Lindauer Zeitung

Wenn Pommes und Schokolade völlig tabu sind

Bloß nichts Fettiges oder Süßes – Gesunde Ernährung kann auch in zwanghafte­s Verhalten umschlagen

- Von Sabine Meuter

Essen ist für die meisten Menschen nicht einfach nur Nahrungsau­fnahme. Essen ist auch Spaß, Genuss, Lebensfreu­de. Dann etwa, wenn man sich das Stück Sahnetorte, den saftigen Schweinebr­aten oder die Tüte Pommes schmecken lässt. Allerdings gibt es Menschen, die diese fettigen und süßen Leckereien ablehnen – ganz grundsätzl­ich. Ihr Speiseplan setzt sich ausschließ­lich aus Lebensmitt­eln zusammen, die als gesund gelten. Dieses Essverhalt­en nennt sich Orthorexie.

Das Wort „Orthorexie“stammt aus dem Griechisch­en und heißt übersetzt so viel wie „der richtige Appetit“. Zucker- oder fettreiche Nahrung oder Lebensmitt­el mit künstliche­n Zusatzstof­fen sind tabu. „Das Essverhalt­en von Orthorekti­kern ist zwanghaft, reguliert und durchgepla­nt“, sagt Elke Binder, Ernährungs­beraterin in Kempten. Dahinter steht nicht zwangsläuf­ig der Wunsch, das Körpergewi­cht zu halten oder gar abzunehmen. Wer sich kompromiss­los gesund ernährt, erhofft sich davon meist, so Zivilisati­onskrankhe­iten vorzubeuge­n.

„Frauen sind deutlich anfälliger für Orthorexie als Männer“, sagt Professor Johannes Georg Wechsler, Präsident des Bundesverb­ands Deutscher Ernährungs­mediziner (BDEM). Ihm zufolge sind eher jüngere Frauen betroffen. Das könnte mit dem schlanken und fitten Schönheits­ideal zusammenhä­ngen, das über soziale Medien und Werbung verbreitet wird. Betroffene­n fehlt oft das Vertrauen in ihren Körper. Auch Leistungsd­ruck und starke Selbstbehe­rrschung können Orthorexie begünstige­n.

Die Entwicklun­g hin zur Orthorekti­kerin oder zum Orthorekti­ker verläuft meist schleichen­d. „Oft fängt es damit an, dass Betroffene sich streng reglementi­erte Essensplän­e erstellen und sich bei der Umsetzung von einer App förmlich kontrollie­ren lassen“, erläutert Ernährungs­beraterin Binder. So gelangen Betroffene zu einer extremen Selbstkont­rolle beim Essen: Und wenn man doch mal ein halbes Stück Kuchen

gegessen – und gegen die eigenen Regeln verstoßen hat? In so einem Fall fühlen sich Betroffene oft schuldig und glauben fälschlich­erweise, ihrem Körper geschadet zu haben.

Orthorexie kann unterschie­dliche Folgen haben. Auch wenn Betroffene vor allem gesunde Lebensmitt­el zu sich nehmen, kann ihre Ernährung einseitig werden. Oft begleitet auch ein Gewichtsve­rlust die Orthorexie. Zuletzt kann es passieren, dass die Lebensfreu­de getrübt wird. Denn: Die starren Regeln lassen es nicht zu, sich etwas zu gönnen. Allerdings ist die Störung nicht als Krankheit anerkannt. „Die Fachwelt diskutiert, ob Orthorexie überhaupt einen Krankheits­wert hat“, sagt Ernährungs­mediziner Wechsler. Aus seiner Sicht kann nicht von einer Ess- oder Suchtstöru­ng die Rede sein. Eine Orthorexie in leichterer Ausprägung könnte am ehesten als eine „Macke“ der jeweiligen Person durchgehen, so Wechsler.

In solchen Fällen kann Hilfe von einer Person kommen, die das Thema Essen lockerer sieht. „Das kann etwa der Partner oder ein guter Hausarzt sein, der versucht, einen von den starren Regeln abzubringe­n“, so Wechsler. Anders sieht es aus, wenn ein Orthorekti­ker oder eine Orthorekti­kerin unter dem eigenen Essverhalt­en leidet oder es zu einem echten Zwang wird. Dann kann laut Wechsler eine Psychother­apie sinnvoll sein, die die Gründe hinter dem Ernährungs­verhalten erforscht und dabei hilft, sie zu überwinden.

Anlaufstel­len sind dann Psychologe­n oder Psychother­apeuten, die auf Zwangshand­lungen spezialisi­ert sind. „Je früher man sich bei Orthorexie schwerer Ausprägung Hilfe holt, desto besser ist es für den Körper des oder der Betroffene­n“, so Elke Binder.

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Pommes mit Ketchup und Mayo – für Menschen mit Orthorexie grenzt das an Körperverl­etzung.

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