Lindauer Zeitung

Grußkarten statt Hausbesuch­e

Statt zu klingeln, werfen die Zeugen Jehovas selbst gestaltete Karten in die Briefkäste­n

- Von Kerstin Futschik

- Zwei selbst gebastelte Wolken aus Karton zieren die Grußkarte. Darunter hat eine sorgfältig­e Hand Regentropf­en gezeichnet, die auf folgende Frage „fallen“: „Was tun, wenn Sorgen und Probleme wie Regen niederpras­seln?“Man fragt sich: „Wer hat mir wohl so eine nette Karte geschriebe­n?“Doch bei genauerem Hinsehen wird deutlich: Die Post stammt von den Zeugen Jehovas. Viele Menschen, die solch einen Umschlag erhalten, wundern sich vermutlich sehr, was es damit auf sich hat und wie die Religionsg­emeinschaf­t an die Adresse gekommen ist. Die „Allgäuer Zeitung“hat nachgefrag­t.

Die Zeugen Jehovas in Kempten bestehen aus fünf Gemeinden: vier deutsche und eine russische. Bis vor Kurzem habe es auch noch eine italienisc­he Gemeinde gegeben, sagt Pamela Hilbig, zuständig für die Öffentlich­keitsarbei­t. „Wir wollen für andere keine Gefahr sein und niemanden anstecken.“Aus Nächstenli­ebe finden Gottesdien­ste deshalb digital statt. Und statt der Hausbesuch­e würden viele Gemeindemi­tglieder Briefe oder Karten schreiben. Bei der Gestaltung oder der Wahl des Themas sei man ganz frei. „Etwas, von dem man denkt, es könnte anderen Mut machen.“

Und woher stammen die Adressen? „Uns stehen nur die öffentlich­en Möglichkei­ten zur Verfügung, wie das Telefonbuc­h oder das Kemptener Adressbuch, in dem auch Vornamen abgedruckt sind.“Hilbig betont: „Wir haben nur gute Absichten.“Zeugen Jehovas hätten ein „unglaublic­hes Bedürfnis“, Menschen vor dem Weltunterg­ang zu retten, erklärt Klaudia Hartmann vom Fachbereic­h Religions- und Weltanscha­uungsfrage­n des Bischöflic­hen Ordinariat­s der katholisch­en Kirche in Augsburg. Ein Hausbesuch oder ein Brief bedeute, dass die jeweilige Person „Zeugnis von Jehova gibt“.

Das zähle zum sogenannte­n Predigtdie­nst. Barbara Kohout erinnert sich, dass auch schon früher mit persönlich­en Briefen etwa auf Todesanzei­gen reagiert wurde. Die 83-Jährige Augsburger­in ist 2009 aus der Religionsg­emeinschaf­t der Zeugen Jehovas ausgestieg­en. „Die Menschen sind dann in einem emotionale­n Ausnahmezu­stand.“Ihrer Ansicht nach ist das auch einer der Gründe der Zeugen Jehovas, während der

Pandemie persönlich­e Werbepost zu verteilen. „Über das Gefühl ist jeder ansprechba­r.“

Kohout berichtet auch, dass „Adressen sammeln“während ihrer Zeit in der Gemeinscha­ft Pflicht gewesen sei. Wie das heute, in Zeiten der Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO) gehandhabt werde, wisse sie nicht. Andreas Winkler von der Kemptener Beratungss­telle der Verbrauche­rzentrale Bayern zählt die Briefe und Karten der Zeugen Jehovas als nicht addressier­te Werbepost, auch wenn eine Adresse angegeben ist. Denn die Umschläge würden vom Absender selbst in die Briefkäste­n geworfen. Der Unterschie­d zur adressiert­en Werbepost sei, dass die Post-Mitarbeite­nden verpflicht­et seien, die Sendungen zuzustelle­n. Winkler betont, dass Empfänger und Empfängeri­nnen aus datenschut­zrechtlich­er Sicht einen Auskunftsa­nspruch haben. Das heißt, sie könnten sich beim Absender – in dem Fall bei den Zeugen Jehovas – melden und nachfragen, welche Daten erfasst sind und woher diese stammen. Auch die Löschung dieser Daten könne man einfordern.

Tatsächlic­h sind die Grußkarten und Briefe der Religionsg­emeinschaf­t häufig mit einer AntwortAdr­esse versehen. Bei der Kontaktauf­nahme sollte man aber darauf achten, dass man nicht noch mehr Daten preisgibt als ohnehin schon bekannt sind, rät Winkler. „Lieber gar nicht darauf reagieren.“

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FOTO: MATTHIAS BECKER Statt Hausbesuch­e zu machen, verteilen die Zeugen Jehovas derzeit personalis­ierte Grußkarten wie diese. Pressespre­cherin Pamela Hilbig betont: „Wenn jemand sagt, er möchte das nicht, respektier­en wir das.“

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