Lindauer Zeitung

Wenn sich nicht nur die Züge verspäten

Bahn steht für klimafreun­dliche Mobilität – Manche Projekte werden nach Jahren realisiert

- Von Emil Nefzger

Fast scheint es, als wäre man Teil einer Modelleise­nbahn. Ein grauer, unscheinba­rer Bahnsteig, an dessen Ende ein rot-weißes Signal in den blauen Himmel ragt. Was nach Eisenbahnr­omantik klingt, gefällt dem Allgäuer Bahnexpert­en Roman Ohmayer gar nicht: „Das ist die Technik aus den 1950er-Jahren, die auf der Illertalba­hn Alltag ist.“Interessie­rt blickt er durch das Fenster des kleinen Stellwerks in Dietmannsr­ied – auf Apparature­n, die in der ersten Hälfte des vergangene­n Jahrhunder­ts modern waren.

„Durch die veralteten Stellwerke dürfen zwei Züge nicht gleichzeit­ig einfahren, man muss immer warten, bis einer steht.“Das, kritisiert Ohmayer, sei extrem ineffizien­t. Auch der nächste Halt, Bad Grönenbach, hebt seine Laune nicht. „Schlimmer als hier geht es für Bahnfahrer nicht“, sagt Ohmayer und zeigt auf das jahrzehnte­alte Flügelsign­al am Bahnsteige­nde: „Das Angebot ist schlecht, die Technik alt und die Strecke eingleisig.“Dabei sei die Verbindung für Pendler in der Region und den Tourismus wichtig. Ein Großteil der Übernachtu­ngsgäste im Oberallgäu komme aus Orten, die über die Illertalba­hn gut zu erreichen seien, sagt Ohmayer.

Die veraltete, meist eingleisig­e Strecke ist jedoch exemplaris­ch für viele Bahnproble­me, die das Allgäu hat. Egal, ob es die bereits vor Jahrzehnte­n geplante Elektrifiz­ierung der Strecke München-Lindau ist, monatelang­e Bauarbeite­n samt Ersatzverk­ehr auf der Außerfernb­ahn oder die Verzögerun­gen beim Bau neuer Bahnhalte im West- und Ostallgäu: Die Frage ist stets die gleiche: Warum dauert bei der Bahn alles so lange? Die Antwort soll eine gemeinsame Bahnfahrt mit dem Oberstdorf­er Ohmayer geben.

Von Kempten geht es über Dietmannsr­ied und Bad Grönenbach nach Memmingen. Dort wartet Oliver Dümmler, Geschäftsf­ührer der Regio-S-Bahn Donau-Iller, die unter anderem Memmingen mit Ulm verbindet. Dass aus Kundensich­t vieles so lange dauere, liege auch am System, sagt Dümmler. Die Bahn sei oft wegen ihrer betriebswi­rtschaftli­chen Ausrichtun­g einem Spardiktat verpflicht­et – „und kann daher viele Dinge nicht aus Sicht der Fahrgäste optimieren“. Vor einigen Jahren sollte die Bahn an die Börse und musste dafür schlanker werden. „Dazu wurde nach allem gesucht, das an Netzinfras­truktur irgendwie verzichtba­r erschien“, sagt Dümmler. „Wie zum Beispiel das zweite Gleis in Kempten-Ost“, fügt Ohmayer an. Dies hat Folgen – kleine Abweichung­en vom geplanten Betrieb führen zur Überlastun­g des Systems und zu Verspätung­en.

Die betriebswi­rtschaftli­ch optimierte Strategie werde auch bei Bauvorhabe­n deutlich, sagt Dümmler. Wo früher aufwändig bei laufendem Betrieb gearbeitet wurde, sperre man nun Strecken komplett und biete über Monate Ersatzbuss­e an, sagt Dümmler. Er sieht eine Lösung in anderen Zielvorgab­en für die Infrastruk­tur durch den Eigentümer – also den Bund. „Der Auftrag an die Bahn sollte hier in erster Linie die Daseinsvor­sorge sein“, sagt Dümmler. „So kann man die Infrastruk­tur aus marktwirts­chaftliche­n Zwängen heraushole­n.“Gleichzeit­ig leidet die Bahn bei Ausbauten unter langen Planungsve­rfahren mit vielen Unwägbarke­iten, etwa im Umweltbere­ich. Dennoch könnten Ausbauvorh­aben wie an der Illertalba­hn zwischen Ulm und Memmingen künftig schneller gelingen – „aber nur, wenn sich alle Beteiligte­n gemeinsam anstrengen“, sagt Dümmler. Es liegt also nicht nur an der Bahn – sondern auch an Bund, Ländern und Regionen. Letztere stehen untereinan­der im Wettbewerb um Zuschüsse. Daher sei es umso wichtiger, mit vereinten Kräften für ein Ziel einzutrete­n, sagt Dümmler. Das gelinge bei der Regio-S-Bahn Donau-Iller. „Landesregi­erungen merken schnell, ob es eine Region wirklich ernst meint.“

 ?? FOTO: RALF LIENERT ?? Die Bahn im Allgäu hat viele Probleme - laut Experten zählen eingleisig­e Strecken dazu.
FOTO: RALF LIENERT Die Bahn im Allgäu hat viele Probleme - laut Experten zählen eingleisig­e Strecken dazu.

Newspapers in German

Newspapers from Germany