Ein Mann, der das Horn mit den Füßen spielt
Felix Klieser beherrscht eines der schwierigsten Instrumente der Welt ohne Arme
- Die schwarzen Lackschuhe hat Felix Klieser nur solange an, bis er sich auf den Stuhl setzt, der auf der Bühne des Lindauer Stadttheaters steht. Kurz lässt er seinen Blick über das Publikum schweifen, er lacht den Menschen zu. Dann setzt er sich und streift, einen Schuh nach dem anderen ab. Socken trägt er keine – sein Horn spielt er mit den nackten Füßen.
Das Blechblasinstrument ist auf einem Ständer befestigt. Seinen rechten Fuß schlingt der Musiker um den Metallstab, den linken winkelt er an und hebt ihn weit über Hüfthöhe, sodass seine Zehen die Ventile des Horns berühren. Seine Ferse stützt Felix Klieser auf einer Vorrichtung ab.
Der Musiker presste seine Lippen eng zusammen und pumpt so Luft in das Horn. Dann schallen die tiefen Töne durch den Saal. Begleitet wird Felix Klieser an diesem Abend von Streichmusikerinnen und -musikern. Das Ensemble Chaarts hat sich um ihn herum aufgereiht. Geige, Kontrabass, Cello und Horn spielen ein Stück von Wolfgang Amadeus Mozart. Auf ihrer kleinen Tournee mit Stücken von Mozart, Händel, Vivaldi und Bach, die extra für Horn und Orchester arrangiert wurden, ist der Auftritt in Lindau der einzige in Deutschland. „Da freue ich mich besonders“, sagt der 31-Jährige.
Aber nicht nur an diesem Abend – Felix Klieser spielt das Horn immer mit großer Leidenschaft. Und das seit 27 Jahren. Angefangen hat der Göttinger mit dem Horn spielen schon als Kind – und auch sonst macht er vieles in seinem Alltag mit den Füßen, wofür andere Hände und Arme benutzen: Zum Beispiel das Smartphone bedienen oder schreiben. Er hat keine Alternative, denn er ist ohne Arme und Hände geboren. Dass er heute als Ausnahmetalent in der Branche gefeiert wird, danach sah es zu Beginn seines Lebens nicht aus. Fragt man ihn, wie er zum Horn spielen gekommen ist, muss er selbst kurz lachen – auch für ihn sei es bis heute ein Rätsel. „In meiner Familie und in meinem Umfeld hatte niemand etwas mit Musik zu tun und auch kein Horn gespielt“, sagt er. Schon mit drei Jahren wollte er das Instrument spielen. Da wussten selbst seine Eltern nicht so richtig, was ein Horn eigentlich genau ist. Aber der kleine Felix wollte unbedingt.
Mit fünf Jahren nimmt Felix Klieser seinen ersten Hornunterricht, mit 13 Jahren wird er Jungstudent an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Das Horn mit den Füßen zu spielen war für ihn von Anfang an normal. „Das ist nichts gewesen, was wahnsinnig spektakulär war oder interessant war“, sagt Klieser. Es sei für ihn einfach ein Hobby gewesen, wie andere Kinder Fußball spielen.
Dabei ist das Horn alles andere als ein einfaches Musikinstrument. Bis der Musiker „Alle meine Entchen spielen konnte“, habe es eineinhalb Jahre gedauert, erzählt er. Damit aus der circa 3,5 Meter langen, gewundenen Blechröhre ein Ton kommt, dafür braucht es Können. Lippen spitzen, Luft durchpusten, bis die Lippen schwingen. Durchhaltevermögen und starke Nerven sind nötig. Die scheint Felix Klieser zu haben.
Denn auf seinem Weg zum StarHornisten gab es auch immer mal wieder Menschen, die ihn von seinem Traum abbringen wollten. „Es gibt immer Situationen, wo Leute sagen, das ist keine schlaue Idee“, sagt der Hornist. Aber: „Wenn man fasziniert von etwas ist, muss man einfach unbeirrt weitermachen.“
Spätestens als Felix Klieser 2014 den Musikpreis Echo Klassik gewinnt, dreht sich das Blatt. Er bekam viel Aufmerksamkeit – und auch die Stimmen der Kritiker änderten sich. Die Leute, die vorher sagten „Alles Mist, mache das lieber nicht“, hätten plötzlich Dinge gesagt, wie: „Das ist total super, total spitze“, erzählt der 31-Jährige. „Man muss sich manchmal einfach selber vertrauen.“
Heute spielt der 31-Jährige unzählige Konzerte im Jahr. Er arbeitet mit renommierten Dirigenten zusammen, neben dem Echo bekam er auch den Bernstein Award. Schon vor einigen Jahren erschien seine Autobiografie „Fussnoten“.
Eine spezielle Technik, um das Horn mit den Füßen zu spielen, habe er nicht entwickelt, sagt Klieser. Drei
Ventile hat ein Hornist zu bedienen – das seien ja nicht so wahnsinnig viele. Das meiste passiere über den Mund, mit den Lippen und der Luft. „Die große Herausforderung ist es nicht, die Knöpfen zu bedienen.“
Beeindruckend sieht es dennoch aus, wenn seine Zehen flink die Ventile nach unten drücken – hoch und wieder runter. Ist er am Ende eines Notenblatts angelangt, wendet er es mit seinen Zehen. Geschickt schiebt er mit dem großen und dem zweiten Zeh ein Papier hinter das andere. Sein Notenständer, der die Blätter hält, muss eine bestimmte Höhe haben – vor Beginn des Konzerts wird die eingestellt und darf nicht mehr verändert werden. Hat das Horn eine Pause, stellt Klieser seinen Fuß auf dem Boden ab. Dann hebt er ihn wieder, korrigiert kurz den Winkel und setzt seine Zehen auf die Ventile des Horns.
Spielt er ein Solo, wird es im Saal des Lindauer Stadttheaters besonders still. Als der letzte Ton von Antonio
Vivaldis Arie ertönt ist, flüsterte eine Frau im Publikumssaal ihrem Mann zu. „Unglaublich, dass das geht.“
Mit seiner Musik möchte Felix Klieser auch mehr Diversität auf die Bühne bringen. Hautfarbe oder Religion, all das sei nicht wichtig. „Es geht um Persönlichkeiten und um Menschen“, sagt er. Es gehe ihm um Werte, wie Freiheit und Gleichheit.
Man müsse offen sein für alle Menschen. „Das ist etwas, das die Klassik noch sehr lernen muss“, sagt der Hornist. Es müsse weggehen davon, dass man besonders elitär oder intelligent sein muss, um auf der Bühne zu sein. „Es geht darum, Menschen zusammenzuführen.“Und zwar alle.
Wie spielt man mit den Füßen ein Horn? Video- und Audiosequenzen von dem Konzert von Felix Klieser gibt es unter
schwaebische.de/hornist