Beim Klimaschutz ist jetzt Umdenken angesagt
Neue Klimaschutzmanagerin muss auch Kritisches wie PV-Anlagen auf Denkmalschutzdächern anpacken
- Sie geht mit viel Engagement an ihre erste große berufliche Aufgabe: Sarah Gruner ist seit kurzem die neue Klimaschutzmanagerin des Landkreises Lindau. Dabei warten auf die 28-Jährige eine ganze Reihe wichtiger Themen – schließlich will der Kreis bis 2030 klimaneutral werden.
Aus einer ganzen Reihe von Bewerbungen für die Nachfolge von Steffen Riedel hat sich der Kreis für die in Wiesbaden und Luxemburg aufgewachsene Deutsch-Französin entschieden. Ja, die junge Frau sei Berufsanfängerin, gibt Landrat Elmar Stegmann unumwunden zu. „Aber sie verfügt über sehr viel Hintergrundwissen“, ergänzt der Landkreis-Chef im Gespräch mit der LZ.
Gruner hat in Freiburg ein Masterstudium der „Geographie des globalen Wandels“absolviert. Dazu gehören wissenschaftliches Arbeiten und Forschung zu Themen wie politische Ökologie, Natur- und Kulturinterpretation, Klimaforschung und durchs Klima bedingter globaler Wandel genauso wie Berufspraktika.
So sieht sich Gruner gut gerüstet für ihre erste große berufliche Aufgabe. Zumal sie mit Philipp Irber, dem Mobilitätsbeauftragten des Landkreises, einen Kollegen zur Seite hat, der seit gut einem Jahr in die Details der vom Kreis angestrebten Klimaschutzziele eingearbeitet ist. Denn die Kreisräte haben vergangenes Jahr beschlossen, dem Bündnis Klimaneutrales Allgäu beizutreten – was bedeutet, dass der Kreis Lindau bis zum Jahr 2030 seinen CO2-Ausstoß auf null verringert.
Andererseits „ist der Landkreis in puncto Klimaschutz bereits gut aufgestellt – dank der umfangreichen Arbeit von Herrn Riedel“, merkt Stegmann an. Für ihn, den CSULandrat, ist Klimaschutz keineswegs nur ein „grünes“Thema.
Schon in Stegmanns erster Amtsperiode ist das einer seiner Schwerpunkte gewesen. So haben Kreisräte der damals sechs Fraktionen parteiübergreifend im Energiebeirat zusammengearbeitet, haben dort zusammen mit verschiedenen Fachleuten Ideen und Grundzüge des Klimaschutzkonzeptes entwickelt, das der Kreistag 2013 verabschiedet hat.
Dieses dicke Buch zu überarbeiten, ist nun Gruners erste Herausforderung. „Zunächst geht es um eine Bilanz: Was ist von diesem Konzept bereits erreicht worden? Wo stehen wir?“Das will die neue Klimaschutzmanagerin in den nächsten Wochen und Monaten erforschen. Denn es soll eine überarbeitete neue Fassung des Konzepts kommen.
Danach müsse ein Maßnahmenkatalog erstellt werden mit Punkten, die dem Kreis jetzt wichtig erscheinen, wie eben nachhaltige Mobilität oder – auch angesichts des Ukraine-Kriegs – die Frage, wie Menschen und Firmen im Kreisgebiet beispielsweise durch den Aufbau weiterer Photovoltaikanlagen weniger von fossilen Brennstoffen wie dem russischen Öl und Gas abhängen.
Ging es bisher vor allem um Klimaschutzaspekte, so gewinnen nach Ansicht des Landrats die Themen Energiesparen und Nutzen erneuerbarer, also im Kreis Lindau selbst erzeugbarer Energie jetzt verstärkt an Bedeutung: Die extrem gestiegenen Energiekosten zwingen laut Stegmann ebenfalls dazu, noch schneller und intensiver als bisher „nach Lösungen zu suchen“.
Eine davon: Photovoltaikanlagen. Da ist für den Lindauer Landrat ganz klar: „PV-Anlagen gehören auf Dächer – nicht auf Ackerflächen.“Ihm ist durchaus bewusst, dass dadurch neues Konfliktpotenzial entstehen kann – wenn es beispielsweise um denkmalgeschützte Häuser und Stadtteile wie die Lindauer Insel geht.
Aber Stegmann denkt pragmatisch: „Das Dach unseres Amtssitzes hier im Stiftsgebäude ist komplett nach Süden ausgerichtet, ideal für PV-Anlagen.“Immerhin bezieht das zweite Behördengebäude des Lindauer Landratsamtes in der Bregenzer Straße schon seit einigen Jahren einen Teil des dort verbrauchten Stroms aus der Photovoltaik auf dem eigenen Dach. Da ist es für den Landrat kein Tabu mehr, auch auf dem Dach des Stiftsgebäudes Strom per Sonne zu erzeugen: „Die Diskussion müssen wir jetzt führen“, ist er überzeugt.
Auch in puncto Windkraft muss nach Stegmanns Ansicht in Bayern ein Umdenken stattfinden. Auf Nachfrage erinnert er daran, dass es nicht nur am Pfänderrücken – dort favorisiert seit Längerem die Marktgemeinde Scheidegg ein Windkraftprojekt
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– Windräder denkbar sind. Auch im Kreis Lindau selbst, im Westallgäu, gebe es mehrere Standorte, an denen die Windhöfigkeit durchaus eine gewisse Wirtschaftlichkeit erwarten lasse.
„Will man’s haben oder will man’s nicht haben?“Das muss laut Landrat jetzt zeitnah diskutiert werden: „Wie wichtig ist uns die eigene Energieversorgung?“Denn die dürfe nicht mehr nur in andere Regionen Deutschlands wie etwa Bereiche an und in Nord- und Ostsee abgeschoben werden. Und auch wenn ihm der Natur- und Artenschutz ebenfalls wichtig sei: Die aktuelle Situation zeige, dass in Einzelfällen zudem eine andere Abwägung als vielleicht bisher notwendig werde. „Da muss ein Umdenken stattfinden“, betont Stegmann.
Der dritte Punkt auf Sarah Gruners Liste lässt ebenfalls aufhorchen: „Wir können Klimaschutz nicht mehr allein betrachten.“Denn für die Geografin ist klar: „Wir müssen genauso nachdenken über den Umgang mit nicht mehr abwendbaren Klimaveränderungen.“
Der Landrat gibt zu, dass dies mit Blick auf die bisherigen Klima-Diskussionen ein neuer Aspekt ist. Nach Gruners Worten erfordert das in Teilen eine „Klima-Anpassung“. Und das sowohl mittel- wie auch kurzfristig: Die neue Klimaschutzmanagerin nennt als Beispiele Starkregen, aber auch deutlich längere Hitze- und Trockenperioden auch im Kreis Lindau. „Da müssen wir die Betroffenheiten ermitteln.“
Zunächst aber will die 28-Jährige ihre neue Heimat zwischen Westallgäu und Bodensee genauer kennenlernen. Will die erwähnte Bilanz des vor knapp zehn Jahren verabschiedeten Klimaschutzkonzeptes sehen und mit Akteuren in Kommunen und anderen Bereichen über die weiteren Ziele sprechen. Sarah Gruner freut sich auf ihre erste berufliche Herausforderung: „Das wird eine spannende Zeit.“