Von Petzern und Parksündern
Bayerische Behörde verhängt Bußgeld wegen Fotos von falsch abgestellten Autos – Deutsche Umwelthilfe unterstützt den gegen den Bescheid klagenden Radfahrer
Von Stefan Fuchs
- Falsch geparkte Autos, ein empörter Radfahrer und ein Bußgeld – allerdings nicht für die Falschparker, sondern für den, der auf die Missetaten aufmerksam machen wollte. Die Geschichte eines Münchner Radlers, den die Datenschutzbehörde des Landes zu einer 100-Euro-Strafe verdonnert hat, hat eigentlich schon alles, was einen Aufreger ausmacht. Doch jetzt schaltet sich auch noch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ein, jener Verein für Klimaschutz, der zuletzt bei den Feinstaubdebatten in Stuttgart das ganze Land polarisierte und der bayerischen Verwaltung heftige Vorwürfe macht.
Aber was ist konkret passiert? Es ist April 2020, Deutschland befindet sich im ersten Corona-Lockdown, viele Gemüter sind angesichts der völlig neuen Situation angespannt. Andreas S., 41, radelt gemeinsam mit seiner fünfjährigen Tochter durch München in Richtung Olympiapark. In einem Wohngebiet angekommen, sind die Gehwege von gleich mehreren falsch parkenden Fahrzeugen versperrt. Andreas S., so wird er später der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“(FAZ) erzählen, sieht sich vor die Wahl gestellt: Entweder fährt er mit seiner Tochter, die aufgrund ihres Alters mit dem Fahrrad auf den Gehsteig gehört, auf die Straße oder die beiden müssen schieben. S. wird sauer und zückt sein Smartphone. Insgesamt 17 Autos fotografiert er und schickt die Bilder ans inoffizielle Online-Meldeportal weg.li, von wo aus diese an die Behörden weitergeleitet werden. Das Portal wirbt damit, das Versenden einer Meldung ans Ordnungsamt zu vereinfachen. Nach Angaben der Betreiber werden hochgeladene Fotos automatisch analysiert und die Meldung „mit den erkannten Standortund Fahrzeugdaten vorausgefüllt“. Dann könne die Anzeige per Mail direkt über die Plattform ans zuständige Ordnungsamt versendet werden.
S. fühlt sich im Recht, schließlich regelt die Straßenverkehrsordnung in Paragraf 12 Absatz 4: Parken auf Gehwegen ist nur dann erlaubt, wenn es explizit, zum Beispiel durch entsprechende Beschilderung,
erlaubt ist. Es ist auch nicht das erste Mal, dass er Falschparker meldet. Außerdem will der in der Automobilbranche arbeitende Ingenieur ein Zeichen setzen. Ein Zeichen für die Verkehrswende, bessere Bedingungen für Radfahrer und höhere Strafen für Verkehrssünder. Seit Jahren ist er im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) Mitglied und wähnt nach der Erhöhung der Bußgelder für Falschparker im vergangenen November den Staat auf seiner Seite. Umso erstaunter ist er, als ihm Monate später selbst ein Bußgeldbescheid ins Haus flattert. 100 Euro soll er zahlen, verlangt das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht. Mit seinen Fotos habe er gegen die Datenschutzgrundverordnung verstoßen.
Fotos im öffentlichen Raum sind grundsätzlich eine heikle Angelegenheit, besonders dann, wenn personenbezogene Daten betroffen sind. Dazu gehört auch das Nummernschild eines Pkw, denn durch das Kfz-Kennzeichen lässt sich unter Umständen auf eine konkrete Person schließen. Doch das Fotografieren allein ist nicht untersagt. Entscheidend ist, was mit den Aufnahmen geschieht. Mit dem konkreten Münchner Fall hat sich der Kölner Medienrechtsanwalt und Videoblogger Christian Solmecke in einem YouTube-Beitrag beschäftigt. Darin stellt er klar: „Erst mal darf man das, Autos knipsen. Man darf sogar die Nummernschilder der Autos knipsen. Das mit dem Hochladen, darüber kann man diskutieren“, sagt er.
Die obersten bayerischen Datenhüter argumentieren damit, dass das „Verarbeiten“der Fotos, also das Hochladen auf einem Meldeportal, nur dann gestattet sei, wenn damit ein „berechtigtes Interesse“verfolgt würde. Nach Auffassung der Behörde hatte S. das nicht, es sei nicht erkennbar, dass er „von den falsch parkenden Fahrzeugen in irgendeiner Weise behindert“werde. Betroffen wäre er etwa dann, teilt das Amt mit, wenn seine eigene Auffahrt blockiert wäre. Medienrechtsanwalt Solmecke hält diese Argumentation für angreifbar. Er sehe es zwar auch kritisch, wenn sich normale Bürger mit ihren Smartphones zu Hilfssheriffs aufschwingen würden, aber gerade was die persönliche Betroffenheit im
Fall S. angehe, könne er „sich schon vorstellen, dass ein Gericht das anders sieht“.
Genau darauf hofft S., der die Buße nicht bezahlen möchte und dagegen vor dem Verwaltungsgericht Ansbach klagen will. Schützenhilfe bekommt er von der DUH, die in einer Pressemitteilung erklärte, man werde die Klage finanzieren und anwaltlich unterstützen. Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch kommentiert das so: „Das Vorgehen der bayerischen Behörden ist vollkommen absurd.“Anstatt gegen zugeparkte Fuß- und Radwege und andere Verkehrsdelikte vorzugehen, würden die Behörden diejenigen bestrafen, die darauf hinweisen. „Falschparken ist kein Kavaliersdelikt, sondern gefährdet schwächere Verkehrsteilnehmende. Menschen, die mit dem Fahrrad, Rollator oder Kinderwagen
unterwegs sind, müssen geschützt und nicht zusätzlich von Behörden gegängelt werden“, sagt der Vereinschef. Sein Vorwurf: Der Freistaat Bayern missbrauche die Datenschutzgrundverordnung , um zivilgesellschaftliches Engagement zu verhindern – „ein Skandal“, empört sich Resch. „Die bayerische Verwaltung ist offensichtlich von Kopf bis Fuß auf Autoverkehr eingestellt“, sagt er. Tatsächlich ist der Fall S. in Bayern wohl kein Einzelfall. Im Kurznachrichtendienst Twitter dokumentierten diverse Nutzer ähnliche Bußgeldbescheide, die sie nach Meldungen an Polizei oder Ordnungsamt bekommen hätten. Das Landesamt für Datenschutzaufsicht bestätigte auf „FAZ“Anfrage den Versand mehrerer solcher Schreiben und kündigte an, man werde auch künftig Datenschutzverletzungen von selbst ernannten „Hilfssheriffs“angehen. Die jüngste bayerische Falschparker-Kontroverse
Jürgen Resch, DUH-Bundesgeschäftsführer
ist nicht die erste, die Datenschützer beschäftigt. In Stuttgart schlugen 2019
Fotos von falsch parkenden Autos hohe Wellen. Unter dem Stichwort #StuttgartParktFair stellten Nutzer auf Twitter die Parksünder quasi an den Online-Pranger, die Kennzeichen waren teils nicht unkenntlich gemacht. Der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink sieht darin einen klaren Datenrechtsverstoß. „Ohne Einwilligung der Betroffenen dürfen solche Bilder nicht im Internet verbreitet werden“, sagt er. In solchen Fällen fordere man die Ersteller auf, die Bilder von der Plattform zu nehmen. Werden Fotos allerdings an Behörden gemeldet, sieht Brink keinen Verstoß. „Die Polizeibehörden können nach eigenem Ermessen entscheiden, solche Fälle zu bearbeiten oder nicht“, sagt er. Er sehe es mit Sorge, dass Polizeibehörden in ganz Deutschland offenbar immer häufiger offensiv auf solche Anzeigen reagieren und Datenschutzverstöße monieren würden. Datenschützer einzuspannen, um einer Häufung von Meldungen an Polizei und Ordnungsämtern zu begegnen, hält er für „problematisch und unangemessen“. Brink sieht im Fall von Falschparkern durchaus ein berechtigtes Interesse bei Fußgängern und Radfahrern, die sich angesichts zugeparkter Geh- und Radwege Gefahrensituationen aussetzen müssten. „Das ist überhaupt gar keine Frage“, stellt er fest.
Mit Anzeigen in tatsächlich beträchtlichem Maß im öffentlichen Gedächtnis geblieben, ist der sogenannte Knöllchen-Horst, der es bis zu einem Wikipedia-Eintrag gebracht hat. Horst-Werner N., Frührentner und ehemaliger Maschinenbauer und Taxifahrer aus dem Harz, brachte es durch Zigtausende Anzeigen von Verkehrsverstößen und diverse Dienstaufsichtsbeschwerden zu einer fragwürdigen Prominenz. Pro Werktag erstellte er nach eigenen Angaben etwa zehn bis 15 Anzeigen, wodurch er sich bei den örtlichen Behörden äußerst unbeliebt machte. Extra für ihn stellte die Stadtverwaltung von Osterode eine zusätzliche Mitarbeiterin ein. Verschiedene Medien stürzten sich auf die Geschichten um den Frührentner, der in gewisser Weise den Phänotyp des deutschen Spießers verkörpert, einen dem Recht und Ordnung mehr wert ist als das Miteinander und die Verhältnismäßigkeit. Verschiedene Auftritte und Sendungen gipfelten wiederum in weiteren Anzeigen gegen Medienvertreter und prominente Gegner des „Knöllchen-Horsts“wie die ehemalige Pornodarstellerin Dolly Buster. Die hatte N. sinngemäß vorgeworfen, sich an den Anzeigen „aufzugeilen“. N.s Klage wurde abgewiesen. Zunehmend wurde er selbst zum Ziel von Mobbing und Attacken, anonyme Anrufer warfen ihm Beschimpfungen an den Kopf, Jugendliche Eier an die Hauswand.
Das vermeintliche oder tatsächliche Fehlverhalten der Angezeigten dokumentierte N. per Dashcam, einer am eigenen Fahrzeug angebrachten Videokamera. 2016 traf das Verwaltungsgericht Göttingen ein Urteil, das den bayerischen Datenschützern als Referenz dienen könnte. Darin urteilten die Richter, dass die „Verwendung dieser Kameras zur Dokumentation des Verkehrsgeschehens untersagt“ist. Ein Jahr später wurde N. vom Amtsgericht Hannover zu einer Geldbuße von 250 Euro verurteilt, weil er in einer Anzeige wiederum Dashcam-Videomaterial genutzt hatte.
Mit dem neuen, seit November 2021 gültigen Bußgeldkatalog wurden die Strafen für Falschparken bundesweit deutlich erhöht. Ziel ist unter anderem der Schutz von Radfahrern und Fußgängern. Wer sein Fahrzeug im Halte- oder Parkverbot abstellt, muss mit einem Bußgeld von bis zu 55 Euro statt bisher 15 Euro rechnen. Wird beim Parken eine Feuerwehrzufahrt blockiert oder ein Rettungsfahrzeug behindert, werden bis zu 100 Euro und ein Punkt in Flensburg fällig. Gleiches gilt für die vorschriftswidrige Nutzung von Gehwegen, Radwegen oder Seitenstreifen.