Alles so schön bunt hier
Tobias Rehberger erweist sich im Kunstmuseum Stuttgart als Grenzgänger zwischen Kunst und Design
- Es darf sogar gegessen werden. Gewöhnlich bekommen Aufsichten Schnappatmung, wenn Museumsbesucher ein Brötchen auspacken. Im Kunstmuseum Stuttgart wird jetzt dagegen ganz offiziell dazu eingeladen, sich ein Essen servieren zu lassen. Die Teller schauen aus, als wären sie in einem Töpferworkshop für Anfänger entstanden. Aber Achtung: Es ist Kunst, denn die dicken, unförmigen Becher und Schüsseln wurden von Tobias Rehberger entworfen. Er hat sogar das Rezept ersonnen, das vor Ort gekocht werden soll, um das Publikum in die Kunst einzubinden.
Deshalb kann man im Kunstmuseum Stuttgart nun auch Lampen ein- und ausschalten. „I do if I don’t“ist die erste große Einzelausstellung des Künstlers in seiner schwäbischen Heimat. Er wurde 1966 in Esslingen geboren und hing, wie er erzählt, als Jugendlicher oft am Schlossplatz ab, wo heute das Kunstmuseum steht. Deshalb hat er auch an die Kids von heute gedacht. Sie können ihr Smartphone mit einem Steuerpult auf dem Schlossplatz verbinden und Musik abspielen, die zugleich eine Lichtinstallation aktiviert. Die Leuchtelemente an der Fassade pulsieren im Rhythmus.
Tobias Rehberger hat zur Eröffnung sogar mit jungen Leuten auf dem Schlossplatz getanzt und dabei insgeheim auch die Frage verhandelt, die ihn immer wieder beschäftigt: Was macht Kunst zur Kunst? Die Ausstellung, die die Direktorin Ulrike Groos kuratiert hat, liefert die Antwort. Kunst ist, was der Kunstbetrieb als solche deklariert.
Auf den ersten Blick wirken die Arbeiten im Kunstmuseum Stuttgart eher wie hochwertiges Design. So wurde ein ganzer Saal Rehbergers Blumenvasen gewidmet. Fast 50 Vasen stehen hier in Vitrinen, gläserne oder bunt gestreifte, dicke und schlanke. Es ist ein dekorativer Augenschmaus. Für Rehberger sind die Vasen allerdings Porträts. Er will mit ihnen den Charakter von Künstlerfreunden
zum Ausdruck bringen. Der weiße Tropfen mit Orchidee darin soll zum Beispiel den Bildhauer Meuser darstellen.
Rehberger, der ein florierendes Atelier in Frankfurt betreibt, wurde bekannt mit solcherlei Grenzgängen zwischen Design und Kunst. Häufig liegt die Botschaft seiner Arbeiten jenseits der eigentlichen Objekte. Deshalb geht es auch nicht um die schön anzuschauenden Skulpturen, für die mal Holzkästen gestapelt wurden oder der Künstler amorphe Gebilde erfunden hat. Es geht vielmehr um die Schatten, die sie werfen, Schatten, mit denen Worte wie „Sex“oder „Cruise“geschrieben werden.
2009 erhielt Rehberger den Goldenen Löwen bei der Biennale von Venedig, weil er die Cafeteria in schönstes Chaos aus Streifen und Punkten verwandelt hatte. Auch im Kunstmuseum hat er wieder Camouflage-Effekte inszeniert, Punktetapeten scheinen die Wände nun förmlich zum Vibrieren zu bringen. Ohnehin ist das Kunstmuseum kaum wiederzuerkennen. Es wurden sogar Zwischenwände eingezogen, damit man wie durch eine Wohnung geht, in der bunte Fenster die Welt in Farben tauchen.
Leider dürfen die Fenster nicht bewegt werden. So richtig ernst ist es Rehberger dann doch nicht mit der Partizipation. Auch muss sich das Publikum damit begnügen, bei der großen Lichtinstallation wahlweise die weißen, gelben oder grünen Lampen ein- und auszuschalten. Man darf auch nur von seinen Tellerchen essen, wenn man die GeschirrEdition zuvor gekauft hat. Selbst wenn er die Menschen einladen will, auf Lenin- und Marx-Möbeln ins Gespräch zu kommen, letztlich bleibt sich Rehberger treu in seiner Rolle als Liebling eines elitären Kunstbetriebs. Der zahlt gern für seinen definitorischen Schabernack, den nur Insider verstehen (sollen).
Ausstellung bis 28. August im Kunstmuseum Stuttgart. Infos unter www.kunstmuseum-stuttgart.de