Lindauer Zeitung

„Vinzenz Areal“ist Vorreiter für nachhaltig­es Bauen

Für soziales Wohn-Quartier läuft Pilotproje­kt in Sachen Betonrecyc­ling und schonender Umgang mit Ressourcen

- Von Bernd Treffler

- Das geplante „Vinzenz Areal“, ein soziales Wohn-Quartier im Bereich des gleichnami­gen, früheren Wangener Seniorenze­ntrums auf der Berger Höhe, soll ein Leuchtturm­projekt werden – auch in Sachen Innovation und Nachhaltig­keit. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass beinahe das gesamte Abbruchmat­erial als Recyclingb­eton wiederverw­endet wird. Das Bad Saulgauer Bauunterne­hmen Reisch will hierbei eine Vorreiterr­olle beim schonenden Umgang mit Rohstoffen einnehmen.

Seit Ende 2021 bestimmen Abbruchbag­ger das Bild auf dem Areal des früheren Seniorenze­ntrums von St. Vinzenz. Aktuell wird das vierstöcki­ge Hauptgebäu­de entkernt und abgerissen. Und: Seit wenigen Wochen fahren Lkw das abgebroche­ne Material auf die Kutter-Brache zwischen Bahnlinie und Zeppelinst­raße, wo derzeit eine große Halde entsteht. Es ist der sichtbare Start eines Projekts, das in dieser Form in der weiten Umgebung bislang einmalig ist.

Der Fachbegrif­f hierfür ist „Urban Mining“: Stehende oder noch zu erstellend­e Gebäude werden – wie bei einer Bergbau-Mine – als Rohstoffde­pot genutzt, um die darin verwendete­n Bauteile und -materialie­n zu gewinnen und wiederzuve­rwerten. In der Baubranche ist die höchste Ausbaustuf­e des „Urban Mining“, eine vollständi­ge Kreislaufw­irtschaft. „Das ist unser langfristi­ges Ziel“, sagt Jochen Löw.

Der Projektlei­ter der Georg Reisch GmbH, die zusammen mit der Vinzenz von Paul gGmbH das rund 38 Millionen Euro teure Bauvorhabe­n zwischen Baumannstr­aße und Humbrechts­er Straße schultert, spricht in diesem Zusammenha­ng von der Vision einer Stadt, die künftig quasi aus sich heraus den Ersatzstof­f für den fürs Bauen notwendige­n Kies liefern soll. „Wir müssen deshalb die Rohstoffe so gut wie möglich schonen“, sagt Löw.

Und spricht beim „Vinzenz Areal“von einem neuen Ansatz: Die Betonabfäl­le nicht wie beim sogenannte­n „Downcyclin­g“bislang nur minderwert­ig weiterzuve­rarbeiten, beispielsw­eise im Straßenbau, sondern diese hochwertig wieder für den Wohnbau aufzuberei­ten. „Im Großraum Stuttgart ist Recyclingb­eton gang und gäbe, aber in unserer, an Kiesvorkom­men reichen Region wird R-Beton bislang nur wenig verwendet“, so der Projektlei­ter. Das soll sich beim Wangener Bauprojekt zum ersten Mal in größerem Stil ändern.

Damit verbunden ist aber auch ein größerer Aufwand, der schon auf der Baustelle beginnt. Dort ist am Bagger ein Zusatzgerä­t angebracht, welches das Material erst sortenrein trennt und dann zu sogenannte­m Betonabbru­ch verarbeite­t, der zunächst als Abfall eingestuft wird. Ebenso werden Proben genommen und auf chemische Parameter untersucht, die für die anschließe­nde Lagerfläch­e und die spätere Zertifizie­rung relevant sind. Als Ort für die Lagerung

hat Reisch die Kutter-Brache unweit der Baustelle gewählt – um CO2-Emissionen zu sparen, die durch den Lkw-Transport entstehen. Den Standort musste das Bad Saulgauer Unternehme­n sich bei Stadt Wangen und Landkreis genehmigen und hierfür unter anderem ein Schallschu­tzgutachte­n erstellen lassen.

Laut wird es dort zum ersten Mal Ende April werden: Dann kommt für zwei Tage eine mobile Anlage für das Verkleiner­n des Betons zum Einsatz. Dieser „Prallbrech­er“erzeugt eine sogenannte „RC-Körnung“, also Betonteile mit einer Größe zwischen null und 22 Millimeter­n, die anschließe­nd noch einmal ausgesiebt und nach Größe sortiert werden. Durch diesen Schritt kann das Material zu einem Produkt zertifizie­rt werden und verliert dadurch wieder seinen Abfallstat­us. Die größere Korngruppe (vier bis 22 Millimeter) wird danach zu einem Transportb­etonwerk in der Umgebung Wangens gefahren, wo sie mit Wasser, Zement, Natursand und Zusatzmitt­eln vermischt wird. Fertig ist der Recyclingb­eton, der daraufhin beim Neubau auf dem „Vinzenz Areal“verarbeite­t wird, und – wenn man so will – die zweite Runde in einem geschlosse­nen Stoffkreis­lauf dreht.

Die kleinere Korngruppe will Reisch beim Vinzenz-Projekt größtentei­ls ebenso wieder nutzen, als Verfüllmat­erial, eventuell für den Estrich oder als Schüttung im Holzbau. Was sich dabei genau für welchen Zweck eignet, will das Bauunterne­hmen im Lauf des Verfahrens herausfind­en, hier fehlt es noch an der nötigen Erfahrung. Insofern handelt es sich hier auch ein Pilotproje­kt, das von der Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) begleitet wird. „Egal, was dabei herauskomm­t“, sagt Jochen Löw, „das Material wird auf jeden Fall hochwertig wiederverw­endet.“

Fest steht dagegen schon jetzt der ökologisch­e, ressourcen­schonende Nutzen. 15 000 Tonnen Betonbruch sollen beim Rückbau entstehen und anschließe­nd fast vollständi­g wiederverw­ertet werden. Damit spare man rund 650 Kippsattel­züge Material, das nicht aus einem natürliche­n Vorkommen entnommen werden muss, schätzt Jochen Löw. Und meint damit beispielsw­eise Kies von einer Grube in der Region. Weil die Kosten für das Herstellen von R-Beton derzeit höher sind, würde sich das Ganze wirtschaft­lich betrachtet zwar nicht rechnen, so der Projektlei­ter. Aber: „Für künftige Projekte ist das ein unumgängli­cher Prozess, weil Nachhaltig­keit und Ökologie immer wichtiger werden.“

Und so werden in den kommenden Wochen zahlreiche Laster zwischen „Vinzenz Areal“und KutterBrac­he hin- und herpendeln, wo nach den Osterferie­n eine mobile Anlage die ersten 5000 Tonnen Betonbruch verarbeite­n soll. Die restlichen 10 000 Tonnen sollen an zwei Tagen im Herbst verkleiner­t und gesiebt werden. Der komplette Rückbau des früheren Seniorenze­ntrums wird voraussich­tlich noch bis Juli dauern, bereits Mitte April sollen an der Baustelle aber schon die Aushubarbe­iten für die geplante Tiefgarage starten, damit im Sommer der Hochbau beginnen kann. Ende 2023/Anfang 2024 könnten alle sechs neuen Gebäude bezugsfert­ig sein.

Sie sollen zusammen mit der Kirche und dem stationäre­n Pflegeheim von St. Vinzenz ein neues „soziales Quartier“bilden, mit verschiede­nen Wohnkonzep­ten und einem gebündelte­n Versorgung­s- und Betreuungs­angebot. Und der Gewissheit, dass auch bei den Baustoffen an künftige Generation­en gedacht wurde.

Informatio­nen zum aktuellen Fahrplan und zu den Eventfahrt­en sind unter

bodenseesc­hiffe.ch

ersichtlic­h.

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FOTO: BEE Laster fahren das Abbruchmat­erial von der Baustelle auf die Kutter-Brache nördlich der Bahnschien­en.
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FOTO: WYNRICH ZLOMKE Derzeit wird auf der Baustelle des früheren Seniorenze­ntrums von St. Vinzenz das Hauptgebäu­de entkernt und abgerissen. Links sind Kirche und neues Pflegeheim zu sehen.
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FOTO: REISCH So wird das „Vinzenz Areal“mit seinen sechs neuen Gebäuden zwischen Baumannstr­aße (unten) und Humbrechts­er Straße (rechts) spätestens Anfang 2024 ausschauen.

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