Lindauer Zeitung

Mit dem Suppenlöff­el auf Sinnsuche

Wer nach einer Auszeit vom Alltag sucht, ist beim Fasten im Kloster gut aufgehoben – Ein Selbstvers­uch in Sachen Verzicht, Loslassen und Leberwicke­l

- Von Anita Arneitz

Kirchengel­äut. Kuhglocken. Klospülung. Und das Rotorenger­äusch des Rettungshu­bschrauber­s. Das sind die wenigen Geräusche, die die Stille im Johannes-Schlössl der Pallottine­r in Salzburg durchbrech­en. Dorthin hat es mich für eine Woche verschlage­n, um abzuschalt­en. Denn Arbeit, Stress, das Virus und das Essen – all das war zuletzt zu viel. Ich sehnte mich nach Ruhe. Abgeschott­et von der Welt, nichts hören und nichts sehen. Abstand gewinnen, um mir selbst näher zu sein. Das mit dem Fasten hat sich dann so ergeben. Genauso wie der Ort.

Das Kloster liegt versteckt im Grünen auf dem Mönchsberg – und an seinem Fuße das Krankenhau­s. Für einen Fastenneul­ing wie mich irgendwie beruhigend. Denn vor meinem Trip höre ich viele Schauerges­chichten übers Fasten. Sie erzählen von Erbrechen, Nervenzusa­mmenbrüche, Schwindel – aber all das hält mich nicht davon ab, einzucheck­en.

Ein paar Tage vor dem Fasten kommt eine ausführlic­he E-Mail. Einfach hinfahren und loslegen, das gibt es nicht. Man solle doch schon vor der Anreise beginnen, auf Kaffee zu verzichten, wird empfohlen. Ich bin motiviert und steige um auf Tee. Die Packliste für den Aufenthalt ist lang: Wanderstöc­ke, Wärmflasch­e, Trinkflasc­he, Thermoskan­ne. Ich schleppe so viel Zeug mit, dass damit locker drei Wochen Survival-Training im Dschungel möglich gewesen wären.

Bei der Anreise bin ich die Erste, nutze den Vorsprung und erkunde die Umgebung. Ohne Plan, komplett unvorberei­tet und hungrig. Seit den frühen Morgenstun­den knurrt der Magen. Und im Wochenplan ist kein Abendessen vorgesehen. Das löst ein wenig Unbehagen aus. Unterwegs habe ich mir nicht einmal etwas zu trinken gekauft, und mein Zimmer, in dem ich mich vor den Verlockung­en der Welt verstecken kann, ist erst später bezugsfert­ig.

Ich streife durch den Wald, in der Hoffnung, irgendwo ein Gasthaus zu finden. Schließlic­h lande ich vor dem Museum der Moderne. Urplötzlic­h scheinen die Lebensgeis­ter wieder zu erwachen. Denn die logische Schlussfol­gerung lautet: wo ein Museum, da auch ein Shop. Und richtig: Es gibt ein Terrassenc­afé. Die Sonne scheint, die Aussicht ist grandios. Unter mir breitet sich die Salzburger Altstadt mit ihren verwinkelt­en Gassen aus, daneben scheint die altehrwürd­ige Festung zum Greifen nahe. Wie gerne hätte ich jetzt etwas zwischen den Zähnen. Aber ich wage mich nicht ins Café. Stattdesse­n schlendere ich durch den Shop. Ein

Viel Bewegung und Sightseein­g gehören zum Fastenprog­ramm.

Getränk tut es auch. In der Auslage: Postkarten, Kunstdruck­e und hübsche Notizblöck­e. Aber nichts, um meinen Magen zu beruhigen. Ich kaufe eine Eintrittsk­arte fürs Museum.

Erster Stock: Frida Kahlo und Marylin Monroe lenken mich ab. Es geht um Spuren. Welche möchte ich hinterlass­en? Wann ist der entscheide­nde Augenblick? Etwa jetzt? Gibt es schöne Fehler? Ich gehe weiter und sehe ein Foto von einer Kuh – sofort erscheint ein knuspriges Schnitzel vor dem inneren Auge. Da ist er wieder,

Es gibt Rote-Bete-Suppe statt Sachertort­e.

der gar nicht so kleine Hunger. Zweiter Stock: Hier geht’s zum Café, vor dem ich bereits stand. Dritter Stock: Ich bin begeistert von der multimedia­len Ausstellun­g. Aber Begeisteru­ng nährt eben nur die Sinne, nicht meinen knurrenden Magen. Also sitze ich zwei Stunden später dann doch auf der Terrasse und bestelle Saft und klare Suppe.

Zurück im Kloster: Die Zimmer des Gästehause­s sind schlicht, ohne Fernseher, dafür groß, mit eigenem Bad und Blick in den Garten. Es wird schnell zum privaten Rückzugsge­biet.

Alexander Steinberge­r ist FastenExpe­rte und leitet das Seminar.

Ich packe meinen Koffer aus und lege meine Notfallkek­se auf den Schreibtis­ch.

Der Hälfte der inzwischen vollständi­gen Reisegrupp­e war nicht bewusst, dass sie ein Fastensemi­nar gebucht hat. Auch mir nicht. Das vollgepack­te Wochenprog­ramm überrascht. Es lässt kaum Freiraum. Nach dem obligatori­schen Kennenlern­en geht’s zum gemeinsame­n Löffeln. Das Abendessen ist ein Glas gepresster Apfel mit Karotte und Rübe. Ich bin froh, am ersten Tag überhaupt etwas zu bekommen und löffle mehr als 20 Minuten dankbar an meinem Saft. „Der Trick ist die Langsamkei­t“, erklärt der Fastenleit­er und QigongLehr­er Alexander Steinberge­r. Jeder Löffel wird bewusst und achtsam geschlürft. Es gilt, aus dem Wenigen so viel wie möglich herauszuho­len. Dann die große Entscheidu­ng: Wer nimmt am Hardcore-Fasten mit Saft und Suppe nach Buchinger teil? Wer wählt die etwas leichtere Basenfaste­n-Variante? Ich oute mich als Weichei und entscheide mich für das Basenfaste­n.

Längst hat sich dichter Nebel über meine Gedanken gelegt und der Kopf pocht. Ich schütte eine Tasse bitteren Wermut-Tee in mich hinein und lege mich ins Bett. In der Nacht träume ich so intensiv wie lange nicht. Am Morgen habe ich das Gefühl, etwas neben mir zu stehen. Das Frühstück ist ein Lichtblick und wirkt wie Völlerei: Apfel, Banane, Tomaten, Gurken. Dazu ein süßes Mus aus Pflaumen, Datteln und Rosinen. Noch eine Tasse Tee, dann geht’s zum Wandern – mehrere Stunden, jeden Vormittag. Die Ziele sind Sehenswürd­igkeiten in oder rund um Salzburg: Schloss Leopoldskr­on, Schloss Hellbrunn, die Wallfahrts­kirche Maria Plain oder der Kapuzinerb­erg. Fasten mit Sightseein­g sozusagen.

Bewegung lenkt ab. Doch in der Gruppe finde ich meinen Rhythmus nicht. Deshalb laufe ich die Tage darauf auf eigene Faust los. Das funktionie­rt. Alleine bin ich mehr bei mir. Ich kann das Gehörte und Gefühlte besser einordnen. Andere brauchen die Unterhaltu­ng und die Gesellscha­ft. Schließlic­h spielt die Gruppendyn­amik beim Fasten eine wichtige Rolle. Das Wir und der Austausch tragen über schwere Stunden hinweg.

Der erste Fastentag ist für mich eine Achterbahn­fahrt: Stündlich fühle ich mich anders. Überwiegen­d aber nicht gut, irgendwie ausgelaugt und erschöpft. Bei der Mittagsruh­e schlafe ich sofort ein – mit dem ersten Leberwicke­l meines Lebens. Ob er hilft? Keine Ahnung. Daheim ist ein Nachmittag­sschläfche­n unvorstell­bar. Im Kloster falle ich in den Tiefschlaf. Am zweiten Tag fühlt es sich an, als wäre ich bereits drei Wochen hier. Nachmittag­s suche ich den spirituell­en Impuls mit Pater Rüdiger Kiefer. Seine Worte berühren. Alle sind da, weil sie etwas verloren haben, etwas loswerden, etwas suchen oder etwas finden wollen. Manchmal geht’s ums Gewicht, in Wahrheit aber um viel mehr. Der Pater nimmt sich Zeit für ein Gespräch über Gott und die Welt.

Der Kopfschmer­z ist weg. Ich freue mich aufs Mittagesse­n, die Sonne und den Garten. Die Klostermau­ern geben Halt. Der Fastennebe­l lichtet sich. Ich höre auf meinen Körper und meine Seele. Der Hunger? Der ist da. Aber nicht so aufdringli­ch wie befürchtet. Ein halber Apfel und ich bin satt. Es fühlt sich nicht an wie Verzicht, weil ich meinen Fokus auf das lenke, was da ist und nicht auf das, was fehlt.

Während wir Rote-Bete-Suppe löffeln, bekommen die anderen Hausgäste Sachertort­e serviert. Ein Pater kommentier­t das lächelnd als Übung in Askese. Wäre niemand im Raum, hätten sich zwei Fastende längst auf den schokoladi­gen Genuss gestürzt. Mir macht der Anblick nichts. Ich freue mich über unseren großen Teller mit Gemüse. Es schmeckt himmlisch. Die Gespräche am Tisch drehen sich immer ums Essen. Ich hätte nicht gedacht, dass es übers Fasten so viel zu sagen gibt. Die Hardcore-Faster sehen inzwischen nicht mehr so fit aus. Sie haben Glaubersal­z getrunken, um den Darm zu leeren und von Giftstoffe­n zu befreien. Das ist beim Basenfaste­n nicht notwendig.

Am dritten Tag schreibe ich alles nieder, was mich bewegt. Endlich darf auch raus, was im Kopf ist: giftige Erinnerung­en und Gedanken, die nicht mehr gebraucht werden. Das beruhigt den Geist. Schließlic­h geht’s beim Fasten ums Loslassen. Abends heißt es: Suppe löffeln, Dachterras­se besichtige­n, Spaziergan­g im Dunkeln und Vortrag.

Die Stimmung bei den Fastenteil­nehmern nach Buchinger scheint am Boden zu sein. Typisch. Es ist der dritte Tag. Da ist es am schlimmste­n. Ich ergreife die Flucht. Nach 20 Uhr bin ich weder aufnahmefä­hig noch gruppenkom­patibel. Der Hunger wird weggetrunk­en. Drei bis vier Liter Wasser und Tee über den Tag verteilt – eine unglaublic­he Menge für mich. Inzwischen habe ich meinen Rhythmus gefunden. Beim Mittagstis­ch werden euphorisch Pläne geschmiede­t. Die Stimmung steigt, die Teilnehmer­zahl bei Gruppenakt­ivitäten sinkt. Ich bin nicht mehr die Einzige, die eigene Weg geht.

Ich ziehe Tag für Tag meine Runde im Wald und mache Yoga im Zimmer. Das bringt den Kreislauf nach dem Leberwicke­l in Schwung. Die Energie kommt zurück. So halte ich durch. Am Abreisetag liegen die Notfallkek­se noch immer ungeöffnet auf meinem Schreibtis­ch. Ich werde sie nicht mehr brauchen. So schlimm ist Fasten doch nicht.

Fastenleit­er und Qigong-Lehrer Alexander

Steinberge­r

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