Habecks Weg aus der Energie-Abhängigkeit
Suche des Ministers nach Ersatz bringt erste Resultate – EU uneins beim Umgang mit Öl, Gas und Kohle aus Russland
- Die Europäische Union ringt in der Ukraine-Krise um einen gemeinsamen Kurs in der Energiepolitik. Bei einem EU-Gipfel in Brüssel konnten sich die 27 Staats- und Regierungschefs nicht auf ein sofortiges Importverbot für russische Energielieferungen einigen. Während Länder wie Polen auf ein solches Embargo drängten, bremsten unter anderem die Regierungen Deutschlands, Österreichs, Italiens und der Niederlande. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte nach Teilnehmerangaben während der Beratungen, ein sofortiges Embargo würde Europa härter treffen als Russland. Es könne bis zu fünf Jahren dauern, bis Europa vollkommen unabhängig von russischem Gas sei. Scholz betonte aber, die russische Führung zeige Anzeichen von Panik, wie schnell die EU und andere westliche Staaten sich von den Importen von russischem Gas, Öl und Kohle abkoppelten. Der niederländische Premier Mark Rutte sagte, jeder wolle einen Importstopp, aber dieser sei nicht kurzfristig umzusetzen.
Dagegen kritisierte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die Haltung Deutschlands und anderer Länder und forderte, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen. Zuvor hatten sich die EU und die USA darauf verständigt, die amerikanischen Flüssiggas-Lieferungen schnell auszuweiten. US-Präsident Joe Biden sagte nach einem Gespräch mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel, die USA würden sich bemühen, in diesem Jahr 15 Milliarden Kubikmeter verflüssigtes Erdgas zu liefern – etwa zehn Prozent der EU-Importe von russischem Gas im vergangenen Jahr. Zugleich richten Brüssel und Washington eine gemeinsame Taskforce ein mit dem Ziel, bis 2030 zusätzlich 50 Milliarden Kubikmeter US-Gas in die EU zu verschiffen. Diese Menge würde dann ein Drittel der heutigen Gasimporte aus Russland ersetzen. Die EU verpflichtet sich, eine entsprechende Nachfrage in Europa sicherzustellen und für eine beschleunigte Genehmigung von FlüssiggasTerminals an der Küste zu sorgen.
Währenddessen hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Berlin vorgerechnet, wie weit Deutschland inzwischen beim Versuch ist, sich „aus dem Klammergriff der russischen Importe zu lösen“. Die Zahlen lesen sich durchaus beeindruckend: Am weitesten sei man bei der Steinkohle, wo der russische Anteil bisher rund 50 Prozent des deutschen Verbrauchs ausmachte. Die Unternehmen haben laut Habeck allerdings inzwischen ihre Lieferketten umgestellt, wodurch der Anteil russischer Kohle in den kommenden Wochen auf 25 Prozent fallen solle. Bis zum Frühsommer werde ein Großteil der Betreiber gänzlich auf russische Steinkohle verzichtet haben, bis zum Herbst könne Deutschland sogar gänzlich unabhängig von den Importen aus Russland
sein. Ähnlich ist es beim Öl, hier liegt der russische Anteil bei 35 Prozent und soll laut Wirtschaftsministerium in absehbarer Zeit auf 25 Prozent fallen. „Zum Jahresende streben wir an, unabhängig zu sein.“Vor allem Ostdeutschland wird über die „Druschba“-Pipeline mit russischem Erdöl versorgt. Der französische Total-Konzern hat bereits angekündigt, für die Raffinerie in Leuna ab kommendem Jahr kein russisches Öl mehr zu kaufen. Schwieriger ist es in Schwedt, wo die Raffinerie fast vollständig dem russischen Staatskonzern Rosneft gehört. Sein Ministerium prüfe die Beteiligung momentan, sagte Habeck.
Noch schwieriger bleibt die Lage beim Gas, trotz der amerikanischen Flüssiggas-Zusagen. Zwar ist der Anteil russischer Importe hier bereits von 55 auf 40 Prozent gesunken. Gänzlich unabhängig zu werden, gelänge allerdings erst im Sommer 2024, sagte Habeck. Es komme auch darauf an, wie schnell der Ausbau erneuerbarer Energien vorangehe, sowie davon, wie sehr der Gasverbrauch in Gebäuden und Industrie verringert werden könnte. Im jüngsten Entlastungspaket beispielsweise hat die Ampel-Koalition beschlossen, den Austausch von Öl- und Gasheizungen forcieren zu wollen.
Habeck stellte zudem in Aussicht, dass die von der Bundesregierung geplanten Flüssiggas-Terminals schon 2022 und 2023 in Betrieb genommen werden könnten. Bis dahin habe man mit den Niederlanden vereinbart, dortige Anladekapazitäten für die Versorgung Deutschlands mitnutzen zu können. Außerdem beschloss der Bundestag ein Gesetz, das die Betreiber von Gasspeichern dazu verpflichten soll, die Anlagen rechtzeitig zum Herbst ausreichend zu befüllen. Zwei der Speicher gehören allerdings einem Tochterunternehmen des russischen Staatskonzerns Gazprom.
Sollte Russland die Lieferungen einstellen, werden sich vermutlich auch die russischen Speicherbetreiber an solche Verpflichtungen nicht gebunden fühlen. Wladimir Putin hatte jüngst angekündigt, entgegen der bestehenden Verträge Energie nur noch gegen Rubel in die EU zu exportieren. Teile der Bundesregierung haben den Unternehmen empfohlen, dies zu ignorieren. Welche Folgen das haben wird, könnte sich schon in der kommenden Woche zeigen.
US-Präsident Joe Biden hat am 30. Tag des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine das Nato-Mitglied Polen besucht.
Der US-Präsident sagte, in dem Konflikt gehe es um mehr, als den Menschen in der Ukraine zu helfen und die „Massaker“zu stoppen. Es gehe auch um die Freiheit der Kinder und Enkel der amerikanischen Soldaten. Russland kündigte als Reaktion auf den Nato-Aufmarsch an der Ostflanke an, seine Truppen an der Westgrenze aufzustocken. Die Nato hatte wegen des
Kriegs ihre Verteidigungspläne aktiviert und an der Ostflanke 40 000 Soldaten dem direkten Kommando des Bündnisses unterstellt. Moskau warf dem Westen vor, mit den Sanktionen Krieg gegen Russland zu führen. „Heute haben sie uns einen echten hybriden Krieg erklärt, den totalen Krieg“, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Die russische Armee will sich nach offiziellen Angaben in der Ukraine auf die „Befreiung“der Donbass-Region im Osten des Landes konzentrieren. Die ersten bei dem „Sondereinsatz“gesetzten Ziele seien erreicht, sagte der stellvertretende Generalstabschef Sergej Rudskoj. Aus der Ukraine wurden erneut heftige Kämpfe gemeldet. Im Nordosten zogen sich nach Angaben des ukrainischen Generalstabs einige russische Verbände hinter die Grenze zurück. Die Angaben waren nicht unabhängig überprüfbar. Allerdings bestätigten auch US-amerikanische und britische Quellen, dass ukrainische Kräfte nahe der Hauptstadt Kiew erfolgreiche Gegenangriffe unternommen hätten. Die westlichen Mächte beobachten das Geschehen mit Satelliten. Im Nordosten der Ukraine blockierten russische Truppen weiter die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw (dpa/AFP)