ost nach West unterwegs sind. Denn sie könnten Straßen und damit Nachschubwege verstopfen. Es gehört für Knappes Stab dazu, diese Entwicklungen ins tägliche Lagebild einfließen zu lassen.
Während im JSEC-Stab die Soldaten am PC und an der Karte planen, bereiten sich wenige Meter weiter Militärs ganz praktisch auf einen möglichen Einsatz der Nato Response Force (NRF), der Eingreiftruppe des Bündnisses vor: „Wir stellen den deutschen NRF-Anteilen den Gefechtsstand zur Verfügung“, erklärt Knappe. Innerhalb von sieben Tagen ist das Ulmer Team marschbereit, drei Stunden nach Ankunft am Einsatzort können die ersten Soldaten Führungsaufgaben übernehmen.
Generalleutnant Jürgen Knappe übergibt das Kommando, wie er sagt, zur richtigen Zeit: „Die Strukturen sind geschaffen.“Im Brüsseler Hauptquartier findet Knappes Leistung Anerkennung und Lob: Das JSEC könne in diesen Krisenzeiten militärische Kräfte in der richtigen Stärke mit der richtigen Ausrüstung zur richtigen Zeit an den richtigen Ort bringen, ihre Sicherheit und Bewegungsfreiheit garantieren, sagt Nato-Sprecher Piers Cazalet im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, zum Abschied des Befehshabers: „Die Nato dankt dem General!“