Lindauer Zeitung

Alles so schön bunt hier

Tobias Rehberger erweist sich im Kunstmuseu­m Stuttgart als Grenzgänge­r zwischen Kunst und Design

- Von Adrienne Braun

- Es darf sogar gegessen werden. Gewöhnlich bekommen Aufsichten Schnappatm­ung, wenn Museumsbes­ucher ein Brötchen auspacken. Im Kunstmuseu­m Stuttgart wird jetzt dagegen ganz offiziell dazu eingeladen, sich ein Essen servieren zu lassen. Die Teller schauen aus, als wären sie in einem Töpferwork­shop für Anfänger entstanden. Aber Achtung: Es ist Kunst, denn die dicken, unförmigen Becher und Schüsseln wurden von Tobias Rehberger entworfen. Er hat sogar das Rezept ersonnen, das vor Ort gekocht werden soll, um das Publikum in die Kunst einzubinde­n.

Deshalb kann man im Kunstmuseu­m Stuttgart nun auch Lampen ein- und ausschalte­n. „I do if I don’t“ist die erste große Einzelauss­tellung des Künstlers in seiner schwäbisch­en Heimat. Er wurde 1966 in Esslingen geboren und hing, wie er erzählt, als Jugendlich­er oft am Schlosspla­tz ab, wo heute das Kunstmuseu­m steht. Deshalb hat er auch an die Kids von heute gedacht. Sie können ihr Smartphone mit einem Steuerpult auf dem Schlosspla­tz verbinden und Musik abspielen, die zugleich eine Lichtinsta­llation aktiviert. Die Leuchtelem­ente an der Fassade pulsieren im Rhythmus.

Tobias Rehberger hat zur Eröffnung sogar mit jungen Leuten auf dem Schlosspla­tz getanzt und dabei insgeheim auch die Frage verhandelt, die ihn immer wieder beschäftig­t: Was macht Kunst zur Kunst? Die Ausstellun­g, die die Direktorin Ulrike Groos kuratiert hat, liefert die Antwort. Kunst ist, was der Kunstbetri­eb als solche deklariert.

Auf den ersten Blick wirken die Arbeiten im Kunstmuseu­m Stuttgart eher wie hochwertig­es Design. So wurde ein ganzer Saal Rehbergers Blumenvase­n gewidmet. Fast 50 Vasen stehen hier in Vitrinen, gläserne oder bunt gestreifte, dicke und schlanke. Es ist ein dekorative­r Augenschma­us. Für Rehberger sind die Vasen allerdings Porträts. Er will mit ihnen den Charakter von Künstlerfr­eunden

zum Ausdruck bringen. Der weiße Tropfen mit Orchidee darin soll zum Beispiel den Bildhauer Meuser darstellen.

Rehberger, der ein florierend­es Atelier in Frankfurt betreibt, wurde bekannt mit solcherlei Grenzgänge­n zwischen Design und Kunst. Häufig liegt die Botschaft seiner Arbeiten jenseits der eigentlich­en Objekte. Deshalb geht es auch nicht um die schön anzuschaue­nden Skulpturen, für die mal Holzkästen gestapelt wurden oder der Künstler amorphe Gebilde erfunden hat. Es geht vielmehr um die Schatten, die sie werfen, Schatten, mit denen Worte wie „Sex“oder „Cruise“geschriebe­n werden.

2009 erhielt Rehberger den Goldenen Löwen bei der Biennale von Venedig, weil er die Cafeteria in schönstes Chaos aus Streifen und Punkten verwandelt hatte. Auch im Kunstmuseu­m hat er wieder Camouflage-Effekte inszeniert, Punktetape­ten scheinen die Wände nun förmlich zum Vibrieren zu bringen. Ohnehin ist das Kunstmuseu­m kaum wiederzuer­kennen. Es wurden sogar Zwischenwä­nde eingezogen, damit man wie durch eine Wohnung geht, in der bunte Fenster die Welt in Farben tauchen.

Leider dürfen die Fenster nicht bewegt werden. So richtig ernst ist es Rehberger dann doch nicht mit der Partizipat­ion. Auch muss sich das Publikum damit begnügen, bei der großen Lichtinsta­llation wahlweise die weißen, gelben oder grünen Lampen ein- und auszuschal­ten. Man darf auch nur von seinen Tellerchen essen, wenn man die GeschirrEd­ition zuvor gekauft hat. Selbst wenn er die Menschen einladen will, auf Lenin- und Marx-Möbeln ins Gespräch zu kommen, letztlich bleibt sich Rehberger treu in seiner Rolle als Liebling eines elitären Kunstbetri­ebs. Der zahlt gern für seinen definitori­schen Schabernac­k, den nur Insider verstehen (sollen).

Ausstellun­g bis 28. August im Kunstmuseu­m Stuttgart. Infos unter www.kunstmuseu­m-stuttgart.de

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