Die deutschen Bunker sind Geschichte
Bevölkerung ist kaum vor Luftangriffen geschützt – Reaktivierung von Schutzanlagen wäre schwierig
- Das Szenario eines kriegerischen Angriffs auf die Bundesrepublik ist seit dem russischen Angriff auf die Ukraine plötzlich nicht mehr ganz so abstrakt wie zuvor. Doch vor allem um den Schutz vor Luftangriffen in Deutschland ist es schlecht bestellt.
Mit dem Ende des Kalten Krieges ab 1989 begann in Westeuropa eine Zeit des Wohlstandsgewinns: Die Handelsbeziehungen zwischen den ehemaligen Sowjet-Staaten und dem Westen verbesserten sich und es fiel eine sogenannte „Friedensdividende“ab, die aus der Einsparung von Ausgaben im Militärwesen und im Zivilschutz bestand. 30 Jahre lang wurden Verteidigungsetats gekürzt und Vorrichtungen zum Bevölkerungsschutz zurückgebaut. Doch nun hat die russische Invasion in der Ukraine die Kriegssorgen auch in Deutschland neu entfacht – und die Bundesrepublik steht blank da.
„Öffentliche Schutzräume wie zum Beispiel Luftschutzbunker gibt es nicht mehr“, heißt es aus dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Im Jahr 2007 haben Bund und Länder unter dem damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) beschlossen, Schutzräume für die Zivilbevölkerung nicht weiter zu erhalten. So konnten die jährlich rund zwei Millionen Euro Unterhaltskosten eingespart werden.
Laut Jörg Diester vom Verein „Bunker-Dokumentationsstätten“gab es in Deutschland einst 2357 Bunker mit Platz für etwa 1,4 Millionen Bürger. Heute steht nicht ein einziger dieser Schutzräume mehr zur Verfügung. In Westdeutschland sind 1400 Anlagen „rückabgewickelt“worden, berichtet die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Und ostdeutsche Bunker wurden nach der Wiedervereinigung erst gar nicht in das bis dato gültige Verteidigungskonzept des Bundes aufgenommen.
Alleine in Stuttgart gab es einst 47 Schutzbauwerke, darunter Hochbunker,
Tiefbunker, Stollen und diverse Mehrzweckanlagen, die knapp 75 000 Bürgern Schutz geboten hätten. Der wohl bekannteste Schutzraum in Baden-Württembergs Landeshauptstadt befindet sich unter dem Marienplatz, heute weist nur noch ein hohes schwarzes Gitter auf den Eingang zum ehemaligen Luftschutzbunker der nationalsozialistischen Führungsebene hin. Auf rund 1500 Quadratmetern bot die Anlage in ihrer besten Zeit Schutz für 1700 Menschen. Nach schweren Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg wurden hier rund 500 Stuttgarter untergebracht, deren Wohnungen ausgebombt waren. Heute werden große Teile der Anlage von regionalen Musikgruppen als Proberäume genutzt. Der ehemalige Bunker in StuttgartWangen,
der einst 1000 Bürgern Schutz bot, diente bis in die 2000erJahre gar der Pilzproduktion, dort wurden aufgrund der vorteilhaften Temperaturen Champignons angebaut. Heute ist der Stollen mit Wasser vollgelaufen. Auspumpversuche in der Vergangenheit wurden abgebrochen, da befürchtet wurde, dass das Bauwerk in sich zusammenfällt.
Wie soll es nun mit dem Zivilschutz in Deutschland weitergehen? Vor dem Hintergrund des russischen Überfalls der Ukraine will die Bundesregierung ihre Fähigkeiten zum Bevölkerungsschutz nun wieder verstärken, teilte das Bundesinnenministerium auf Anfrage mit. „In diesem Kontext wird auch das aktuelle Rückbaukonzept für Schutzräume geprüft“, sagte eine Sprecherin. Allerdings
müssten Bund und Länder zunächst eine vollständige Bestandsaufnahme der vorhandenen Schutzräume vornehmen. Erste Schritte in diese Richtung seien bereits initiiert worden. Auch Bayerns neuer Bauminister Christian Bernreiter (CSU) will mehr Augenmerk auf den Bunkerund Schutzraumbau legen: „Mir ist es ein Anliegen, das Fachwissen, das noch vorhanden ist, abzufragen und zu bündeln, um im Zweifelsfall darauf zurückgreifen zu können.“
Die Frage ist nur: Ist eine Reaktivierung überhaupt möglich? Und wenn ja, in welchem Zeitraum? Bunker-Experte Jörg Diester schätzt, dass bundesweit nur noch rund 600 Bunker reaktivierbar wären. Mit viel Geld und Zeit könnten so Schutzräume für rund 0,3 Prozent der deutschen Bevölkerung,
also für rund 250 000 Bürger, entstehen. Aber: „Wer über eine Reaktivierung spricht, sollte sich bitte erstmal anschauen, wie es dort aussieht“, so Diester.
Eine zweite Frage ist, ob Luftschutzbunker im Lichte moderner Militärtechnik überhaupt noch den erforderlichen Schutz bieten. Russland will nach eigenen Angaben im Krieg in der Ukraine Hyperschallraketen eingesetzt haben, die mit konventionellen oder nuklearen Sprengköpfen ausgerüstet werden. Diese „Kinschals“können laut eines Berichts der Münchner Sicherheitskonferenz aus dem Jahr 2019 „alle gegenwärtigen Raketenabwehrsysteme überwinden und verkürzen radikal die Reaktionszeit des angegriffenen Akteurs“. Ob bei einem Angriff mit Hyperschallraketen auf europäische Städte überhaupt noch genug Zeit für die Bevölkerung bleibt, sich in Schutzräume zu begeben, ist unklar.
Viele Experten fordern daher eine breiter angelegte Vorbereitung auf den Ernstfall, der die Abwehr von Gefahren einer hybriden Kriegsführung einschließt. Neben dem Aufbau von physischen Kapazitäten, zum Beispiel bei Sirenen, Notunterkünften, mobilen Sanitätseinrichtungen, Notstromversorgungen oder alternativen Kommunikationsanlagen, müsse die Bundesrepublik in die Abwehr feindlicher Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur und in die nationalen Reserven, etwa bei Nahrung und Trinkwasser, investieren.
Denn im Ernstfall versagt Deutschland regelmäßig: Der letzte bundesweite Warntag im Jahr 2020 ist den meisten Deutschen nicht in Erinnerung – weil die Sirenen weitestgehend stumm blieben. Wegen des katastrophalen Verlaufs des Übungstages feuerte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sogar den damaligen BBKChef Christoph Unger. Und auch in der Corona-Pandemie fehlte es über Monate an Masken und Schutzanzügen, die Flutwarnungen internationaler Meteorologen vor der Katastrophe im Ahrtal versickerten im Sommer 2021 im Dickicht der Behörden. Dieser Tage kam außerdem ans Licht: Laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung reichen die deutschen Nahrungs-Notreserven gerade einmal für wenige Tage.
„Wir haben im regulären Haushalt Mehrinvestitionen von rund 135 Millionen Euro beantragt“, sagt deshalb der aktuelle BBK-Präsident Armin Schuster. Der laufende Haushalt sieht lediglich eine Steigerung der Ausgaben für den Bevölkerungsschutz um zehn Millionen Euro vor. Einstweilen kann Schuster der Bevölkerung deshalb vor allem einen Rat geben: Man solle die Ratgeberangebote seiner Einrichtung nutzen und eigenständig Sicherheitsvorkehrungen treffen.