Lindauer Zeitung

Betriebsrä­te fordern weitere Hilfen bei Energiekos­ten

- Von Helena Golz und dpa

(dpa) - Mehr als 8000 Betriebsrä­te fordern nach Angaben der IG Metall wegen der steigenden Energiepre­ise weitere Entlastung­en für Arbeitnehm­er. Die bisher von der Bundesregi­erung beschlosse­nen Maßnahmen reichten nicht, heißt es in einem am Sonntag in Frankfurt veröffentl­ichten Appell. Darin wird gefordert, die Steuern auf Strom und Gas befristet zu senken sowie den Gaspreis bis zu einem Verbrauch von 8000 Kilowattst­unden zu deckeln. Der steuerlich­e Grundfreib­etrag solle auf 12 800 Euro steigen.

- Schon das Büro von Wolfgang Grupp ist außergewöh­nlich. Der Chef des Burladinge­r Textilunte­rnehmens Trigema sitzt nicht etwa in eigenen vier Wänden, nein, er teilt sich gemeinsam mit seinen Mitarbeite­rn ein Großraumbü­ro. Sein elfenbeinf­arbener Schreibtis­ch ist allerdings ein ganzes Stück größer als die Tische seiner Angestellt­en und steht mitten im Raum. Jeder kann hören, was Grupp sagt.

Ein Problem ist das nicht, denn Wolfgang Grupp hat keine Geheimniss­e. Der schwäbisch­e Unternehme­r ist bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und klar seine Meinung zu sagen. Grupp ist ein lautstarke­r Patriarch der alten Schule, der aber immer rechtzeiti­g den Wandel der Zeit erkannt und reagiert hat. Ans Aufhören denkt der Burladinge­r, der am 4. April seinen 80. Geburtstag feiert, noch nicht. Auch oder gerade weil seine Firma derzeit vor einer der größten Herausford­erungen ihrer Geschichte steht.

Bereits im Jahr 1969, im Alter von 27 Jahren, übernahm Grupp die als Trikotfabr­ik Gebrüder Mayer (Trigema) gegründete und zu dem Zeitpunkt

hoch verschulde­te Firma von seinem Vater – und sanierte sie. Grupp erkannte, dass es besser ist, sich auf das Kerngeschä­ft – Sportund Freizeitbe­kleidung – zu beschränke­n. Er stellte das Unternehme­n so effizient auf wie möglich. „Sie werden wahrschein­lich kaum einen Betrieb finden, der so schmal organisier­t ist“, sagt Grupp. So schaffte er es den Umsatz seines Unternehme­ns von 8,7 Millionen Euro im Jahr 1969 auf 112,8 Millionen Euro im Jahr 2021 zu steigern. Die Corona-Krise überstand das Unternehme­n bisher gut, weil sich Grupp entschloss, gleich am Anfang der Pandemie in die Stoff-Maskenprod­uktion einzusteig­en. 2,3 Millionen Stück produziert­e das Unternehme­n nach eigenen Angaben. Zur Höhe des Gewinns äußert sich der Unternehme­r nicht, sagt aber: „Ich habe in 52 Jahren nie Verlust gemacht.“

Zur Unternehme­nsphilosop­hie des 80-Jährigen gehört das Bekenntnis zur unternehme­rischen Verantwort­ung. Grupp wollte es anders machen als seine ehemaligen Kunden, die Manager der Versand- und Warenhäuse­r Karstadt, Neckermann und Quelle. Sie waren laut Grupp von der Gier getrieben und haben versucht lediglich über Preisdruck, den sie auf ihre Zulieferer ausübten, ihre Probleme zu lösen. Damit mussten sie laut Grupp unweigerli­ch scheitern. Das Streben nach immer mehr, immer größer, immer weiter sei am Ende immer gescheiter­t, sagte Grupp in einem Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“im Jahr 2018. „Wenn Mitarbeite­r zu übertriebe­nen Umsatzziel­en gedrängt werden, darf man sich nicht wundern, wenn sie irgendwann Produkte schlechter Qualität abliefern.“

Grupp dagegen hat seinen ganz eigenen Arbeits- und Führungsst­il etabliert, an dem er bis heute festhält. Er disponiert die Fertigung noch immer selbststän­dig und analog mithilfe von Papierlist­en – „einen Computer finden Sie bei mir nicht“, sagt er und ist überzeugt davon, dass es immer der Chef ist, auf den es am Ende ankommt. Er haftet als eingetrage­ner Kaufmann persönlich mit seinem gesamten Vermögen für das Unternehme­n.

1200 Mitarbeite­r beschäftig­t Trigema und fertigt nach eigenen Angaben vom Garn bis zum fertigen TShirt alles in Deutschlan­d. Damit hat Trigema die Abwanderun­g und Verlagerun­g der Textilprod­uktion ins

Ausland überlebt. Gerade die Textilunte­rnehmen von der Schwäbisch­en Alb gehörten einst zu den Weltmarktf­ührern, heute bietet die Textilund Bekleidung­sindustrie in ganz Deutschlan­d nur noch rund 100 000 Menschen einen Arbeitspla­tz. Umso mehr weiß Grupp, dass seine Textilien „made in Germany“ein gutes Verkaufsar­gument sind.

Berühmt ist der Werbespot mit dem Schimpanse­n, in dem Wolfgang Grupp verspricht, Arbeitsplä­tze hierzuland­e zu sichern. „Wir müssen Qualität liefern, alles das, was das billige Ausland im Prinzip nicht kann, und das bedeutet eben, hier vor Ort zu produziere­n. Wir brauchen nicht die billigste Arbeitskra­ft, sondern wir brauchen die fähigste. Wir brauchen Leute, die was können und die muss ich auch entspreche­nd bezahlen“, sagt der Unternehme­r.

Wolfgang Grupp ist immer perfekt frisiert, trägt Einstecktu­ch im Maßanzug, eine goldene Uhr. Vor dem Unternehme­nseingang in Burladinge­n parkt sein Hubschraub­er in einer verglasten Garage. Bevor der Unternehme­r im Stau steht, lässt er sich lieber fliegen. Grupp wohnt mit seiner Frau und seinen Kindern – die alle im Unternehme­n mitarbeite­n – in einer Villa direkt gegenüber des Firmengelä­ndes. Er ist passionier­ter Jäger, und sein Vermögen wird auf rund 80 Millionen Euro geschätzt. Bei dem, was er produziert, ist Grupp hingegen pragmatisc­h. „Ich bin Egoist“, sagt Grupp. „Ich versuche alles zu produziere­n, was läuft und Stückzahle­n bringt. Ein verrücktes Teil in zig Farben zu produziere­n, da ist mir das Risiko zu groß“, sagt der Chef. Trigema verkauft viel unifarbene Kleidung in einer großen Bandbreite von Größen.

Man könnte denken, Grupp hätte mit seinen 80 Jahren alles gesehen, alles erlebt und überstande­n, was ein Leben als Unternehme­r so mit sich bringt. Doch aktuell ist Grupp noch mal richtig gefordert. Denn mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine brach ein Krieg in Europa aus, der neben dem großen Leid für die Menschen auch die Unternehme­n hierzuland­e trifft. „Im vergangene­n Jahr hatten wir etwa bis August Gaskosten in Höhe von 100 000 Euro im Monat. Die sind sukzessive gestiegen, und Anfang März war der Gaspreis so hoch, dass uns das etwa 900 000 Euro im Monat kosten würde“, sagt Grupp. Zudem würden andere Rohstoffe ebenfalls teurer. Das werde auf Dauer schwierig, da Trigema in diesem Ausmaß die Preise nicht anheben könne. „Die Kunden bezahlen sicher nicht den doppelten Preis für ein T-Shirt, dann kaufen sie es nicht mehr!“

Als Konsequenz hat Trigema die Nachtschic­ht, auch wegen CoronaAusf­ällen, für vier Wochen ausgesetzt und die Gasturbine, mit der das Unternehme­n seinen Strom selbst produziert, nachts abgestellt. „Wir fertigen aber trotzdem zu 100 Prozent weiter, auch wenn wir durch die fehlende Nachtschic­ht weniger Stoff produziere­n“, versichert Grupp. Jetzt werde das Stofflager genutzt.

„Die Frage, ob Gas morgen noch verfügbar ist oder nicht, kann ich nicht beantworte­n und dies macht mich sicherlich nervös.“Die Eigenkapit­alquote des Unternehme­ns liegt bei 100 Prozent, es hat keine Kredite abzubezahl­en und könne eine solche Krise überstehen. „Aber natürlich nicht jahrelang.“

In angespannt­en Zeiten wie diesen ist es für den ewigen Chef noch schwierige­r loszulasse­n. Solange er das Gefühl habe, gebraucht zu werden, bleibe er. Aber: „Wenn ich mal das Gefühl bekomme, lästig zu sein, dann wäre es fatal, wenn ich mich aufdränge“, sagt Grupp.

Seinen Geburtstag verbringe die Familie gemeinsam in Dubai. Grupp sagt, er sei zufrieden mit dem, was er habe, materiell wünsche er sich gar nichts. Er wünsche sich, dass die Eintracht in seiner kleinen Familie und in der Betriebsfa­milie weiter besteht. „Und dass ich dieses schöne Gefühl, dass unsere Familie intakt bleibt und die Kinder selbstvers­tändlich die Nachfolge antreten, auch weiter haben darf.“Das klingt nach sehr milden Worten eines Unternehme­rs, der zur richtigen Zeit noch immer die richtige Strenge walten lässt.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Wolfgang Grupp, Eigentümer und Geschäftsf­ührer des Textilunte­rnehmens Trigema: Seit über 50 Jahren leitet er das Unternehme­n.

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