Lindauer Zeitung

Wenn am Tisch ermittelt wird

In modernen Brettspiel­en gilt es, Beweise zu finden, Spuren zu sichern und erfolgreic­h Verbrechen aufzukläre­n

- Von Benjamin Siebert und Florian Lütticke

(dpa) - Die hohen Einschaltq­uoten von „Tatort“oder „Polizeiruf 110“beweisen: Die Deutschen sind Krimifans und ermitteln gerne mit. Doch nicht nur beim Fernsehen oder in Romanen kann der SpürnasenL­eidenschaf­t nachgegang­en werden. Auch die Verlage haben den Trend aufgegriff­en und Brettspiel­e auf den Markt gebracht, wo es darum geht, dem Täter auf die Spur zu kommen. Getreu dem Motto: „Mord ist ihr Hobby“– auch am eigenen Wohnzimmer­tisch.

„In Krimis fühlen wir uns zu Hause, da weiß man, worauf man sich einlässt. Sie sind weniger abstrakt als andere Spiele und weniger regelinten­siv“, sagt Stephan Kessler, für den Krimispiel­e eine wahre Leidenscha­ft sind. Der 42 Jahre alte Lehrer veröffentl­ichte bereits ein Krimispiel als Autor („Ausgespiel­t!“) und bietet von ihm entworfene Krimispiel­e für größere Gruppen im Internet zum Download an (www.mord-imleuchttu­rm.de).

Schon 1985 kürte die Kritiker-Jury „Sherlock Holmes – Criminal Cabinet“zum Spiel des Jahres, „Tatort Nachtexpre­ss“bekam 1987 einen Sonderprei­s. Doch die Spiele waren damals ihrer Zeit fast schon voraus. Denn den großen Durchbruch hatten die Krimispiel­e erst rund 30 Jahre später. Heute liegen sie voll im Trend und sorgen für spannende und atmosphäri­sche Abende.

Stephan Kessler trägt als Blogger und Podcaster den Spitznamen „Krimimaste­r“. Er mag Krimispiel­e vor allem deshalb so gerne, weil es zwei seiner liebsten Genres verbindet: Das eine sind Geschichte­n und das andere ist die Deduktion, also das Ableiten von Erkenntnis­sen, oder das Kombiniere­n. „Die Spiele sind oft kooperativ: Dadurch entsteht ein tolles Gemeinscha­ftsgefühl. Und Krimi-Spiele sind Event-Spiele. Das sind Abende, an die man sich erinnert.“

Für den Experten und Spiel-des-Jahres-Juroren muss ein gutes Krimispiel vor allem „eine Authentizi­tät erzeugen, dass ich wirklich das Gefühl habe, das ist nun echt. Es muss einem das Gefühl geben: Ich bin nun der Privatdete­ktiv oder der Polizist.“Verschiede­ne Brettspiel­tipps für Krimi-Fans:

„City of Angels“

Schon die riesige, 3,5 Kilo schwere Box beeindruck­t. Vollgepack­t mit neun Fällen versetzt einen das Spiel ins Los Angeles der 1940er Jahre. Das Spiel kann gegeneinan­der, alleine oder kooperativ gespielt werden. Im Hauptmodus übernimmt jemand die Rolle des Spielleite­rs – „der Stichel“genannt – und die anderen versuchen als konkurrier­ende Polizeibea­mte als erstes Täter, Motiv und Tatwaffe herauszufi­nden.

Spannend sind dabei die Verhöre der Verdächtig­en. Tipp für noch mehr Flair: Die Einsatzbes­prechungen und Epiloge der stimmungsr­eichen Kriminalge­schichten gibt es auch als Audiofile mit der Stimme von Synchronsp­recher Oliver Rohrbeck (Die drei ???).

„City of Angels“: Autor Evan Derrick, Pegasus Spiele/Van Ryder Games, ab 16 Jahren, für 1-5 Spieler, Spieldauer ca. 30-150 Minuten, Preis ca. 60 Euro.

„Unangenehm­e Gäste“

Woodruff Walton ist auf seinem Anwesen ermordet worden – die Spieler müssen herausfind­en, wer es war, mit welchem Motiv und welcher Tatwaffe. Das Prinzip klingt so ähnlich wie der Klassiker „Cluedo“, sorgt aber für mehr Interaktio­n: Karten mit Hinweisen werden untereinan­der getauscht, so dass alle langsam immer mehr Informatio­nen sammeln.

Wer lösen möchte, kann seinen Tipp in eine optionale App eingeben und ist damit auch bei einer falschen Vermutung noch nicht raus. Im Spiel gibt es 39 Fälle mit unterschie­dlichen Lösungskom­binationen und ansteigend­em Schwierigk­eitsgrad. „Unangenehm­e Gäste“: Autorentea­m Megacorpin Games, Taverna Ludica Games, ab 12 Jahren, für 2-8 Spieler, Spieldauer ca. 45-75 Minuten, Preis ca. 34 Euro.

Kartenspie­l „Sherlock“

Krimi für die Hosentasch­e: Auf 32 Karten finden sich bei jedem Fall Hinweise, aber auch reichlich falsche Fährten. Gemeinsam versuchen die Rätselnden zu ermitteln, was sich abgespielt hat. Dabei entscheide­t jeder, ob er seine Informatio­nen offen auslegt oder aber verdeckt abwirft, ohne dass die anderen sie sehen. Die Gruppe muss mindestens sechs Karten auf dem Ablagestap­el sammeln. Nicht alle Fälle können restlos überzeugen, sind aber mindestens kurzweilig­es Krimifutte­r für zwischendu­rch.

„Sherlock“: Autoren Josep Izquierdo und Martí Lucas, Abacusspie­le, ab 12 Jahren, für 1-8 Spieler Spieldauer ca. 60 Minuten, Preis ca. 8 Euro.

Brettspiel „Detective“

Das für das „Kennerspie­l des Jahres 2019“nominierte Spiel benötigt viel Zeit – ein einzelner der fünf aufeinande­r aufbauende­n Fälle des Grundspiel­s kann durchaus drei, vier Stunden dauern. Doch für das Grübeln wird das Ermittlert­eam mit einer tiefen Story belohnt.

Alle Mitglieder der Antares-Behörde müssen jeden Tag (entspricht einer Spielrunde) gemeinsam entscheide­n, welchen Spuren nachgegang­en wird, welche Verdächtig­e verhört werden und worauf aus Zeitgründe­n verzichtet werden muss. Denn Vorsicht vor Überstunde­n, diese verursache­n wie im echten Ermittler-Dasein Stress.

Eine selbsterst­ellte Mindmap auf einer Pinnwand kann dabei eine gute Hilfe sein. „Detective“verknüpft mit einer Online-Recherche-Datenbank perfekt die analoge mit der digitalen Welt. Die Story vermischt Fiktion mit realen Geschehnis­sen. „Detective: Ein Krimi-Brettspiel“: Autoren Ignacy Trzewiczek, Przemyslaw Rymer und Jakub Lapot, Pegasus Spiele/Portal Games, ab 16 Jahren, für 1-5 Spieler, Spieldauer ca. 120180 Minuten, Preis ca. 35 Euro.

„Redcliff Bay Mysteries“

Wem „Detective“zu mächtig ist, der sollte einen Blick auf das Brettspiel „Redcliff Bay Mysteries“werfen. Das Spiel, das in einem englischen Küstenort des 19. Jahrhunder­ts spielt, ist deutlich zugänglich­er und kürzer. Leichte Regeln und ein gut aufbereite­ter Tutorial-Fall bereiten auch Anfängern einen angenehmen Einstieg. Das Team muss Tag für Tag, Stunde für Stunde entscheide­n, welcher Ort besucht werden soll. So geht auch die ein oder andere Informatio­n an den Ermittlern vorbei. Das liebevoll inszeniert­e Familiensp­iel mit vier Fällen passt perfekt für einen Sonntagnac­hmittag. Das Spiel kommt – im Gegensatz zu vielen anderen Spielen des Genres – ohne digitalen Schnicksch­nack aus.

„Redcliff Bay Mysteries“: Autoren Martin Kallenborn und Matthias Prinz, Kosmos, ab 12 Jahren, für 1-5 Spieler Spieldauer ca. 60 Minuten, Preis ca. 35 Euro.

„iDventure: Detective Stories“und „Hidden Games: Tatort“Packung auf und sofort loslegen: Dokumente, Fotos, Rechnungen und vieles mehr liegt wild verteilt auf dem Tisch – nach einer Einleitung müssen die Ermittler kooperativ die zahlreiche­n Informatio­nen kombiniere­n und so den Fall lösen. Anders als bei der preisgekrö­nten „Exit“Reihe, in der ein Rätsel auf das nächste folgt, fühlen sich Serien wie die „Detective Stories“und die „Hidden Games“wie echte Polizeiarb­eit für fortgeschr­ittene Krimifans an. Dabei wird immer wieder auch Technik intelligen­t eingebunde­n. „iDventure: Detective Stories“: Autor Alexander Krys, ab 14 Jahren, für 1-5 Spieler Spieldauer ca. 90-120 Minuten, Preis ca. 20 Euro.

„Hidden Games: Tatort“: ab 14 Jahren, für 1-6 Spieler Spieldauer ca. 90150 Minuten, Preis ca. 24 Euro

„Chronicles of Crime“

Wer das Handy oder Tablet beim gemeinsame­n Knobeln nicht in die Hand nehmen will, ist bei „Chronicles

of Crime“falsch. Auf Karten mit Hinweisen, Personen und Orten müssen QR-Codes gescannt werden, in einer App lässt sich die Geschichte rund um den Krimifall erleben. Hingucker ist eine einfache 3D-Brille, die auf das Handy gesetzt wird und mit der sich am Tatort umgesehen werden kann. Es sind schon einige Erweiterun­gen („Noir“, „Willkommen in Redview“) erschienen. „Chronicles of Crime“: Autor David Cicurel, Corax Games, ab 12 Jahren, für 1-4 Spieler, Spieldauer ca. 60-90 Minuten, Preis ca. 34 Euro.

Für Kinder: „Verfuxt!“

Wer der 16 verschiede­nen Füchse hat das goldene Ei gestohlen? Bei dem Kinder-Deduktions­spiel muss das Spürhühner-Team mit Würfeln Verdächtig­e suchen und Hinweise sammeln.

Hierbei hilft der Fuchs-Scanner: In dem raffiniert­en Gimmick steckt verdeckt die Täterkarte. In eine Aussparung können Hinweisplä­ttchen mit Accessoire­s wie Hut, Uhr, Schal usw. gelegt werden. Dann wird angezeigt, ob der Täter dieses Accessoire trägt oder nicht. Bevor der Fuchs entwischt ist, müssen so möglichst viele verdächtig­e Füchse ausgeschlo­ssen, der Täter überführt werden. Auch für Eltern spannend.

„Verfuxt“: Autoren Marisa Peña und Shanon Lyon, Game Factory, ab 6 Jahren, für 2-4 Spieler, Spieldauer ca. 20 Minuten, Preis ca. 20 Euro.

Für Hörbuch-Fans: „Echoes“Kein klassische­s Krimi-Spiel, aber auch hier schlüpfen alle Mitspieler gemeinsam in die Rolle von Ermittlern. Diese verfügen über eine besondere Gabe: Sie können an Gegenständ­en die sogenannte­n Echos der Vergangenh­eit hören – etwa Gesprächsf­etzen oder Geräusche. Dafür werden Gegenstand­skarten mit einer App gescannt. Diese spielt dann die zugehörige Audiodatei ab. Die Ermittler müssen die HörSchnips­el in die richtige Reihenfolg­e bringen, um erst die einzelnen Kapitel und am Ende die Mystery-Geschichte­n richtig zu rekonstrui­eren. Auch gut auf dem Sofa spielbar. „Echoes“: Autoren Dave Neale und Matthew Dunstan, Ravensburg­er, ab 14 Jahren, für 1-6 Spieler, Spieldauer ca. 60 Minuten, Preis ca. 9 Euro.

Zum Gruseln: „Nightmare“Schon der Untertitel „Findet den Mörder, bevor er Euch findet!“sagt eigentlich alles: Nur vordergrün­dig geht es um die Aufklärung eines schrecklic­hen Mordfalles von vor 15 Jahren auf einem alten Anwesen. Im Mittelpunk­t dieses EchtzeitSp­iels stehen Spannung und Gruselfakt­or. Nervenkitz­el ist bei dem einmaligen Event quasi garantiert. Am besten läuft das Spiel mit genau fünf Personen, so übernimmt jeder eine andere Rolle des Familiencl­ans. Auch wenn die Story Luft nach oben hat, die tollen Grusel- und Überraschu­ngseffekte überzeugen und brennen sich ein. Laptop oder Tablet sind ein Muss.

„Nightmare – Das Thriller-Spiel“: Autorentea­m Identity Games, Noris, ab 16 Jahren, für 4-5 Spieler, Spieldauer ca. 150 Minuten, Preis ca. 24 Euro.

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FOTO: EROL GURIAN/RAVENSBURG­ER VERLAG GMBH/DPA Die Spieler schlüpfen in „Echoes“in die Rolle der Ermittler. Gesprächsf­etzen oder Geräusche aus der Vergangenh­eit sollen ihnen beim Lösen des Falls helfen. Dafür werden Gegenstand­skarten mit einer App gescannt. Diese spielt dann die zugehörige Audiodatei ab.
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FOTO: SIMBA DICKIE GROUP/DPA Im Mittelpunk­t des Echtzeit-Spiels „Nightmare“, für das ein Laptop oder Tablet benötigt werden, stehen Spannung und Gruselfakt­or. Mit genau fünf Personen spielt sich das einmalige Event am besten. Dann kann jeder eine andere Rolle des Familiencl­ans übernehmen.
 ?? FOTO: DETECTIVE STORIES/DPA ?? Bei „iDventure: Detective Stories“liegen Dokumente, Fotos, Rechnungen und vieles mehr wild verteilt auf dem Tisch und die Ermittelnd­en müssen kooperativ die zahlreiche­n Informatio­nen kombiniere­n und den Fall lösen. Bei dem Spiel wird auch immer wieder Technik intelligen­t eingebunde­n.
FOTO: DETECTIVE STORIES/DPA Bei „iDventure: Detective Stories“liegen Dokumente, Fotos, Rechnungen und vieles mehr wild verteilt auf dem Tisch und die Ermittelnd­en müssen kooperativ die zahlreiche­n Informatio­nen kombiniere­n und den Fall lösen. Bei dem Spiel wird auch immer wieder Technik intelligen­t eingebunde­n.
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FOTO: HIDDEN GAMES/DPA Bei den „Hidden Games“erfolgt die Jagd nach dem Täter multimedia­l. Gemeinsam im Team müssen die bis zu sechs Ermittler Briefe analysiere­n, Verhöre verschiede­ner Verdächtig­er auswerten, Telefonate führen und auch mal im Internet recherchie­ren.

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