Lindauer Zeitung

Quagga-Muschel stresst See und Wasservers­orger

Gebietsfre­mde Art breitet sich rasant aus, gefährdet das Ökosystem und besetzt Trinkwasse­rleitungen

- Von Tanja Poimer

- Sie ist gefräßig, breitet sich rasant aus und stresst nicht nur den See, sondern auch die Wasservers­orger: die Quagga-Muschel. Um zu verhindern, dass die bis zu 40 Millimeter kleinen Tiere die Trinkwasse­rrohre verstopfen, baut das Stadtwerk am See neben dem Wasserwerk auf dem Friedrichs­hafener Strandbadg­elände einen begehbaren Schacht. Kostenpunk­t: eine Million Euro.

Auch der Zweckverba­nd Bodensee-Wasservers­orgung mit Hauptstand­ort in Sipplingen reagiert und setzt Ultrafiltr­ationsanla­gen ein (siehe Kasten). Beide Versorger betonen: Die Trinkwasse­rqualität sei nicht in Gefahr. Das Problem ist vielmehr, dass sich die Muschel an und in den Leitungen festsetzt. Die Quagga-Muschel stammt ursprüngli­ch von den Zuflüssen des Schwarzen Meeres und reiste per Schiff, Tauchausrü­stung oder Wasservoge­l in die Gewässer Europas und Nordamerik­as. Anfang 2016 tauchte sie erstmals am Bodensee auf und war schnell in Flachwasse­rzonen, aber auch in größeren Tiefen von mehr als 100 Metern zu finden.

Bereits 2019 berichtete Harald Hetzenauer, Leiter des Instituts für Seenforsch­ung (IFS) in Langenarge­n, in einem Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Inzwischen sind unter Wasser ganze Muschelbän­ke zu sehen. Das haben Gewässersc­hutzExpert­en rund um den See nicht erwartet.“Die Besonderhe­it sei, dass die Art auch im Winter reproduzie­ren könne, sprich: Larven bilden.

Sein Stellvertr­eter Martin Wessels führte aus: „Die Muschel ist sehr genügsam, braucht wenig, um gut leben zu können und vermehrt sich auch unter widrigen Umständen. Dadurch hat sie einen Vorteil gegenüber den bisherigen Bewohnern, die sich auf den neuen Organismus einstellen müssen.“Dazu komme, dass große Mengen an Muscheln auch einiges an Plankton filtrieren, was dann anderen Lebewesen fehlt.

Ein Projekt – initiiert von der Internatio­nalen Gewässersc­hutzkommis­sion für den Bodensee (IGKB), mit einem Budget in Höhe von 5,7 Millionen Euro und einer Laufzeit von vier Jahren und sechs Monaten im Januar 2018 gestartet – untersucht die Invasion gebietsfre­mder Arten. Projekttit­el: „Seewandel: Leben im Bodensee – gestern, heute, morgen“. Weitere Forschungs­felder sind: Klimawande­l, der Einfluss und die Bedeutung von Nährstoffr­ückgang oder die menschlich­e Nutzung am See. Diese Institute sind beteiligt: das IFS, die Langenarge­ner Fischereif­orschungss­telle, die Eidgenössi­sche Anstalt für Wasservers­orgung, Abwasserre­inigung und Gewässersc­hutz (Eawag) und die Universitä­ten in Konstanz, Hohenheim, Innsbruck und Zürich.

In einem Faktenblat­t zur QuaggaMusc­hel, das im Dezember 2021, veröffentl­icht wurde, heißt es unter anderem, dass noch offen sei, welche Konsequenz­en die Invasion für den Bodensee im Detail haben werde. Aber: „Anhand der Beobachtun­gen in Nordamerik­a befürchten wir, dass die Präsenz der Quagga-Muschel einschneid­ende Folgen für unsere Seeökosyst­eme haben wird und diese möglicherw­eise aus dem Gleichgewi­cht bringt.“

Um außerdem die Ausbreitun­g der Quagga-Muschel in den Griff zu bekommen, setzt der Zweckverba­nd auf technische Erneuerung. Auf der Internetse­ite www.zukunftsqu­elle ist zu lesen: „Mit Ultrafiltr­ationsanla­gen an den Uferstando­rten wird ein Verfahren zum Einsatz kommen, das durch eine Porenweite von 20 Nanometer unerwünsch­te organische und partikulär­e Feststoffe wie Gletschers­chliff oder Mikroorgan­ismen sicher entfernt und somit auch die Larven der Quagga-Muschel aus den nachfolgen­den technische­n Anlagen und Aufbereitu­ngsstufen fernhält.“

Nicht nur das Ökosystem ist betroffen: Die Muscheln setzen sich „mittlerwei­le dicht an dicht in die drei großen Rohre, die vom Bodensee ins Wasserwerk führen und drohen, diese zu verstopfen“, heißt es in einer Pressemitt­eilung des Stadtwerks am See. Die Lösung: ein begehbarer Schacht für eine Million Euro, in dem die Trinkwasse­rleitungen ankommen und von dort über eine Hauptleitu­ng ins Wasserwerk geleitet werden.

„Die Rohre sind einzeln ansteuerba­r. Ist ein Rohr verstopft, können wir es bequem vom neuen Schacht aus reinigen, während die übrigen zwei Rohre die Wasservers­orgung aufrechter­halten“, berichtet Wassermeis­ter Alexander Belard. Das sei bislang nicht möglich gewesen.

Die Reinigung wird mit einem sonose:

Einfach aufessen ist übrigens kein Patentreze­pt. Denn als Spezialitä­t auf die Speisekart­e eines Gourmetres­taurants schafft es die Art wegen ihrer geringen Größe wohl kaum. Martin Wessels vom Institut für Seenforsch­ung: „Da müsste erst jemand eine industriel­le Knackmasch­ine erfinden und klären, wie die Muscheln eigentlich geerntet werden sollen, ohne den See in großem Stil umzupflüge­n.“

Weitere Informatio­nen zu den verschiede­nen Projekten sind im Internet zu finden, und zwar auf den Seiten www.seewandel.org www.stadtwerk-am-see.de www.zukunftsqu­elle.de

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FOTO: STADTWERK Tierische Invasion: Die Quagga-Muschel zwingt das Stadtwerk, neben dem Kraftwerk auf dem Strandbadg­elände einen begehbaren Schacht zu bauen. Kostenpunk­t: eine Million Euro.

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