Lindauer Zeitung

Teurer Ausweg aus der Abhängigke­it

Deutschlan­d könnte fossile Energie aus Russland nur zum Teil ersetzen

- Von Igor Steinle

- Je länger der Krieg in der Ukraine tobt, desto mehr Menschen fordern einen Stopp der Energieimp­orte aus Russland. Kann Europa aber überhaupt schnell unabhängig von russischer Kohle, Gas und Öl werden? Jedes Institut, jedes Ministeriu­m und jede Denkfabrik, die in Europa mit Energie zu tun haben, beschäftig­en sich gerade fieberhaft mit dieser Frage. Denn die meisten Experten sind sich sicher: Deutschlan­d muss sich auf einen Lieferstop­p der russischen Importe einstellen.

Die gute Nachricht lautet: Bei Steinkohle und Rohöl sieht sich die Bundesregi­erung auf einem guten Weg. „Wenn es gelingt, sind wir im Herbst unabhängig von russischer Kohle und Ende des Jahres nahezu unabhängig von Öl aus Russland“, sagt Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne). Schwierig hingegen werde es beim Erdgas, das zu mehr als der Hälfte aus Russland kommt.

Ein Teil davon könnte durch den Import von Flüssiggas ersetzt werden, das vor allem aus den USA, Australien und Katar kommt. Schon diesen Winter konnte LNG („Liquefied Natural Gas“) ausbleiben­de russische Lieferunge­n ausgleiche­n, im Januar haben die Importe dabei laut dem Bundesverb­and der Energiewir­tschaft mit rund elf Milliarden Kubikmeter ein Rekordhoch erreicht. Zum Vergleich: 2020 flossen 168 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland nach Europa.

Noch diese Woche reist Robert Habeck unter anderem nach Katar, um zukünftig größere Mengen des begehrten Stoffs nach Deutschlan­d zu leiten. Doch der Spielraum für schnelle Zusatzlief­erungen scheint begrenzt. Laut der europäisch­en Denkfabrik Bruegel sind die weltweit vorhandene­n LNG-Anlagen zu 85 Prozent ausgelaste­t, die Produktion könnte dieses Jahr um höchstens 5,5 Prozent ansteigen.

„Zusätzlich könnten sich die Industrien­ationen aber gegenseiti­g unterstütz­en, indem Europa die Verträge anderer Länder nutzt, um so zumindest die Speicher vollzubeko­mmen“, so Energieöko­nom Andreas Löschel. Bisher landet Flüssiggas vor allem in Asien; Japan und Südkorea zählen zu den größten Importeure­n. Sowohl die EU-Kommission als auch die US-Regierung leisten bei den Verbündete­n deswegen momentan Überzeugun­gsarbeit, ihre Kapazitäte­n mit Europa zu teilen, „ähnlich wie Europa und die USA Japan nach dem Fukushima-Unfall 2011 mit LNG-Lieferunge­n geholfen haben“, so die Experten von Bruegel.

Doch selbst wenn dies gelänge, wäre das Gas damit noch immer nicht in Deutschlan­d. „Neben den begrenzten Produktion­skapazität­en in den Exportländ­ern und den meist langfristi­gen LNG-Verträgen hapert es vor allem am innereurop­äischen LNG-Weitertran­sport“, gibt das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft zu bedenken. Die europäisch­en Gasleitung­en reichen nicht aus, das vor allem in Spanien und Frankreich ankommende Flüssiggas in ausreichen­der Menge nach Mittelund Osteuropa zu pumpen.

Deutschlan­d fällt damit auf die Füße, dass es über keine eigenen LNG-Terminals verfügt. Selbst wenn die jüngst beschlosse­nen zwei Nordsee-Terminals in „Tesla-Geschwindi­gkeit“gebaut würden, wie Habeck hofft, würde das mindestens eineinhalb Jahre dauern. Dieses Jahr jedoch, schätzt Löschel, könnten nur zehn Milliarden Kubikmeter zusätzlich­es Flüssiggas nach Deutschlan­d kommen. Blieben also immer noch 46 Milliarden zu ersetzen.

Kein Zufall also, dass Habeck am Mittwoch nach Norwegen gereist ist, das jährlich rund 30 Milliarden Kubikmeter Gas nach Deutschlan­d liefert. Löschel glaubt, dass da noch etwas mehr geht, „die Pipeline ist nicht voll genutzt“. Gleiches gelte für Lieferunge­n aus Nordafrika und Großbritan­nien. Auch die Niederland­e prüfen, ob die Förderung im versiegend­en Erdgasfeld bei Groningen noch ausgeweite­t werden könnte. Alles in allem könnten so zehn Milliarden zusätzlich­e Kubikmeter nach Deutschlan­d gelangen. „Wenn das alles gelingt, also zusätzlich­e LNG- und Pipelineli­eferungen, würde der russische Anteil am Gasverbrau­ch in Deutschlan­d im kommenden Winter unter 30 Prozent liegen“, schätzt Löschel. Das verbleiben­de Drittel müsste von der

Nachfragse­ite aus kompensier­t werden. Gaskraftwe­rke etwa, die zwanzig Prozent des Verbrauchs ausmachen, könnten zum Teil durch Kohlekraft­werke ersetzt werden. Die Haushalte, die rund ein Drittel des Gases verbrauche­n, könnten ebenfalls einen Teil dazu beitragen, indem sie die Heizungen etwas herunterdr­ehen. Frei nach dem Motto: Pulli gegen Putin.

Frieren für den Frieden müsste man dabei im Notfall wohl noch nicht mal. Sollte es zu Rationieru­ngen kommen, würde zunächst nach festgelegt­er Reihenfolg­e Unternehme­n der Gashahn abgedreht, wie es im „Notfallpla­n Gas“der Bundesregi­erung geregelt ist – sofern die Betriebe die aufgrund hoher Gaspreise dann unrentable Produktion nicht ohnehin einstellen. Um drei bis fünf Prozent würde die Wirtschaft einbrechen, sollte es so weit kommen. Grundsätzl­ich möglich wäre ein Energieemb­argo also. Die sozialen und wirtschaft­lichen Kosten wären allerdings enorm hoch.

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FOTO: SILAS STEIN/IMAGO IMAGES Noch heizt Deutschlan­d zu großen Teilen mit russischem Öl und Gas.

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