Im Einsatz gegen Hetze im Netz
Wie sich die Justiz für die Strafverfolgung von Hasskriminalität rüstet
Bei den Strafverfolgungsbehörden im Land sind Beschimpfungen im Netz ein schon lange bekanntes Problem. Ein neues Gesetz will dagegen ankämpfen: Es handelt sich um das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Das Gesetz hat der Bundestag bereits 2020 beschlossen. Es soll zur Bekämpfung von Extremismus und Hasskriminalität im Internet einen großen Beitrag leisten, indem es Anbieter sozialer Netzwerke verpflichtet, potenziell strafrechtlich relevante Inhalte ab dem ersten Februar dieses Jahres zu melden. „Das ist meiner Ansicht nach absolut notwendig“, sagt Oberstaatsanwalt Alexander Boger, der Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Ravensburg. „Die Hasskriminalität im Netz nimmt immer mehr zu, das ist erschreckend“, betont er. Allerdings könnte es bei der strafrechtlichen Verfolgung zu Schwierigkeiten kommen.
Auf dem Tisch von Alexander Boger liegt eine Anklageschrift gegen eine Frau, die in einer TelegramChatgruppe nahezu ausschließlich nationalsozialistische Propaganda gepostet hatte: „Hakenkreuze, Hitler-Glorifizierungen und viele rassistische und antisemitische Äußerungen“, erklärt Boger. Die Politik habe die Dringlichkeit erkannt, gegen Hasskriminalität vorzugehen. „Politiker sind auch selbst in hohem Maße betroffen. Wie Entscheider angegangen werden, das hat es in der Vergangenheit so nicht gegeben“, sagt er.
Deswegen haben die Strafverfolgungsbehörden vergangene Woche bundesweit ein Zeichen im Kampf gegen den Hass im Netz gesetzt. In Bayern durchsuchte die Polizei im Rahmen des Aktionstags gegen Hasskriminalität 14 Gebäude. Auch im Südwesten wurden Verdächtige vernommen und Wohnungen durchsucht. Nach Angaben des badenwürttembergischen Justizministeriums stieg die Zahl der neu eingeleiteten Verfahren im Bereich der Hasskriminalität von 909 Verfahren im Jahr 2019 auf 1 525 im Jahr darauf – Tendenz steigend.
Diesen Anstieg merkt auch die Staatsanwaltschaft Ravensburg. Oberstaatsanwalt Peter Vobiller ist bei der Behörde zusammen mit drei weiteren Kollegen unter anderem für Hasskriminalität zuständig. Er hat eine Akte vor sich, in der verschiedene Kommentare einer Facebook-Gruppe ausgedruckt wurden. Markiert sind Beschimpfungen gegen Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der sich zu einer möglichen Kinderimpfung geäußert hatte. „Der Irre, der ist psychisch krank, Teufel in Menschengestalt, Verbrecher, widerwärtige linke Ratte – um nur ein paar weniger schlimme Bespiele zu nennen“, sagt Vobiller.
Durch das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz müssten seit ersten Februar die Konzerne sozialer Medien wie Google oder Twitter genau solche Kommentare melden. Müssten, denn aktuell wird das Gesetz teilweise noch nicht angewendet. Denn Google und der Facebook Konzern Meta haben gegen das Gesetz geklagt und das Verwaltungsgericht Köln hat ihnen in einem Eilverfahren Recht gegeben. Die Begründung: In Europa gilt der Grundsatz, dass solche Regelungen der Staat treffen muss, in dem die Konzerne ihren europäischen Sitz haben. Und das ist in beiden Fällen Irland und nicht Deutschland. „Wie lange sich das Verfahren zieht und wie es am Ende ausgeht, ist schwierig einzuschätzen“, sagt Vobiller.
Doch auch ohne die Meldungen der großen Konzerne, erreichen die Polizei schon jetzt viele Anzeigen. Darunter sind Privatleute, die entweder selbst im Netz angefeindet werden oder Hasskommentare zufällig sehen und melden. Zusätzlich gibt es online die bundesweite Plattform „respect“, bei der jeder Hasskommentare melden kann. „Die Polizei ermittelt dann und wertet die Daten aus“, erklärt Vobiller. Häufig würde es auch zu Kettenreaktionen kommen. „Oft findet die Polizei nach einer Durchsuchung noch weiter Gruppen oder Teilnehmer, die Hasskommentare gepostet haben“, betont er. Die strafrechtlich relevanten Inhalte leitet die Polizei dann an die Staatsanwaltschaften weiter. „Wir bewerten dann, ob es sich um eine Straftat handelt“, sagt Vobiller.
Falls das Netzwerkdurchsetzungsgesetz mitsamt der Meldepflicht für alle Konzerne kommt, würde das einen deutlichen Mehraufwand bedeuten. Nach Angaben des baden-württembergischen Justizministeriums erwartet man allein im Südwesten einen Zuwachs von 17 500 Ermittlungsverfahren. Um das zu stemmen, hat Ministerium zehn Stellen bei den Staatsanwaltschaften geschaffen, eine davon in Ravensburg. „Mit den jüngst erreichten Verstärkungen ist die baden-württembergische Justiz in diesem Bereich gut aufgestellt“, erklärt der Pressesprecher des Ministeriums, Gunter Carra.
Markus Wagner vom Deutschen Richterbund in Baden-Württemberg glaubt, „dass es schwierig ist, vorherzusagen, ob die neuen Stellen für die Aufgaben ausreichen. Denn bei den Staatsanwaltschaften ist die Personaldecke dünn“, sagt er. Zwar habe sich die Situation in den vergangenen Jahren durch neu geschaffene Stellen verbessert, aber die Konkurrenz auf dem Markt sei groß. „Viele Anwaltskanzleien zahlen einfach besser“, betont er. Deswegen fordert der Verband schon lange, dass die Attraktivität der Justizberufe gesteigert werden muss, vor allem durch bessere Bezahlung. „Das ist gerade jetzt wichtig, wenn es wegen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes mehr Arbeit geben könnte“, sagt Wagner.
Auch bei der Staatsanwaltschaft Ravensburg erwartet Behördenleiter Alexander Boger mehr Anzeigen, die bearbeitet werden müssen, wenn das Gesetz angewendet wird. Nach der aktuellen Personalberechnung fehlen in Ravensburg insgesamt vier Stellen. „Natürlich wünsche ich mir mehr“, sagt Boger, „aber wir werden bei jeder Straftat, die uns bekannt ist, ermitteln. Dazu sind wir verpflichtet.“Nur könne es sein, dass das Verfolgen unter Umständen ein bisschen länger dauern könnte.
An Enthusiasmus im Kampf gegen Hass im Netz mangelt es der Staatsanwaltschaft Ravensburg nicht. Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz könnte dieser Kampf aber schneller und effektiver geführt werden.