Lindauer Zeitung

Neues Erdbeben weckt böse Erinnerung­en

Wieder eine Tsunami-Warnung in Fukushima – Erschütter­ungen bis Tokio zu spüren

- Von Lars Nicolaysen

(dpa) - Fast genau elf Jahre nach der verheerend­en Katastroph­e und dem Atomunfall wird die Region im Nordosten Japans erneut von starken Beben heimgesuch­t. Wieder wird den Japanern bewusst: Sie leben auf einem Pulverfass.

Ein starkes Erdbeben hat am späten Mittwochab­end (Ortszeit) die Region um die Atomruine von Fukushima erschütter­t. Japans meteorolog­ische Behörde gab eine Warnung vor einem Tsunami von bis zu einem Meter Höhe für die Pazifikküs­te der Präfekture­n Fukushima und Miyagi aus. Nach Angaben des Betreibers kam es in dem früheren Atomkraftw­erk zu keinen weiteren Unregelmäß­igkeiten. Auch im 250 Kilometer entfernten Großraum Tokio gerieten Gebäude beängstige­nd lang anhaltend ins Schwanken.

Berichte über größere Schäden lagen zunächst nicht vor, laut der Nachrichte­nagentur Kyodo mussten in der Region Fukushima aber zahlreiche Menschen in Krankenhäu­ser gebracht werden. In zwei Millionen Haushalten fiel vorübergeh­end der Strom aus. Der Betrieb von Hochgeschw­indigkeits­zügen wurde – wie in solchen Fällen üblich – automatisc­h gestoppt, Straßen im Nordosten gesperrt.

Das lang anhaltende Beben der Stärke 7,3 ereignete sich fast auf den Tag genau elf Jahre, nachdem die Region im Nordosten des asiatische­n Inselreich­es von einem verheerend­en Erdbeben der Stärke 9 und einem dadurch ausgelöste­n gewaltigen Tsunami verwüstet wurde und es im Atomkraftw­erk Fukushima Daiichi zu Kernschmel­zen kam. Eine solche Katastroph­e blieb den Inselbewoh­nern diesmal glückliche­rweise erspart.

Viele Japaner waren bereits schlafen gegangen, als kurz vor Mitternach­t plötzlich die Wände schwankten. Kurz darauf erfolgte die Tsunami-Warnung. Die Regierung in Tokio richtete sofort einen Notfallsta­b ein. Nach ersten Informatio­nen des Deutschen Geoforschu­ngszentrum­s GFZ lag das Erdbeben in einer Tiefe von 50 Kilometern im Meer.

Das neue Beben zeigte den Inselbewoh­nern erneut, welche Gefahren auf sie lauern. Starke Erdbeben können jederzeit kommen. Irgendwann, das fürchten viele, wird ein schweres Erdbeben auch Tokio treffen. Japan ist eines der am stärksten von Erdbeben bedrohten Länder der Welt.

Am 11. März 2011 hatte sich eine gigantisch­e Flutwelle an der Pazifikküs­te aufgebäumt und alles niedergewa­lzt: Städte, Dörfer und riesige Anbaufläch­en versanken in den

Wasser- und Schlammmas­sen. Rund 20 000 Menschen riss die Flut damals in den Tod.

In Fukushima kam es damals in der Folge des starken Erdbebens und Tsunamis im Atomkraftw­erk Fukushima Daiichi zu einem GAU. Er wurde in aller Welt zum Sinnbild der „3/11“genannten Dreifachka­tastrophe – auch wenn keiner der Todesfälle auf die Strahlung zurückgefü­hrt wird.

Panik kam unter der einheimisc­hen Bevölkerun­g auch diesmal nicht auf. Was im Westen gelegentli­ch als Gleichmut missversta­nden wird, ist tatsächlic­h Gefassthei­t und Durchhalte­willen, mit der junge und alte Japaner Naturgewal­ten wie dieser begegnen. Die Erkenntnis, dass man sich letztlich nur damit abfinden kann, auf einem Pulverfass zu leben, hat bei den Inselbewoh­nern zu außergewöh­nlicher Ausdauer in Krisen geführt.

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