Typisch Brüssel
Zugegeben, es gibt dieser Tage wichtigere Dinge. Doch auch kleine politische Fehlentscheidungen verursachen Unmut im Alltag. Dazu zählt die Zeitumstellung, die längst abgeschafft gehört. Vor 42 Jahren – auch damals gab es eine Ölkrise – wurde von der EU die Sommerzeit eingeführt, um Energie zu sparen. Viele Studien haben inzwischen gezeigt, dass dieser Effekt ausbleibt. Zwar ist es abends länger hell, und es wird weniger Strom fürs Licht benötigt. Jedoch ist es morgens länger dunkel und kühler. Somit wird mehr geheizt. Auch das Wohlfühlargument, dass Sommerabende länger ausgekostet werden können, ist fragwürdig. Denn während die einen ihre Freizeit bei Tageslicht genießen, ärgern sich alle, die früh in der Dunkelheit draußen arbeiten müssen.
Die Zeitumstellung ist für die Mehrheit somit ein halbjährlich wiederkehrendes Ärgernis, das seine energiepolitische Wirkung verfehlt. Die Tatsache, dass auch viele Jahre nach dieser Erkenntnis EU-weit an der Uhr gedreht wird, macht klar, woran es in Brüssel allzu oft hakt: an Pragmatismus, an Schnelligkeit und an der Umsetzung. Dass die Zeitumstellung 2021 abgeschafft werden sollte, wurde vom Europaparlament 2019 beschlossen. Doch seitdem wird gestritten, ob die Sommer- oder die Winterzeit als Normalzeit eingeführt werden soll. Eine Farce.
Und leider ist die Europäische Union nicht nur bei Kleinigkeiten ein träges bürokratisches Konstrukt, sondern auch bei wichtigen Dingen, etwa der Flüchtlingsverteilung. Damit sich die EU endlich wieder wirklich geschlossen präsentiert hat, musste erst Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine vom Zaun brechen. Beim Energieembargo wird aber schon wieder munter gestritten.
Kiew sehnt sich nach der EU-Mitgliedschaft. Gewiss nicht wegen des Brüsseler Richtlinien-Hickhacks, sondern wegen der gemeinsamen Werte: Demokratie, Freiheit, freiem Handel. Vielleicht könnte dies aus EU-Perspektive am Ende die einzig positive Erkenntnis dieses grauenvollen Krieges sein: dass es wichtig ist, bei den großen Fragen einig zu sein – und die kleinen Dinge, etwa die Zeitumstellung, den Mitgliedsstaaten selbst zu überlassen.