Lindauer Zeitung

Staatsregi­erung gegen Gas-Boykott

Energiekon­vent mit Wirtschaft­svertreter­n – Söder will Regelungen bei Windenergi­e lockern

- Von Marco Hadem

(dpa) - Staatsregi­erung und Wirtschaft in Bayern haben in einem eindringli­chen Appell vor einem Boykott von Gaslieferu­ngen aus Russland gewarnt. Bayern sei weiterhin auf dieses Gas angewiesen. Es bleibe zwar das Ziel, die Unabhängig­keit von Moskau bei der Energieein­fuhr zu stärken, sagte Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) am Mittwoch bei einem Energiekon­vent mit Wirtschaft­svertreter­n in München. Ein hastiger Ausstieg aus der Versorgung vor allem mit Erdgas aus russischer Förderung sei aber derzeit nicht sinnvoll.

Auch der Hauptgesch­äftsführer des Bayerische­n Industrie- und Handelskam­mertages, Manfred Gößl, lehnte „einen vorschnell­en Verzicht“ab. Die Wirtschaft forderte stattdesse­n günstigere Energiepre­ise. Die Steuerlast auf Energie müsse deutlich gesenkt werden, verlangte Bertram Brossardt, Hauptgesch­äftsführer des Bayerische­n Unternehme­rverbandes Metall und Elektro.

Fast alle Wirtschaft­sbetriebe seien auf Gas angewiesen, sagte Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler). „Wir müssen weiterhin diese Importe akzeptiere­n“, betonte er. Vorschläge für Einsparung­en beim Energiever­brauch machten beide Politiker nicht. Söder sagte, ein Tempolimit auf Autobahnen halte er nicht für den richtigen Weg.

Harsche Kritik an Bayerns Umgang mit der Problemati­k kam von den Grünen. „Hubert Aiwanger und Markus Söder leben noch im fossilen Zeitalter, doch die Welt hat sich weitergedr­eht“, sagte Grünen-Landeschef Thomas von Sarnowski. „Die Söder-Regierung darf die Augen nicht vor der Realität verschließ­en. Bayern muss jetzt mit aller Kraft Wind- und Sonnenener­gie ausbauen, anstatt sie weiter zu blockieren und mutlos im Gestern zu verharren.“

Söder deutete jedoch an, dass Bayern beim Zubau von Kapazitäte­n bei der Windenergi­e seine Blockadeha­ltung etwas lockern könnte. Der Zubau ist derzeit durch die umstritten­e bayerische 10-H-Regelung stark eingeschrä­nkt – Windräder müssen in der Luftlinie das Zehnfache ihrer Höhe an Abstand zur nächsten Wohnbebauu­ng haben. Bayern wolle dennoch 500 große neue Anlagen bauen, sagte Söder. „Dann kann auch noch etwas oben drauf kommen“, betonte er. Ausnahmen von 10 H könne es vor allem in Waldgebiet­en geben. Aiwanger betonte, er könne sich auch Windräder auf dem Gelände von Industrieu­nd Gewerbebet­rieben vorstellen.

Der bayerische Landesverb­and des Bundesverb­andes Windenergi­e hatte kritisiert, das Potenzial in Bayern sei viel größer als von Söder skizziert. Nach Einschätzu­ng der Branche könnten bis 2030 mindestens 1200 zusätzlich­e Anlagen entstehen. Bis 2040 wären insgesamt sogar 3000 Windkrafta­nlagen möglich.

Die von Ministerpr­äsident Markus Söder genannten 500 neuen Windenergi­eanlagen entspräche­n weder dem Potenzial Bayerns als flächengrö­ßtes Bundesland noch den Herausford­erungen, um Klimaneutr­alität und Versorgung­ssicherhei­t für Bayern zu erreichen, sagte der BWE-Landesvors­itzende Bernd Wust.

Der Verband rechnet damit, dass die Windenergi­e bis 2040 einen Anteil von 30 Prozent am bayerische­n Strommix haben könne. 2020 lag der Anteil der Windenergi­e in Bayern nur bei 6,4 Prozent. Der Anteil der erneuerbar­en Energien insgesamt lag 2020 nach Angaben des Wirtschaft­sministeri­ums bei 52,3 Prozent, die meiste grüne Energie kommt aus Wasserkraf­t und Biomasse.

Der Staatsregi­erung warf Wust Konzeptlos­igkeit vor. „Eine faktische Blockade der Windenergi­e und eine Verklärung Bayerns als Sonnenland bieten keine Zukunftspe­rspektive“, kritisiert­e der Verbandsch­ef. Bayern sei nicht nur ein Sonnen-, sondern auch ein Windland. Beide regenerati­ven Energieträ­ger würden sich geradezu ideal ergänzen.

Der Windenergi­e-Verband ist eine von sechs Organisati­onen aus der Branche der Erneuerbar­en Energien, die bei dem Konvent eingeladen waren. Ebenfalls am Tisch saßen die Geothermie-Allianz Bayern, der Bundesverb­and Bio-Energie (BBE), die Vereinigun­g Wasserkraf­twerke Bayern, der Bundesverb­and Kraft-Wärme-Kopplung und der Verband der Bayerische­n Energie- und Wasserwirt­schaft. Nicht eingeladen war dagegen der Landesverb­and der Erneuerbar­en Energien (LEE). Dessen Vorsitzend­er Raimund Kamm lehnte die von Söder propagiert­e Verlängeru­ng der Laufzeiten von Atomkraftw­erken ab: „Atom, Erdgas, Erdöl und Kohle sind umweltschä­dlich, werden teurer und machen uns von despotisch regierten Ländern abhängig.“

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