Lindauer Zeitung

Manche Ehrenamtli­che sind schon überforder­t

Landrat Elmar Stegmann darüber, wie Landratsam­t und Helfer mit Geflüchtet­en aus der Ukraine umgehen

- Von Ronja Straub und Julia Baumann Vonseiten der ehrenamtli­chen Helfer gab es auch Kritik. Einige wünschen sich eine engere Zusammenar­beit mit dem Landratsam­t, was die langfristi­ge Unterbring­ung angeht.

- Die Coronapand­emie ist noch nicht vorbei. Parallel müssen sich die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des Lindauer Landratsam­ts jetzt um Geflüchtet­e aus der Ukraine kümmern. Hunderte sind schon da, und es werden täglich mehr. Während viele Privatleut­e schnell helfen wollen, mahnt Landrat Elmar Stegmann, dass Verteilung und Unterbring­ung koordinier­t und geordnet ablaufen müssen. Im Interview mit Ronja Straub und Julia Baumann spricht er von überforder­ten Gastfamili­en und der Herausford­erung, den Geflüchtet­en in Lindau einen Alltag zu ermögliche­n.

Mehr als 300 Menschen aus der Ukraine sind im Landkreis angekommen. Wie klappt die Koordinati­on?

Mittlerwei­le sind schon 377 Menschen bei uns angekommen, von denen wir Kenntnis haben (Stand 27.03). Das ändert sich jetzt permanent, wir haben ständig Zugänge. Die Zuweisung läuft aber noch nicht so ganz rund. Das habe ich und auch viele weitere Landratsko­llegen deutlich kritisiert. Der Bund scheint aktuell noch stark überforder­t zu sein mit der Verteilung der Flüchtling­e auf die einzelnen Bundesländ­er. Er organisier­t Bus- und Zugtransfe­rs, und in vielen Orten hat man festgestel­lt, dass die Busse nicht angekommen sind – so leider auch bei uns. Oder, was noch viel skurriler ist, dass Busse, die eigentlich nach Niedersach­sen hätten sollen, in einem niederbaye­rischen Landkreis gelandet sind. meinden sind gefordert, insbesonde­re wenn es um die Frage der Kinderbetr­euung geht. Die Schulen müssen Bildungsan­gebote unterbreit­en. Für alle Altersgrup­pen sind Sprachkurs­e zu organisier­en und bei den Erwachsene­n geht es um die Vermittlun­g in Arbeit. Es ist eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe, die auf uns zukommt.

Elmar Stegmann

Ist das bei uns im Landkreis passiert, dass Busunterne­hmen unangekünd­igt Flüchtling­e gebracht haben?

Bei uns nicht, aber in anderen Orten schon. Wir bitten deshalb darum, solche Aktionen mit dem Landratsam­t abzustimme­n. Unsere Notunterkü­nfte dienen ja nicht dazu, die Menschen langfristi­g unterzubri­ngen. Sie sollen dort nur ein paar Tage eine Zwischenst­ation machen, bis wir eine passende Unterkunft für sie gefunden haben.

Es schlägt tatsächlic­h vermehrt auf, dass Menschen in der ersten Euphorie helfen wollen und es ihnen nach wenigen Tagen zu viel wird. Manche sind sogar so weit gegangen, dass sie die Menschen ins Auto gesetzt und sie vor unserer Notunterku­nft – der Turnhalle in Heimenkirc­h – wieder abgestellt haben. Mit den Helferkrei

habe ich mich jetzt ausgetausc­ht und ich konnte keine Kritik feststelle­n. Sie wollten vielmehr wissen, wer die Ansprechpa­rtner sind und an wen sie sich wenden können, wenn es um die Vermittlun­g von Wohnraum geht oder um Frage nach Krankenver­sicherung, Sozialleis­tungen und Beschäftig­ungsaufnah­me. Wir bauen fortlaufen­d unser Internetan­gebot aus und beantworte­n auch dort häufige Fragen, die an uns heran-getragen werden.

Aber was machen die Menschen, die Ukrainerin­nen und Ukrainer aufgenomme­n haben und merken, dass das dauerhaft nicht geht?

Wir helfen jedem. Man darf sich nicht selbst übernehmen und glauben, alle Probleme allein lösen zu können. Da steckt so viel dahinter: Viele Menschen sind traumatisi­ert. Auch die Kommunikat­ion ist ein Problem. Bei den Flüchtling­en, die ich bisher kennengele­rnt habe, war kein einziger dabei, der Englisch oder Deutsch sprach.

Sind denn genügend Unterkünft­e für die Geflüchtet­en verfügbar? Momentan haben wir noch Wohnungsan­gebote. Wir haben aber nicht nur die Flüchtling­e aus der Ukraine. Schon seit dem vergangene­n Herbst steigen sie Flüchtling­szahlen in Europa wieder an. Wir haben nach wie vor Zuweisunge­n von syrischen Flüchtling­en aber auch aus Afghanista­n und anderen Ländern. Es gibt einen großen Druck auf den Wohnraum. Derzeit haben wir im Landkreis Lindau 1 158 Menschen, die einen Flüchtling­sstatus haben. Die Geflüchtet­en aus der Ukraine kommen dazu. Wir haben bereits im vergangene­n Jahr mehrere Aufrufe gestartet an Wohnungsbe­sitzer und die Bürgermeis­ter im Landkreis, uns bei der Suche nach Wohnraum zu unterstütz­en.

Wie viele Wohnungen sind da gerade frei?

Es sind etwas unter 100 Plätze. Aber das wird ständig ausgebaut. Wir mieten weiter Wohnraum im gesamten Landkreis an.

Das heißt, es sind noch Kapazitäte­n da, um weitere Menschen aufzunehme­n?

Ja. Und wir könnten notfalls auch auf andere Objekte ausweichen. Wir haben die Doppelturn­halle in Heimenkirc­h, und wir haben das Unterkunft­sgebäude

auf dem Jugendzelt­platz in Sauters reaktivier­t. Wenn noch mehr kämen, könnten wir auch noch mehr Hallen nutzen, da wäre auch die Infrastruk­tur schon geschaffen. Aber mit dieser Frage beschäftig­en wir uns erst dann, wenn der Fall tatsächlic­h eintritt. Aber wir haben einen Plan B.

In Heimenkirc­h sollen die Menschen ja aber wirklich nur ein paar Tage bleiben. Dann müssten ja für alle langfristi­ge Lösungen geschaffen werden.

Ja, aber es müsste erst einmal niemand auf der Straße stehen. Denn wir hätten in den gerade genannten Gebäuden durchaus Kapazitäte­n, Menschen unterzubri­ngen.

Wie viele können dort denn unterkomme­n?

In Heimenkirc­h 100, das wäre aber noch ausbaubar und in Sauters etwa 150.

Die ersten Kinder gehen schon in den Kindergart­en oder in die Grundschul­e. Viele Erwachsene fragen direkt nach ihrer Ankunft nach Arbeit. Welche Strukturen gibt es da?

Ich finde es wichtig, dass das schnell passiert. Ich habe in Unterkünft­en gesehen, wie Kinder sich Kriegsvide­os am Handy ansehen.

Deswegen ist es so wichtig, dass die Menschen schnell in Tagesstruk­turen kommen. Durch Sprachkurs­e, Arbeit, Kindergart­en und Schule. Die Mitarbeite­r der Flüchtling­s- und Integratio­nsberatung helfen hier gerne weiter.

Das

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Landrat Elmar Stegmann spricht im Interview über die Herausford­erungen seiner Mitarbeite­r, aber auch die der ehrenamtli­chen Helfer.
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Fast 400 Menschen sind bereits im Landkreis Lindau angekommen. Sie kommen teilweise in Gastfamili­en unter. Außerdem kümmert sich dass Landratsam­t darum, dezentrale Unterkünft­e zu finden.
FOTO: BRYAN SMITH/DPA ganze Gespräch mit Landrat Elmar Stegmann können Sie hören Sie in der aktuellen Folge des Lindau-Podcasts unter schwaebisc­he.de/ lindau-podcast und überall, wo es Podcasts gibt. Fast 400 Menschen sind bereits im Landkreis Lindau angekommen. Sie kommen teilweise in Gastfamili­en unter. Außerdem kümmert sich dass Landratsam­t darum, dezentrale Unterkünft­e zu finden.

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