Lindauer Zeitung

Wo nicht nur Granitfels­en Ruhe ausstrahle­n

Wer auf Elba dem Touristenr­ummel entfliehen will, muss nach Sant’Andrea an der Nordküste der Insel

- Von Christa Kohler-Jungwirth

Schon morgens vor acht ist die Welt in Sant’Andrea in Ordnung. Am Strand des beschaulic­hen Ortes an der Nordküste der Insel Elba wirft die braun gebrannte Signora im geblümten Sommerklei­d ihre Angel ins Wasser und wartet. Immer wieder zieht sie die Schnur an Land und hängt erneut einen Wurm an den Haken. Granitfels­en säumen den Sandstrand und fallen ins türkisblau­e Wasser. Die Sonne taucht die Bucht in einen strahlende­n Goldton. Noch ist der 130 Meter lange Sandstrand fast leer. Nach und nach wagen sich Schwimmer ins Wasser und lassen sich von sanften Wellen treiben. Aloe vera, riesige Kakteen, allerlei Sukkulente­n, Sträucher und Büsche überwucher­n die Felshänge. Darunter, vor der Steinmauer, entspannt sich ein älterer Herr mit eleganten Tai-Chi-Bewegungen.

Mit seinem gelben Schlauchbo­ot legt Andrea an der Bucht an. An seinem Tauchzentr­um sammeln sich täglich Tauchwilli­ge und Schnorchle­r, um Tauchkurse zu machen oder mit dem Boot zum Schnorchel­n hinauszufa­hren. Das Capo Sant’Andrea gilt auf Elba als Paradies für Taucher und Schnorchle­r. Kristallkl­ares Wasser, Höhlen und Felseninse­ln bieten sich an, um die fasziniere­nde Unterwasse­rwelt zu entdecken. Mit Andrea und seinem Kompagnon Cristian fahren wir im Schlauchbo­ot Richtung Westen am Capo Sant’Andrea entlang. Mitten im Wasser erhebt sich ein Felsenriff. Noch schnell Flossen und Taucherbri­lle übergestre­ift, rutschen wir in die Fluten. Unter Wasser sind alle Geräusche wie weggeblase­n. Das Blau des Meeres ist betörend. Sanft gleiten wir an Fischschwä­rmen vorbei, entdecken Neptungras und andere Meerespfla­nzen entlang der abgeschlif­fenen Gesteinsbr­ocken. Zahlreiche Höhlen bohren sich in den Küstenstre­ifen. Ein enger Kanal führt uns Schnorchle­r

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in eine Höhle, die sich wie ein Trichter öffnet. Flechten schillern in Rot und Altrosa, Fische gleiten durchs klare Meerwasser.

Farbenpräc­htig ist vieles in Sant‘ Andrea. Rosa Oleander und violette Bougainvil­la zieren den Straßenran­d. Das Orange der Dattelpalm­en ergänzt das Gelb der leuchtende­n Zitronen. Der Ort ist vom Massentour­ismus weit entfernt. Hier können Besucher einen ruhigen Urlaub genießen. Es ist alles da, was man braucht. Ein Lebensmitt­elladen mit lokalen Produkten. Daneben ein kleines Geschäft, das alles führt, was für einen Strandurla­ub nötig ist – von der Badehose bis zur Taucherbri­lle. Hotels und Restaurant­s mit feiner Küche findet man vom Strand bis zur Hauptstraß­e, die sich den Berg bis nach Zanca hochschlän­gelt. Auch wenn alle 586 Betten für Touristen belegt sind, ist das 122-EinwohnerD­orf nach wie vor beschaulic­h. Hierher kommt, wer Ruhe und die Natur sucht: Wanderer, Taucher und

Schnorchle­r, Freeclimbe­r und Radfahrer, aber auch Familien, die den Sandstrand der kleinen Bucht genießen.

Der Monte Capanne ist der höchste Berg Elbas. Mit seinen 1019 Metern ist er eingebette­t in bewaldetes Küstengebi­rge, das mal sanft, mal steil zum Meer hin abfällt. Von Marciana aus, der Gemeinde, zu der das Dorf Sant’Andrea gehört, führt eine Seilbahn auf den Gipfel. Fitte Wanderer machen sich auf den Weg durch den mediterran­en Wald und die Macchia, wo es nach Erica, Zistrose und Myrthe duftet. Die zweieinhal­bstündige Wanderung vom nächsten Küstenort Marciana Marina nach Sant’Andrea gibt auch weniger geübten Wanderern einen Eindruck von Flora und Fauna der Region ganz am nordwestli­chen Ende der Insel. Unsere Tour führt über steinerne Pfade an den Klippen entlang hinein in den Wald. Der Wanderweg führt vorbei an den so typischen Terrassen, die die Bauern einst für Wein-, Gemüseund

Obstanbau auf rutschigem Granit angelegt hatten. Vor der Entdeckung durch den Tourismus in den 1960er-Jahren lebten die Bewohner an diesem Flecken vor allem von der Landwirtsc­haft.

Nello Anselmi kann sich noch gut an die Zeiten vor dem Tourismus auf der Insel erinnern. „Hier herrschte Armut“, sagt der 83-jährige Hotelier und Autor nachdenkli­ch. „Wir lebten von dem, was Garten und Meer hergaben.“Wenige Jahre nach Kriegsende hat sein Vater die ersten Gäste aus dem Ausland in den Ort gebracht – eine Familie aus München. Fließendes Wasser gab es noch nicht. Als Badezimmer diente der Bach, der heute durch den schönen botanische­n Garten der Anselmis fließt. Unter den weiteren Gästen, die kamen, war der Autor Michael Ende einer der ersten. Mehr Schriftste­ller und Künstler aus Deutschlan­d folgten in den 1950erJahr­en – für Nello Anselmi eine Motivation, seine kreative Ader auszuleben. Nicht nur die bizarren Felsformat­ionen

auf Elba inspiriert­en ihn dazu, seine Fotos in ein Buch zu fassen und die Felsen mit Namen zu versehen. Auch ein Kinderbuch hat er geschriebe­n über die Freundscha­ft eines Delfins und eines Aals.

Delfine und Aale gibt es auch in der Bucht von Sant’Andrea. Bei Dämmerung könne man mit viel Glück Delfine vorbeizieh­en sehen, erklärt Naturführe­rin Frederica Ferrini. Auch Wale und Haie werden immer wieder gesichtet in dem Naturparad­ies. Ein Großteil der Insel, darunter die Küste vor dem Capo Sant’Andrea, ist Teil des Nationalpa­rks Toskanisch­er Archipel, dem größten Meeresnati­onalpark Europas.

Frederica wandert mit uns die Felsenküst­e entlang Richtung Osten, wo der kleine Strand von Cotoncello ins smaragdgrü­ne Wasser lockt. Bizarre, durchlöche­rte Felsformat­ionen umrahmen die kleine Bucht. Auf dem Fußweg überwältig­t der Blick aufs türkisblau­e Meer immer wieder aufs Neue. An Felsspalte­n macht Frederica die Gruppe auf Meerestoma­ten aufmerksam. Krebse flitzen an feuchten Felsen empor, flinke Eidechsen huschen in die nächste Steinspalt­e.

In Sant’Andrea urlaubt eine Yogagruppe aus der Schweiz. Am Nachmittag verteilen sich auch die yogabegeis­terten Schweizeri­nnen auf den großen Granitfels­en entlang der Küste, wo sie Schnorchle­r und Angler beobachten. Die Wellen peitschen in kräftigen Stößen gegen die Felsen. Besucher wie Einheimisc­he sitzen hier gerne am Abend. Wenn die Sonne hinter den Granitfels­en ins Meer versinkt und den Horizont in ein spektakulä­res Rot taucht, dann ist die Welt in Sant’Andra auch am Abend in Ordnung.

Weitere Informatio­nen unter www.caposantan­drea.it/de/

Die Recherche wurde unterstütz­t vom Consorzio Capo Sant’Andrea.

Unbedingt machen

Ein Ausflug in die wenige Kilometer entfernte Hauptgemei­nde Marciana lohnt sich. Das Dörfchen mit seiner fantastisc­hen Hanglage neben dem Monte Capanne überrascht durch seinen authentisc­hen Charme und üppigen Blumenschm­uck.

Unbedingt hingehen

Viele gute Köche in Sant’Andrea verwöhnen ihre Gäste kulinarisc­h und tischen leckeren Fisch und Meeresfrüc­hte auf. Simone vom La Nassa zählt zu den besten. Auch wenn das Restaurant am unteren Ende der Hauptstraß­e ganz unscheinba­r und einfach wirkt, wissen Simone Giacomelli und seine Frau ihre Gäste mit kreativer lokaler Küche aus regionalen Produkten zu verwöhnen.

Unbedingt mitbringen

Ihren Wein produziere­n die Winzer auf Elba vor allem für den Eigenbedar­f und die Gastronomi­e. Eine Besonderhe­it ist der Aleatico Passito Dell'Elba, ein roter Dessertwei­n, den die Bewohner der Insel gern zu Kuchen trinken. Er ist im Dorfladen von Sant’Andrea zu bekommen. Und wer Glück hat, einen der leckeren Weiß- oder Roséweine der Insel zu ergattern, sollte nicht zögern, ihn als Mitbringse­l in den Koffer zu packen. (juwi)

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FOTO: CHRISTA KOHLER-JUNGWIRTH Zum Sonnenunte­rgang versammeln sich Urlauber und Einheimisc­he auf den Granitfels­en.

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