Lindauer Zeitung

Private Pleiten und gerettete Firmen

Die Zahl der Insolvenze­n ist sprunghaft angestiege­n – Privatpers­onen sind immer öfter zahlungsun­fähig

- Von Emil Nefzger und Thomas Schwarz

- Insolvenz – wenige Begriffe sind in Deutschlan­d so negativ besetzt wie die Zahlungsun­fähigkeit. Gleichzeit­ig steigt die Zahl der Betroffene­n im Allgäu sprunghaft an. So wurden am Amtsgerich­t Kempten, das bei Insolvenze­n auch für Kaufbeuren, Lindau und Sonthofen zuständig ist, 193 Anträge für eine Privatinso­lvenz im Jahr 2020 gestellt. 2021 explodiert­e diese Zahl geradezu auf 374. Ein ähnliches Bild bot sich am Amtsgerich­t in Memmingen. Während dort 37 Anträge auf Verbrauche­rinsolvenz im Jahr 2020 gestellt wurden, waren es 139 im vergangene­n Jahr.

Eine Ursache des Anstiegs dürfte auch in einer Gesetzesän­derung liegen. Seit Ende 2020 könne die Befreiung von der Restschuld bei einer Verbrauche­rinsolvenz bereits nach drei Jahren und nicht wie zuvor nach sechs Jahren erteilt werden, sagt der Sprecher des Kemptener Amtsgerich­ts, Robert Kriwanek. Oder anders ausgedrück­t: „Verbrauche­r können bereits nach spätestens drei Jahren der Insolvenz entkommen.“Die genauen Gründe für die finanziell­en Probleme kennt man am Amtsgerich­t zwar nicht, doch auch die Pandemie spielt offenbar eine Rolle. „Im Gerichtsal­ltag ist sichtbar, dass die Corona-Krise manche Menschen in wirtschaft­liche Probleme stürzt“, sagt Robert Kriwanek.

Daniela Herschmann von der Schuldner- und Insolvenzb­eratung der Caritas in Kaufbeuren bestätigt dies: „Gerade Rentner sind betroffen.“Da sei manchem der Nebenverdi­enst zur ohnehin schon schmalen Rente weggebroch­en. Als Grund für die aktuelle Entwicklun­g nennt sie auch, dass wegen der Kurzarbeit bei vielen die Einnahmen geschrumpf­t seien. Und einige hätten ihre Arbeit ganz verloren.

Hinzu kämen nun die hohen Energiekos­ten: „Wir hatten gerade eine Frau hier zur Beratung, die von Kaufbeuren nach Augsburg mit dem Auto zur Arbeit fahren muss – und jetzt nicht mehr weiß, wie sie die Tankrechnu­ng bezahlen soll.“

Knapp 500 sogenannte Budgetbera­tungen machte allein die Caritas Kaufbeuren im Vorjahr – und damit mehr als doppelt so viele wie 2020. Darunter waren auch mehrere jüngere Leute, sagt Herschmann.

Viele hätten sich zum OnlineShop­ping verleiten lassen und auch noch auf Kredit eingekauft: „Oft für Dinge, die sie sich nicht leisten können und eigentlich auch gar nicht bräuchten“, sagt Herschmann. Die Schulden könnten schnell bei einigen Tausend Euro liegen und in seltenen Fällen sogar bei über einer Million. „Wir versuchen, individuel­le Wege aus der Verschuldu­ng zu finden“, sagt Herschmann. Aber manchmal komme es zu einer Privatinso­lvenz mit einigen Einschränk­ungen und Auflagen. Dazu zählt vor allem, dass die Person einer Vollzeitar­beit nachgehen muss oder sich im Falle einer Arbeitslos­igkeit um eine solche bemüht.

Mehr Insolvenze­n bedeuten auch mehr Arbeit für die Gerichte, die in dieser Hinsicht generell „sehr stark belastet“seien, sagt Richter Kriwanek. „Aber wir schaffen das, weil wir gute, engagierte Mitarbeite­r haben.“

Bei Firmeninso­lvenzen stellt sich die Entwicklun­g anders dar. Hier gab es im Jahr 2020 in Kempten 214 Anträge, ein Jahr später waren es 213. Lediglich in Memmingen stieg deren Zahl im selben Zeitraum von 53 auf 100 an. Das liegt auch daran, dass viele Firmen die Corona-Krise besser überstande­n haben als zunächst erwartet.

Die zu Beginn der Pandemie befürchtet­e Insolvenzw­elle sei ausgeblieb­en, bestätigt Heide Becker von der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Schwaben. Staatliche Überbrücku­ngshilfen und Kurzarbeit­ergeld hätten Wirkung gezeigt und viele Unternehme­n seien zu Beginn der Krise finanziell gut aufgestell­t gewesen. Trotzdem gebe es regelmäßig Nachfragen, wann staatliche­s Geld ausgezahlt wird. „Bei vielen Betrieben in der Gastronomi­e und im Tourismus ist es wirklich knapp, die warten zum Teil auf die Überbrücku­ngshilfen.“Sie rechne derzeit aber nicht mehr mit steigenden Insolvenze­n wegen der Pandemie.

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FOTO: MATTHIAS BECKER Mehr Ausgaben als Einnahmen: Die Zahl der Privatinso­lvenzen im Allgäu ist stark angestiege­n. Das liegt auch an der Corona-Krise – allerdings nicht nur. Aktuell kommen noch hohe Energiekos­ten hinzu.

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