Versorgungssicherheit hat für EnBW Priorität
Konzernchef Frank Mastiaux bereitet seine Kundschaft auf weiter steigende Preise vor – Er spricht von einer Zäsur bei der Energieversorgung
- Nach den Verwerfungen an den Energiemärkten in den vergangenen Monaten müssen sich die rund 5,5 Millionen Kunden des Energieversorgers EnBW auf weiter steigende Preise bei Strom und Gas gefasst machen. Das kündigte Konzernchef Frank Mastiaux am Mittwoch bei der Vorstellung der Bilanz für 2021 an. Der Ukraine-Krieg markiere eine Zäsur für die künftige Energieversorgung in Deutschland und in Europa. „Mehr Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ohne den Klima-schutz in den Hintergrund zu drängen, ist jetzt die Hauptaufgabe der gemeinsamen Anstrengungen von Unternehmen und Politik“, sagte Mastiaux.
Noch bezieht der drittgrößte deutsche Stromkonzern einen „nicht unerheblichen Teil“von Steinkohle und Gas aus Russland. Für die Kohle sieht Mastiaux die Lage selbst bei einem Ausbleiben russischer Lieferungen als „beherrschbar“an. Anders beim Gas: Ein kurzfristiger Ersatz sei nicht zu machen. Im vergangenen Jahr kaufte
EnBW 495 Terawattstunden Gas ein. Der größte Teil kam vom europäischen Großhandelsmarkt, der zu 55 Prozent von russischen Lieferungen dominiert wird, 20 Prozent kamen direkt aus Russland. Bei einem Lieferstopp, rechnete Mastiaux vor, könne man aktuell maximal die Hälfte des russischen Gases kompensieren.
Von diesen Abhängigkeiten will sich die EnBW verabschieden: „Es wird keine neuen Lieferverträge geben mit Russland unter dieser Führung“, kündigte Mastiaux an. Weil Gas nach wie vor gebraucht wird, arbeitet EnBW an einer möglichst schnellen Diversifizierung seiner Bezugsquellen. Nach Angaben von Mastiaux hat EnBW schon vor Jahren begonnen, Flüssiggas-Kompetenzen im Handel und im Einkauf aufzubauen. So wurden im vergangenen Jahr mehr als ein Dutzend LNG-Schiffsladungen gekauft. Nun komme es darauf an, möglichst schnell LNG-Terminals in Deutschland zu errichten. Die neuen Energiepartnerschaften, die Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in den vergangenen Tagen vereinbarte, begrüßte der Manager.
Mastiaux setzt auf eine Ausweitung und Beschleunigung von Investitionen in erneuerbare Energien, in den Ausbau der Strom- und Gasnetze und in Fuel-Switch-Kraftwerke, die zunächst mit Gas und dann klimaneutral mit Wasserstoff betrieben werden können. Der Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Neckarwestheim II (Kreis Heilbronn), das bis Ende des Jahres abgeschaltet werden soll, sei technisch zwar möglich. „Das ist ein sehr, sehr sicheres Kraftwerk“, betonte Mastiaux. Das Thema sei aber „derzeit vom Tisch“, es gebe keine Genehmigung für einen längeren Betrieb.
Die Interessenvertretung der Atomwirtschaft will das ändern. Sie hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einem am Mittwoch veröffentlichten Brief aufgefordert, die Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke zu verlängern. Der Verband Kerntechnik Deutschland sprach von einer „potenziell gefährlichen Lage bei der Energieversorgung“und appellierte „eindringlich“an Scholz, „die aktuelle Position der Regierung betreffend Kernenergienutzung zu überdenken“.
Die EnBW ist seit Jahren im Umbau: Weg vom Kohle- und Atomstromer, hin zu erneuerbaren Energien. Die haben inzwischen einen Anteil von 40 Prozent. Seit 2012, dem Jahr, als Frank Mastiaux die Konzernleitung übernahm, hat sich die installierte Leistung der Windkraft von 218 auf 2000 Megawatt mehr als verneunfacht.
Schwacher Wind sorgte 2021 zwar für ein Minus bei den erneuerbaren Energien. Der verstärkte Einsatz von Kohle-, Gas- und Kernkraftwerken und gute Geschäfte im Strom- und Gashandel konnten witterungsbedingte Ertragseinbußen aber mehr als ausgleichen. Der Betriebsgewinn (bereinigtes Ebitda) stieg im Vergleich zu 2020 um 6,4 Prozent auf 2,96 Milliarden Euro. Der Umsatz sprang aufgrund höherer Strom- und Gaspreise im Großhandel sogar um 63 Prozent auf 32,15 Milliarden Euro. Wegen außerplanmäßiger Abschreibungen auf Kohlekraftwerke blieb unter dem Strich aber nur ein Konzerngewinn von 363 Millionen Euro übrig – 39 Prozent weniger als noch im Jahr 2020. Die beiden Hauptaktionäre – das Land Baden-Württemberg über seine Beteiligungsgesellschaft Neckarpri und der Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW), ein Zusammenschluss von neun Landkreisen im südlichen Baden-Württemberg – dürfen mit einer um zehn Cent auf 1,1 Euro höheren Dividende rechnen.