Wenn sich nicht nur die Züge verspäten
Bahn steht für klimafreundliche Mobilität – Manche Projekte werden nach Jahren realisiert
Fast scheint es, als wäre man Teil einer Modelleisenbahn. Ein grauer, unscheinbarer Bahnsteig, an dessen Ende ein rot-weißes Signal in den blauen Himmel ragt. Was nach Eisenbahnromantik klingt, gefällt dem Allgäuer Bahnexperten Roman Ohmayer gar nicht: „Das ist die Technik aus den 1950er-Jahren, die auf der Illertalbahn Alltag ist.“Interessiert blickt er durch das Fenster des kleinen Stellwerks in Dietmannsried – auf Apparaturen, die in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts modern waren.
„Durch die veralteten Stellwerke dürfen zwei Züge nicht gleichzeitig einfahren, man muss immer warten, bis einer steht.“Das, kritisiert Ohmayer, sei extrem ineffizient. Auch der nächste Halt, Bad Grönenbach, hebt seine Laune nicht. „Schlimmer als hier geht es für Bahnfahrer nicht“, sagt Ohmayer und zeigt auf das jahrzehntealte Flügelsignal am Bahnsteigende: „Das Angebot ist schlecht, die Technik alt und die Strecke eingleisig.“Dabei sei die Verbindung für Pendler in der Region und den Tourismus wichtig. Ein Großteil der Übernachtungsgäste im Oberallgäu komme aus Orten, die über die Illertalbahn gut zu erreichen seien, sagt Ohmayer.
Die veraltete, meist eingleisige Strecke ist jedoch exemplarisch für viele Bahnprobleme, die das Allgäu hat. Egal, ob es die bereits vor Jahrzehnten geplante Elektrifizierung der Strecke München-Lindau ist, monatelange Bauarbeiten samt Ersatzverkehr auf der Außerfernbahn oder die Verzögerungen beim Bau neuer Bahnhalte im West- und Ostallgäu: Die Frage ist stets die gleiche: Warum dauert bei der Bahn alles so lange? Die Antwort soll eine gemeinsame Bahnfahrt mit dem Oberstdorfer Ohmayer geben.
Von Kempten geht es über Dietmannsried und Bad Grönenbach nach Memmingen. Dort wartet Oliver Dümmler, Geschäftsführer der Regio-S-Bahn Donau-Iller, die unter anderem Memmingen mit Ulm verbindet. Dass aus Kundensicht vieles so lange dauere, liege auch am System, sagt Dümmler. Die Bahn sei oft wegen ihrer betriebswirtschaftlichen Ausrichtung einem Spardiktat verpflichtet – „und kann daher viele Dinge nicht aus Sicht der Fahrgäste optimieren“. Vor einigen Jahren sollte die Bahn an die Börse und musste dafür schlanker werden. „Dazu wurde nach allem gesucht, das an Netzinfrastruktur irgendwie verzichtbar erschien“, sagt Dümmler. „Wie zum Beispiel das zweite Gleis in Kempten-Ost“, fügt Ohmayer an. Dies hat Folgen – kleine Abweichungen vom geplanten Betrieb führen zur Überlastung des Systems und zu Verspätungen.
Die betriebswirtschaftlich optimierte Strategie werde auch bei Bauvorhaben deutlich, sagt Dümmler. Wo früher aufwändig bei laufendem Betrieb gearbeitet wurde, sperre man nun Strecken komplett und biete über Monate Ersatzbusse an, sagt Dümmler. Er sieht eine Lösung in anderen Zielvorgaben für die Infrastruktur durch den Eigentümer – also den Bund. „Der Auftrag an die Bahn sollte hier in erster Linie die Daseinsvorsorge sein“, sagt Dümmler. „So kann man die Infrastruktur aus marktwirtschaftlichen Zwängen herausholen.“Gleichzeitig leidet die Bahn bei Ausbauten unter langen Planungsverfahren mit vielen Unwägbarkeiten, etwa im Umweltbereich. Dennoch könnten Ausbauvorhaben wie an der Illertalbahn zwischen Ulm und Memmingen künftig schneller gelingen – „aber nur, wenn sich alle Beteiligten gemeinsam anstrengen“, sagt Dümmler. Es liegt also nicht nur an der Bahn – sondern auch an Bund, Ländern und Regionen. Letztere stehen untereinander im Wettbewerb um Zuschüsse. Daher sei es umso wichtiger, mit vereinten Kräften für ein Ziel einzutreten, sagt Dümmler. Das gelinge bei der Regio-S-Bahn Donau-Iller. „Landesregierungen merken schnell, ob es eine Region wirklich ernst meint.“