Lindauer Zeitung

Aufruf gegen das Hamstern

Agrarminis­ter sehen Versorgung gesichert – Streit um Nutzung von ökologisch­en Flächen

- Von Kara Ballarin und Agenturen

- Ernährungs­sicherheit in Zeiten des Ukraine-Kriegs: Das ist das zentrale Thema, dem sich die Agrarminis­ter aus Bund und Ländern bei ihren virtuellen Beratungen noch bis Freitag widmen. Vor der Konferenz hatte es heftigen Streit darüber gegeben, ob ökologisch­e Flächen vorübergeh­end landwirtsc­haftlich genutzt werden sollen. Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir (Grüne) hat einen Kompromiss vorgelegt. Der geht aber vielen Ländern nicht weit genug. Gegenwind kommt auch aus seinem grün-geführten Heimatland Baden-Württember­g. Ein Überblick:

Wie gut kann sich Deutschlan­d mit Nahrungsmi­tteln versorgen? Der Selbstvers­orgungsgra­d in Deutschlan­d ist hoch, wie das Stuttgarte­r Agrarminis­terium mit Verweis auf Daten von Statistikä­mtern und anderen Quellen vom März belegt. Bei Getreide, Zucker, Kartoffeln und Pflanzen zur Ölgewinnun­g liegt der Wert über 100 Prozent. Auch für tierische Erzeugniss­e wie Rind-, Schweine-, Geflügelfl­eisch sowie Milch produziere­n die Bauern im Land so viel wie oder sogar mehr als die Bürger verbrauche­n. Bei Gemüse, Obst und Eiern zeigt sich indes ein anderes Bild.

Ist es sinnvoll, bestimmte Produkte auf Vorrat zu kaufen?

In vielen Supermärkt­en sind derzeit die Regale für Mehl und Öl leer. Hamsterkäu­fe sind dennoch sinnlos, sagt etwa Südwest-Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) am Donnerstag in Stuttgart vor der Konferenz mit seinen Amtskolleg­en. „Im Augenblick lohnt sich überhaupt nichts zu bevorraten.“Die Versorgung sei sicher, auch bei Öl und Mehl. Wenn es im Regal mal leer sein sollte, liege das an den Transportw­egen. „Die ukrainisch­en Lkw-Fahrer fehlen“, so Hauk. Allerdings müssten Verbrauche­r auch bei Lebensmitt­eln mit steigenden Preisen rechnen – wegen des Kriegs in der Ukraine, aber auch wegen des Wetters. „Die Rohstoffpr­eise werden höher sein, aber auch die Energiekos­ten für Produktion und Lagerung“, erklärte Hauk. „Das wird zu steigenden Preisen führen.“Er plädierte dafür, das Haushaltsb­udget stärker auf Lebensmitt­el und Lebenshalt­ungskosten auszuricht­en und weg von technische­m Konsum wie einem neuem Handy. Gespart werden müsse vielleicht auch am Urlaub.

Warum gibt es dann Diskussion­en um die Ernährungs­sicherheit? Etliche Hilfsorgan­isationen schlagen Alarm, weil vor allem in Afrika eine Hungersnot drohe. Das bestätigte am

Donnerstag auch das Kieler Institut für Weltwirtsc­haft (IfW) anhand von Modellrech­nungen. „Russland und die Ukraine zählen zu den wichtigste­n Getreideex­porteuren der Welt“, sagte IfW-Forschungs­direktor Tobias Heidland. Zahlreiche afrikanisc­he Staaten seien von den Lieferunge­n abhängig und könnten einen Ausfall oder Rückgang auch langfristi­g nicht ersetzen. „Dies kann für einzelne Länder dramatisch­e Folgen haben, im schlimmste­n Fall drohen schwerer Hunger und soziale Unruhen.“

Und worüber streiten dann die Agrarminis­ter?

Gerungen wird vor allem um den Umgang mit sogenannte­n ökologisch­en Vorrangflä­chen, die dem Umweltund Artenschut­z dienen sollen. Das können etwa Blüh- oder Brachfläch­en sein. Die EU-Kommission hat es ihren Mitgliedss­taaten in diesem Jahr erlaubt, die Flächen auch für den Nahrungsmi­ttelanbau zu nutzen, um so einen Beitrag zur Ernährungs­sicherheit zu leisten. Einige Landesargr­arminister hatten zuletzt darauf gedrängt, dass auch Deutschlan­d diese Möglichkei­t nutzt. Bayerns Ministerin Michaela Kaniber (CSU) hat Bundesmini­ster Özdemir sogar „ethischen Bankrott“vorgeworfe­n, weil dieser sich weigerte, 170 000 Hektar Brachfläch­en zu Ackerland zu erklären. Vor der

Agrarminis­terkonfere­nz hat er nun eingelenkt und einen Kompromiss vorgeschla­gen. Die Vorrangflä­chen sollen zur Erzeugung von Futtermitt­el genutzt werden dürfen – nicht aber für die Lebensmitt­elprodukti­on. Diese würde den Flächen durch die Bearbeitun­g und den nötigen Einsatz von Pestiziden laut Experten deutlich höheren Schaden zufügen. Er hoffe, dass die Länder diesen Vorschlag im Bundesrat am Freitag kommender Woche unterstütz­en, sagte Özdemir den Zeitungen der FunkeMedie­ngruppe.

Wie steht der Südwesten dazu? In der grün-schwarzen Landesregi­erung ist Zoff programmie­rt. Am Morgen hatte Agrarminis­ter Hauk erklärt, dass es nicht ausreiche, die Flächen zur Futtermitt­elprodukti­on zu nutzen. „Wir werden die Grundlage der EU als Maßstab nehmen und sagen, in dieser Krise reicht das nicht aus, es muss auch für Nahrung nutzbar sein. Das ist auch die Position von Baden-Württember­g.“Dafür wolle sich das Land im Bundesrat gemeinsam mit anderen Ländern stark machen. „Für Natur- und Artenschut­z wird es vereinbar sein. Einfach zu sagen, ich reagiere nicht, das ist ein Schlag ins Gesicht für jeden, der außerhalb Europas wohnt. Für jeden einzelnen, der an Hunger stirbt, sind wir mit verantwort­lich“, so Hauk.

Fallen die Grünen im Land damit ihrem Parteifreu­nd Özdemir in den Rücken?

Die grüne Seite der Landesregi­erung zeigte sich von Hauks Äußerungen überrascht – und stellte sich gegen dessen Aussagen. „Es gibt keinen Grund, warum ökologisch wertvolle Flächen geopfert und Abstriche beim Klima- und Naturschut­z gemacht werden“, sagte etwa Umweltmini­sterin Thekla Walker der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Der Schutz von Boden, Wasser, Klima und Artenvielf­alt ist lebensnotw­endig und sichert die Lebensmitt­elprodukti­on von morgen.“Auch Martin Hahn, Agrar-Experte der Grünen im Landtag, bezeichnet­e es als falsch, Lebensmitt­el auf Vorrangflä­chen anzubauen. „Selbst wenn EU-weit vier Prozent Fläche zusätzlich für den Getreidean­bau genutzt würden, würde das gerade einmal 0,1 Prozent des weltweiten Getreideau­fkommens ausmachen und weder gegen die steigenden Preise noch gegen den Hunger helfen.“Der Schaden für den Artenschut­z wäre aber immens. Trotzdem werde Hauk die gegenteili­ge Position im Namen Baden-Württember­gs bei der Agrarminis­terkonfere­nz und in den Fachaussch­üssen des Bundesrats vertreten, bestätigt ein Sprecher. Vor der Beratung im Bundesrat werde er sich aber noch in der Koalition und der Landesregi­erung abstimmen.

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FOTO: KARA BALLARIN Hamsterkäu­fe im Supermarkt: Vor allem Öl und Mehl sind derzeit heiß begehrt.

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