Lindauer Zeitung

In Thomas Lämmle steckt ein Tiger, der nie aufgibt

Der Extrem-Bergsteige­r spricht beim „Talk im Bock“in Leutkirch über sich und seine unfassbare Geschichte

- Von Babette Caesar

- Wenn einer das fast Unfassbare zu erzählen hat, dann ist es Thomas Lämmle. Der Bergsteige­r, Höhenforsc­her und Sozialschu­lpädagoge ist am Montag zu Gast beim 206. „Talk im Bock“gewesen. Moderiert hat das Gespräch in der Festhalle erstmals die Journalist­in, Autorin und Paartherap­eutin Nina Poelchau. Sie hat den Abend in drei Themenbere­iche gegliedert, die es ermöglicht­en, Lämmles vergangene 30 Jahre wie in einem Zeitraffer vorüberzie­hen zu lassen.

„Es ist wirklich schön, dass die Festhalle so voll ist“, begrüßte Poelchau nach dem musikalisc­hen Intro der Jazzformat­ion „Just Friends“die rund 90 Besucherin­nen und Besucher. Unter ihnen natürlich zahlreiche Bergsteige­rfans und Freunde des gebürtigen Aulendorfe­rs, der heute in Waldburg lebt. Kennengele­rnt hat sie ihn während Recherchen in einer Ravensburg­er Akupunktur­praxis und war so beeindruck­t von diesem Menschen, dass sie sich ihn sofort gekrallt hätte.

Den Auftakt dieses 90-minütigen Abends machte eine Filmdokume­ntation von Michael Scheyer. Man sieht Lämmle dick vermummt, wie er 2016 den über 8000 Meter hohen Mount Everest von der tibetische­n Seite her hochsteigt. Ohne zusätzlich­en Sauerstoff, free-solo und das als erster Deutscher. Pudelwohl fühle er sich dort, wo die Luft am dünnsten ist, tönt es aus dem Off. Bei schlechtem Wetter und bei Kältegrade­n, die jenseits unserer Vorstellun­gen liegen. „It´s great and amazing“, hört man ihn dort oben in das Mikrofon keuchen auf dem Weg zu den Gipfeln des Makalu und des Lhotse.

Poelchau hat den Abend in drei Kapitel gegliedert und jeweils mit Zitaten überschrie­ben. Auf Reinhold Messners Satz „Das Bergsteige­n ist völlig nutzlos, für mich aber nicht sinnlos“reagierte Lämmle mit einer schönen Erfahrung am Kilimanjar­o in Südafrika. Kein Einheimisc­her dort würde auf die Idee kommen, den Berg zu besteigen. Und schon gar nicht als Hobby, so wie es Lämmle vorzugswei­se 62-mal getan hat. Ohne Medienrumm­el und selbstvera­ntwortlich.

Wo nun liegt der Sinn in dieser extremen Sportart? Man erfahre die Natur hautnah, komme Gott näher und erlebe einen grenzenlos­en Weitblick, beschreibt Lämmle seine Begeisteru­ng für die Berge. In diesem ersten Teil blickte er zurück auf die Anfänge. Mit den Bergen habe er früher nichts am Hut gehabt, doch dann nach dem Abitur und der Bundeswehr, wo er in einem Hochgebirg­sjägerzug in Sonthofen Ski- und Klettertou­ren unternahm, muss es ihn gepackt haben.

Vom Tourenführ­erleiter beim Alpenverei­n Ravensburg ging es rein in den Extrem-Bergsport. 1998 als erstes, noch als Student an der Weingartne­r Pädagogisc­hen Hochschule, auf den knapp 7000 Meter hohen Aconcagua in Südamerika und dann immer höher und schneller. Wie geht das, einen 8000er in 18 Stunden hoch und wieder runter zu kommen? Er sei ein sehr guter Streckenta­ucher gewesen, das heißt, er könne lange die Luft anhalten.

Lämmle zeigte sich am Abend von seiner sehr menschlich­en und mitfühlend­en Seite. Nicht nur, als er von einer spektakulä­ren Rettungsak­tion eines verunglück­ten und für tot geglaubten Bergsteige­rs erzählte, sondern vor allem, als es im zweiten

Teil um seinen eigenen „Unfall“im August 2020 ging. Dafür brauchte er nicht weit zu reisen, was angesichts der Corona-Pandemie auch nicht mehr möglich war. Eine Filmsequen­z zeigt ihn noch in einem Gleitschir­m, wie er vom Gipfel des „Kili“durch die Lüfte segelt. Sagenhafte 37 Kilometer im Sinkflug bis zum nächsten Camp. Um seine Knie zu schonen bei den Abstiegen, ist er auf diese Idee gekommen. Sie wurde ihm dann zum Verhängnis, als er von seinem „Hausberg“, dem Hochgrat, startete und bruchlande­te.

Dass er angesichts der schweren Verletzung­en jemals wieder laufen könnte, daran hat niemand wirklich geglaubt. Am Abend betrat er an Krücken die Bühne. Sein linker Unterschen­kel und Fuß sei noch gelähmt. Doch Lämmle hieße nicht Lämmle, wenn nicht ein Tiger in ihm brüllte. Einer, der nicht aufgibt, wovon das dritte und mithin aufrichtig­ste Kapitel handelte. „Gibt es etwas Positives, was der Unfall bewirkt hat“, fragte Poelchau.

Sehr offen erzählte Lämmle von seiner Nahtoderfa­hrung, vom Tunnel und dem Licht, von der Wahl, die er gehabt habe, weiterlebe­n zu wollen oder nicht. „Seitdem habe ich keine Angst mehr vor dem Tod“, beschrieb er dieses Erleben als eine wohlige Sache. Ja, den Hochgrat habe er davor als Sportgerät benutzt. An die 5000-mal war er da oben. Jetzt erkenne er erst die Landschaft, die Blumen, die Natur.

Ein gebrochene­r Fuß hätte ihn wohl nicht zum Umdenken gebracht. Es habe schon schlimmer kommen müssen, um sich von immer höher und immer schneller zu verabschie­den. Lämmle ist eine absolut fasziniere­nde Persönlich­keit, die sich nicht unterkrieg­en lässt.

Schon gar nicht, wenn es um seine Non Profit Organisati­on „Friends of Extrek-Afrika“in Tansania geht, für das am Abend 810 Euro gespendet wurden. „Ich muss denen helfen!“, war Lämmle nach dem Corona-Ausbruch sofort klar. Gemeint ist die Unterstütz­ung für einheimisc­he Bergführer, Köche und Träger aus rund 50 Familien am Fuße des Kilimanjar­o, die massiv in ihrer Existenz bedroht sind. Auch das ist der Tiger in diesem geläuterte­n Alpinisten.

Alle Informatio­nen zu dem Dokumentar­film von Michael Scheyer „Wie man auf den Kilimanjar­o steigt – mit und ohne Krücken“, der den Aufstieg von Thomas Lämmle im vergangene­n Herbst begleitet, gibt es im Internet unter

www.aufdenkili­manjaro.de

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FOTO: BABETTE CAESAR Einer, der sich nicht unterkrieg­en lässt: Der Alpinist Thomas Lämmle (rechts) im Gespräch mit Moderatori­n Nina Poelchau beim „Talk im Bock“.

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