Bayerns fataler zwölfter Mann
Tabellenführer spielt in Freiburg 16 Sekunden mit einem Kicker zu viel – Nachspiel droht
Es ist Deutschlands derzeit wohl meist diskutierte Fußballfrage: Wie wird die Bundesliga wieder interessant? Denn nach neun Meisterschaften für den FC Bayern München am Stück langweilt der Titelkampf der Eliteliga wahrscheinlich 98 Prozent der Fußballfans (Bayern-Anhänger und Verantwortliche des Rekordmeisters eingeschlossen). Doch müssen Entscheider überhaupt nicht groß über Play-offs, neue Geldverteilungs-Regelungen oder sonst was fachsimpeln, solange ein anderer Makel über allem schwebt: die Blauäugigkeit und Fahrlässigkeit der Konkurrenz.
Während viele Jahre lang die Dominanz des „Stern des Südens“einfach überwältigend war, ist das Manko der aktuellen Saison zur Abwechslung die Schwäche der anderen. RB Leipzig durchlebte (nach personellem Aderlass durch die Bayern) am Anfang der Spielzeit eine lange Findungsphase und war früh aus dem Meisterrennen. Warum nicht mal Leverkusen? Die Frage beantwortet sich schon aus der Historie. Bliebe die Dauerkonkurrenz aus Dortmund, die sich allerdings genau in einem Jahr, in dem die Bayern schwächeln und viele Chancen auslassen, in absurden Auswüchsen ihrer Bräsigkeit ergehen. Ständig zwickt es irgendwo bei der gelb-schwarzen Borussia. Entweder ist Superstümer Erling Haaland verletzt, sind die jungen Gelben zu verspielt und nicht abgezockt oder es fehlt schlichtweg die oft zitierte Mentalität (auch wenn Marco Reus das anders sieht). Selbst wenn der FC Bayern auf Anweisung von höchster Instanz dem SC Freiburg noch drei Punkte rüberschieben sollte und damit den 20 Sekunden-Aussetzer teuer bezahlt,
- Julian Nagelsmann hatte prächtige Laune – zumindest verkaufte sich der Bayern-Trainer auf der Pressekonferenz nach dem 4:1 seiner Münchner beim SC Freiburg gelöst und locker, lachte und scherzte mit den Journalisten. Rein sportlich hatte er einen – in der zweiten Halbzeit – souverän herausgespielten Erfolg durch die Treffer des Rückkehrers Leon Goretzka und Kingsley Coman sowie der eingewechselten Serge Gnabry und Marcel Sabitzer beim Tabellenfünften zu verantworten, der durch das 1:4 des Verfolgers Borussia Dortmund am frühen Abend noch mehr Relevanz erfuhr.
Anhand all der Diskussionen während des Spiels und der Nachfragen der Reporter dürfte dem 34-Jährigen jedoch längst klargeworden sein, dass die drei Punkte der Bayern längst nicht sicher verbucht werden können auf dem Weg zur zehnten Meisterschaft hintereinander. Eine nie dagewesene Situation in der Bundesliga, „eine Situation für die Geschichtsbücher“, so Nagelsmann. Ein diffuser Fall, der womöglich vom DFB-Kontrollausschuss behandelt werden muss. Falls Freiburg Einspruch einlegt. Der komplexe Fall im Einzelnen:
Was war passiert? Nach einem Doppelwechsel in der 85. Minute waren bei den Bayern für knapp 20 Sekunden 12 Spieler auf dem Platz, einer zu viel. Corentin Tolisso hatte sich wegen Magenproblemen rasch in die Kabine verabschiedet, Niklas Süle und Marcel Sabitzer liefen auf den Platz. Weil auf der Elektrotafel die Nummer 29 hochgehalten wurde, schaltete Kingsley Coman nicht schnell genug und blieb kurzzeitig noch auf dem Rasen, da der Franzose erst letzten Sommer von seiner alten Rückennummer „29“auf die „11“gewechselt hatte. Schiedsrichter Christian Dingert unterbrach nach Intervention von Freiburgs Nico Schlotterbeck das Spiel beim Stand von 3:1 für die Gäste acht Minuten lang. Er habe den Vorfall „im Spielbericht vermerkt“, meinte Dingert, nun müsse „der DFB entscheiden“. sind die „ärgsten Verfolger“noch weit auf Abstand gehalten. Die jüngste Dortmunder 1:4 (0:2)-Niederlage gegen RB Leipzig steht sinnbildlich für die Saison des BVB. Auf hohe Erwartungen folgen bittere Enttäuschungen. Die Umstände unterstrichen die Tragik nur noch
Was ist das Problem? Die entscheidende Frage ist: Wird der Fauxpas dem Schiedsrichterteam um Dingert oder dem FC Bayern angelastet? Regel 3 der Fußball-Regeln des DFB, in der es unter anderem im Abschnitt „Zusätzliche Personen auf dem Spielfeld“wird lediglich festgelegt, was der Schiedsrichter während der Partie zu tun hat und wie eine Spielunterbrechung sanktioniert beziehungsweise das Spiel fortgesetzt wird. Coman hätte eigentlich eine Gelbe Karte bekommen müssen. Geschenkt. Wichtiger: Unklar ist, ob der für Coman eingewechselte Sabitzer als nicht spiel- oder einsatzberechtigter Spieler gilt. Falls ja, müsste Paragraf 17 Absatz 4 der Rechtsund Verfahrensordnung des DFB greifen, wonach das Spiel mit 2:0 für Freiburg gewertet werden müsste. Schiedsrichterchef Lutz Michael Fröhlich sieht darin „eine sportjuristische Fragestellung“. Der 64-Jährige bei Sport1: „Inwieweit diese sportjuristische mehr. Zum ersten Mal nach 763 Tagen durfte der Fußballtempel mit 81 365 Zuschauern wieder ausverkauft werden – und dann das.
Doch geht es nicht nur um eine Niederlage, die immer mal passieren kann, sondern vielmehr um das, wofür Formalie strapaziert wird, um in einen Protest zu gehen – da sind die Juristen am Werk, nicht die Schiedsrichter.“
Welche rechtlichen Grundlagen gibt es? Für einen Protest gibt es eine Frist von 48 Stunden, die Breisgauer müssten also bis Montagnachmittag handeln. Erst dann begännen die Ermittlungen. „Der Kontrollausschuss ist nicht beteiligt, solange Freiburg keinen Einspruch einlegt“, so der Vorsitzende Anton Nachreiner.
Was sagen die Bayern? In den Katakomben des neuen Freiburger Europa-Park-Stadions diskutierten Bayerns Vorstandsboss Oliver Kahn, Sportvorstand Hasan Salihamidzic und Freiburgs Sportvorstand Jochen Saier angeregt. Nagelsmann sah in dem Wechsel-Malheur „nichts Spielentscheidendes“und argumentierte: „Es passieren Fehler. Aus Sicht beider Mannschaften und des fairen sie steht. Gibt es Widerstand, ist es, als werde unten ein tragendes Bauklötzchen aus dem mühsam aufgerichteten Turm gezogen. Dann fällt der BVB auseinander. Wie schon das 2:5 gegen Bayer Leverkusen, das 0:4 bei Ajax Amsterdam, das PokalAus auf St. Pauli oder das 2:4 gegen die Glasgow Rangers war auch dieses Spiel wieder ein Wink mit dem ganzen Zaun: Diese Mannschaft benötigt einen schnellen, tiefgreifenden Umbruch. Sebastian Kehl, der als Sport-Verantwortlicher im Sommer Michael Zorc ablösen wird, hat das erkannt. Doch so einfach ist es nicht. „Wir streben Veränderungen an, Gespräche laufen. (...) Aber es wird halt ein bisschen darauf ankommen: Wird uns der eine oder andere Spieler verlassen? Viele haben noch längere Verträge. Welche Möglichkeiten ergeben sich, dass Spieler wechseln können oder wollen?“, sagte Kehl im „SZ“-Interview. Übersetzt: Die Dortmunder haben sich Spieler ans Bein gebunden, die für zu viel Geld zu wenig Leistung bringen. „Ich will hier lauter Jungs haben, die aber mal so richtig Bock auf diesen Verein haben, sich zerreißen“, sagte Kehl, er sprach vom Aufbrechen „verkrusteter Strukturen“.
Doch ist das ein schwieriger und vor allem langwieriger Prozess. Aktuell ist der Zug der Ziele für den BVB abgefahren. Realitätssinn zumindest ist bei den Akteuren vorhanden. Auch wenn es nicht nötig gewesen wäre – weil es mehr als offensichtlich ist –, erklärte Mats Hummels offiziell die BVB-Saison für beendet. „Den Blick nach oben gibt es nicht mehr“, sagte der Abwehrchef: „Jetzt geht es um einen Grundstein für das nächste Jahr“– für den BVB und die gesamte Bundesliga.
Sports war nichts dabei, was gegen ein faires Spiel spricht.“
Was sagen die Freiburger? SCTrainer Christian Streich betonte, er finde dieses Prozedere „absurd“und sagte entschlossen: „Es gibt eine Regel dafür, fertig. Es gibt ja für alles Regeln, es gibt auch keinen Einspruch beim Eckball oder Freistoß. Ich bin fest davon überzeugt, dass es ein Regelwerk gibt.“Also: „Wieso sollen wir da involviert werden? Wir wollen nicht, dass irgendeinem in der Sache der schwarze Peter zugeschoben wird. Wir bekommen eine Information, wie der Fall ausgeht – und Ende.“Ein SC-Sprecher teilte am Sonntag mit, dass sich die Situation im Vergleich zum Vortag nicht verändert habe. „Die Verantwortlichen schauen sich das an und bewerten die Lage. Wir kommunizieren dann etwas, wenn es etwas zu kommunizieren gibt. Einen Zeitplan haben wir dafür nicht“, hieß es weiter.
Freitag, 8. April
VfB Stuttgart – Borussia Dortmund (20.30)
Samstag, 9. April
Bayern München – FC Augsburg (15.30) VfL Wolfsburg – Arminia Bielefeld (15.30) 1. FC Köln – FSV Mainz 05 (15.30) Greuther Fürth – Mönchengladbach (15.30) Hertha BSC – Union Berlin (18.30)
Sonntag, 10. April
VfL Bochum – Bayer Leverkusen (15.30) Eintracht Frankfurt – SC Freiburg (17.30) RB Leipzig – TSG Hoffenheim (19.30)