Lindauer Zeitung

Die Influencer vom Bauernhof

Immer mehr Bauern präsentier­en sich in sozialen Netzwerken – Statt zu klagen wollen sie andere für ihre Arbeit begeistern.

- Von Tobias Schuhwerk

-Eine Kuh-Herde „kneippt“vergnügt im meterhohen Allgäuer Schnee – und im Internet überschlag­en sich die Reaktionen. Über 1,2 Millionen Aufrufe hat das bekanntest­e YouTube-Video von Bio-Landwirt Franz Kinker, 57, aus Roßhaupten (Kreis Ostallgäu).

Den vierminüti­gen Eigen-Beitrag über den tierischen Winterausf­lug im Allgäu hat sein Sohn im Stile eines Sportrepor­ters kommentier­t. In drei Jahren hat das Video Nutzer aus aller Welt, bis nach Kanada und Afrika, erreicht. „Die Leute mögen es, wenn sie miterleben, was bei uns alles passiert“, sagt Kinker, dessen Kühe im Winter fast täglich eine Stunde raus an die frische Luft kommen. Mit dem Video hat er ein Stück Hof-Realität und gleichzeit­ig sein Lebensgefü­hl dokumentie­rt: „Mir macht die Arbeit einen Riesenspaß. Das kommt rüber.“

Locker, lustig, Landwirt: Immer mehr Allgäuer Bäuerinnen und Bauern entdecken verschiede­ne Internetka­näle, um sich und ihre Arbeit ungefilter­t zu präsentier­en. Jungbauer Simon Stöckle, 32, aus Unterthing­au (Kreis Ostallgäu) hat beispielsw­eise 12 000 Follower auf TikTok, die er mit vorwiegend ironisch-heiteren Videos unterhält: Der frühere Breakdance­r tanzt mit der Mistgabel in der Hand für seine Kühe oder schwebt, an einem Kran hängend, wie Superman durch den Kuhstall. Bis zu 600 000 Aufrufe erreichen seine Beiträge. Ein tanzender Landwirt, der über sich selbst Lachen kann: Diese Mischung kommt an. Die jüngere Generation unterschei­det sich in ihrem Selbstvers­tändnis oftmals von der älteren: „Uns macht es Spaß, unsere Arbeit in der Öffentlich­keit zu zeigen. Was und wie wir uns präsentier­en, entscheide­n wir selbst. Die älteren Bauern-Generation­en wurden in den Medien ja nur von anderen dargestell­t“, sagt Barbara Mägdefrau aus dem Oberallgäu­er Blaichach.

Die 25-jährige Vermessung­stechniker­in und Tierarzthe­lferin ist auf dem elterliche­n Hof aufgewachs­en. Sie packt dort weiterhin mit an und postet über Besonderhe­iten wie die Geburt von Vierlings-Lämmern. Für Aufsehen sorgte sie, als sie sich vor vier Jahren für den „Jungbäueri­nnenKalend­er“ablichten ließ. Oder als sie 2019 ihre Erschütter­ung über den Allgäuer Tierskanda­l in einem emotionale­n Facebook-Video zum Ausdruck brachte. Vor Kurzem spielte sie in einem Musik-Video von „Dorfrocker & Addnfahrer“mit, das als Dankeshymn­e an Bäuerinnen und

Bauern gilt. Titel: „Der King“. Einen YouTube-Hit landete auch die Band „Bschüttsto­rm“um Landwirt Sebastian

Klaus aus Waltenhofe­n (Kreis Oberallgäu), deren launiges „Bschütte-Lied“knapp zwei Millionen Aufrufe hat.

Mägdefrau glaubt, dass die Social-Media-Aktionen Wirkung zeigen: „Als Schüler war es manchen peinlich, dass sie vom Hof kamen. Heute sind auch die Jungen stolz drauf.“Zudem werde das Vertrauen der Verbrauche­r gestärkt, wenn Landwirte ihre Arbeit transparen­t zeigten. Das mediale Image von Bauern prägten Jahrzehnte lang vor allem Verbandsfu­nktionäre, die in ihren Reden oft Missstände in der Agrarpolit­ik geißelten. Dass diese Kritik in vielen Punkten nach wie vor berechtigt ist, liegt für Franz Kinker auf der Hand. Doch ihm ist auch wichtig, dass der Bauernstan­d nicht nur jammernd rüberkomme, sondern positiv.

„Ich sehe die Verbände als das Dach unseres Berufsstan­des. Aber wir Bauern sind die, die das Haus mit Leben füllen.“Mit Humor, aber auch mit nachdenkli­chen Tönen. So thematisie­rt Kinker in seinen Beiträgen die überborden­de Bürokratie oder er macht sich für einen Bio-Milchpreis von 60 Cent pro Liter stark. Aktuell zahlen Molkereien in Bayern BioLandwir­ten knapp 52 Cent.

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FOTO: TOBIAS SCHUHWERK Er bloggt aus dem Kuhstall: Bio-Landwirt Franz Kinker aus Roßhaupten (Kreis Ostallgäu) filmt auch im Stall mit dem Handy.

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