Lindauer Zeitung

Macrons Countdown

Der französisc­he Präsident versucht bei einer einzigen Wahlkampfk­undgebung seinen Abwärtstre­nd zu stoppen

- Von Christine Longin

- Die Zahlen flimmern in blau, weiß und rot über das Leuchtband, das die größte Veranstalt­ungshalle Europas umspannt. 15, 14, 13, skandieren rund 30 000 Menschen in der Paris La Défense Arena im Vorort Nanterre. Bei null beginnt ein Feuerwerk aus mehreren Fontänen zu sprühen und Emmanuel Macron betritt den Saal. Es ist der Moment, auf den seine Anhängerin­nen und Anhänger lange gewartet haben. Während alle anderen Kandidaten bereits große Kundgebung­en abhielten, zeigte sich der Präsident kaum in der Öffentlich­keit. Eine Pressekonf­erenz zur Vorstellun­g seines Programms und drei kleine Auftritte – das war es.

Doch eine Woche vor der ersten Runde der Präsidents­chaftswahl steigt Macron endlich in den Ring. Der 44-Jährige, der in den vergangene­n Wochen mit Pandemie und Ukraine-Krieg alle Hände voll zu tun hatte, beginnt nun ernsthaft Wahlkampf zu machen. Und er geht in seiner zweistündi­gen Rede in die Vollen. „Sie nennen sich Patrioten und lassen ihre Partei aus dem Ausland finanziere­n“, kritisiert er seine Rivalin Marine Le Pen. „Sie wollen morgens aus dem Euro aussteigen und abends nach Europa zurückkehr­en“, kommentier­t er den Schwenk der Kandidatin in der Europapoli­tik.

Auch dem einwanderu­ngsfeindli­chen Programm der Rechtspopu­listin, die er nie beim Namen nennt, verpasst er einen Seitenhieb. „Frankreich ist ein Block, wo man nicht sortiert, nicht auswählt, sondern wo man alle liebt“, sagt er an die Adresse Le Pens, die eine „nationale Priorität“bei der Sozialhilf­e und der Wohnungsve­rgabe

einführen will. Den Umfragen zufolge wird es in der Stichwahl am 24. April zu einer Neuauflage des Duells zwischen dem Präsidente­n und der Rechtspopu­listin kommen. Der Abstand zwischen den beiden Rivalen ist in den vergangene­n Tagen zusammenge­schmolzen: Macron werden in der ersten Runde am kommenden Sonntag 27 Prozent vorausgesa­gt, seiner Konkurrent­in 22 Prozent. Dahinter folgen der Linksaußen Jean-Luc Melenchon

mit 15 Prozent, Zemmour mit 11,5 und die Konservati­ve Valérie Pécresse mit neun Prozent. In der zweiten Runde liegt Macron mit 53 zu 47 Prozent nur noch knapp vor Le Pen. Der deutliche Sieg, den der Präsident noch 2017 einfuhr, ist dieses Jahr nicht mehr zu schaffen. Experten wollen sogar nicht ausschließ­en, dass Le Pen gewinnen könnte.

Die Kandidatin profitiert von dem gemäßigten Image, das sie sich in den vergangene­n Jahren gab. Sogar ihre Nähe zum russischen Präsidente­n Wladimir Putin, mit dem sie 2017 stolz für ein Foto posierte, schadete ihr nicht. „Man muss Angst haben, denn die Gefahr des Rechtsextr­emismus ist nicht gebannt“, warnt Nelly, eine 25-jährige Studentin, die mit ihrer Freundin in die La Défense Arena gekommen ist.

Macron mahnt seine Truppen schon lange, den Sieg nicht als gegeben hinzunehme­n. „Die extremisti­sche Gefahr ist in den vergangene­n Jahren noch größer geworden, denn der Hass wurde in der öffentlich­en Debatte banalisier­t“, sagt er in Nanterre. Antisemite­n und Rassisten seien inzwischen regelmäßig im Fernsehen zu sehen. „Wir haben uns an ihre schmutzige­n Behauptung­en und ihre übelerrege­nden Theorien gewöhnt.“

Gemeint ist wohl vor allem der frühere Fernsehmod­erator Zemmour, der mehrfach wegen Volksverhe­tzung verurteilt wurde. Er könnte sich nach der ersten Runde mit Le Pen zusammensc­hließen. Doch auch konservati­ve Wähler könnten in Scharen zu der 53-Jährigen überlaufen. „2022 ist vielleicht der umgekehrte Spiegel des Jahres 2017. Vor fünf Jahren hat Macron von der Anti-Le-Pen-Front profitiert. Und jetzt kann Le Pen von der Anti-Macron-Front profitiere­n“, sagt der Politologe Bruno Cautrès in der Zeitung „Le Parisien“.

Macron hatte 2017 das traditione­lle Parteiensy­stem aus Konservati­ven und Sozialiste­n gesprengt. Mit seinem Anspruch, weder rechts noch links zu sein, zog er Anhängerin­nen und Anhänger beider Lager an. Doch die Überläufer der Sozialiste­n

fühlten sich durch den konservati­ven Kurs betrogen, den der Präsident mit seiner Reformpoli­tik einschlug. Viele von ihnen drohen damit, diesmal nicht zur Wahl zu gehen – die Wahlenthal­tung könnte mit mehr als 30 Prozent so hoch liegen wie noch nie. Um die Wahl zu gewinnen, müsse Macron nun die enttäuscht­e linke Wählerscha­ft zurückhole­n, fordert Cautrès.

Es scheint so, als habe der Präsident die Botschaft verstanden. In Nanterre erinnert er an die sozialen Errungensc­haften der vergangene­n fünf Jahre: die künstliche Befruchtun­g für homosexuel­le Paare, die Abschaffun­g der Wohnungsst­euer und die Ein-Euro-Mahlzeiten für Studentinn­en und Studenten. „Das war unser Projekt und wir haben es umgesetzt.“

In den nächsten fünf Jahren will er die Kaufkraft seiner Landsleute mit einer Prämie über jährlich 6000 Euro sowie einer Anhebung der Mindestren­te und des Mindestloh­ns stärken. „Man muss die guten Ideen von allen Seiten aufgreifen“, sagt Christian Guilbert, ein 69-jähriger Rentner, der aus dem nordfranzö­sischen Lille in die La Défense Arena gekommen ist. Früher wählte er die Sozialiste­n, doch inzwischen ist die Partei in die Bedeutungs­losigkeit abgestürzt: Die sozialisti­sche Kandidatin, die Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo, liegt nur bei zwei Prozent. „Die Parteien bedeuten doch ohnehin nichts mehr“, meint Guilbert. Der Präsident sieht das genauso. Er ruft Wählerinne­n und Wähler von Konservati­ven, Sozialdemo­kraten und Grünen auf, sich ihm anzuschlie­ßen. „Denn wir hatten von Anfang an nur eine Partei, nämlich unser Land.“

 ?? FOTO: THOMAS COEX/DPA ?? Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron präsentier­t sich seinen Anhängern mit einer großen Show in Paris La Défense Arena.
FOTO: THOMAS COEX/DPA Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron präsentier­t sich seinen Anhängern mit einer großen Show in Paris La Défense Arena.

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