Lindauer Zeitung

Bayerns fataler zwölfter Mann

Tabellenfü­hrer spielt in Freiburg 16 Sekunden mit einem Kicker zu viel – Nachspiel droht

- Von Patrick Strasser Von Felix Alex

Es ist Deutschlan­ds derzeit wohl meist diskutiert­e Fußballfra­ge: Wie wird die Bundesliga wieder interessan­t? Denn nach neun Meistersch­aften für den FC Bayern München am Stück langweilt der Titelkampf der Eliteliga wahrschein­lich 98 Prozent der Fußballfan­s (Bayern-Anhänger und Verantwort­liche des Rekordmeis­ters eingeschlo­ssen). Doch müssen Entscheide­r überhaupt nicht groß über Play-offs, neue Geldvertei­lungs-Regelungen oder sonst was fachsimpel­n, solange ein anderer Makel über allem schwebt: die Blauäugigk­eit und Fahrlässig­keit der Konkurrenz.

Während viele Jahre lang die Dominanz des „Stern des Südens“einfach überwältig­end war, ist das Manko der aktuellen Saison zur Abwechslun­g die Schwäche der anderen. RB Leipzig durchlebte (nach personelle­m Aderlass durch die Bayern) am Anfang der Spielzeit eine lange Findungsph­ase und war früh aus dem Meisterren­nen. Warum nicht mal Leverkusen? Die Frage beantworte­t sich schon aus der Historie. Bliebe die Dauerkonku­rrenz aus Dortmund, die sich allerdings genau in einem Jahr, in dem die Bayern schwächeln und viele Chancen auslassen, in absurden Auswüchsen ihrer Bräsigkeit ergehen. Ständig zwickt es irgendwo bei der gelb-schwarzen Borussia. Entweder ist Superstüme­r Erling Haaland verletzt, sind die jungen Gelben zu verspielt und nicht abgezockt oder es fehlt schlichtwe­g die oft zitierte Mentalität (auch wenn Marco Reus das anders sieht). Selbst wenn der FC Bayern auf Anweisung von höchster Instanz dem SC Freiburg noch drei Punkte rüberschie­ben sollte und damit den 20 Sekunden-Aussetzer teuer bezahlt,

- Julian Nagelsmann hatte prächtige Laune – zumindest verkaufte sich der Bayern-Trainer auf der Pressekonf­erenz nach dem 4:1 seiner Münchner beim SC Freiburg gelöst und locker, lachte und scherzte mit den Journalist­en. Rein sportlich hatte er einen – in der zweiten Halbzeit – souverän herausgesp­ielten Erfolg durch die Treffer des Rückkehrer­s Leon Goretzka und Kingsley Coman sowie der eingewechs­elten Serge Gnabry und Marcel Sabitzer beim Tabellenfü­nften zu verantwort­en, der durch das 1:4 des Verfolgers Borussia Dortmund am frühen Abend noch mehr Relevanz erfuhr.

Anhand all der Diskussion­en während des Spiels und der Nachfragen der Reporter dürfte dem 34-Jährigen jedoch längst klargeword­en sein, dass die drei Punkte der Bayern längst nicht sicher verbucht werden können auf dem Weg zur zehnten Meistersch­aft hintereina­nder. Eine nie dagewesene Situation in der Bundesliga, „eine Situation für die Geschichts­bücher“, so Nagelsmann. Ein diffuser Fall, der womöglich vom DFB-Kontrollau­sschuss behandelt werden muss. Falls Freiburg Einspruch einlegt. Der komplexe Fall im Einzelnen:

Was war passiert? Nach einem Doppelwech­sel in der 85. Minute waren bei den Bayern für knapp 20 Sekunden 12 Spieler auf dem Platz, einer zu viel. Corentin Tolisso hatte sich wegen Magenprobl­emen rasch in die Kabine verabschie­det, Niklas Süle und Marcel Sabitzer liefen auf den Platz. Weil auf der Elektrotaf­el die Nummer 29 hochgehalt­en wurde, schaltete Kingsley Coman nicht schnell genug und blieb kurzzeitig noch auf dem Rasen, da der Franzose erst letzten Sommer von seiner alten Rückennumm­er „29“auf die „11“gewechselt hatte. Schiedsric­hter Christian Dingert unterbrach nach Interventi­on von Freiburgs Nico Schlotterb­eck das Spiel beim Stand von 3:1 für die Gäste acht Minuten lang. Er habe den Vorfall „im Spielberic­ht vermerkt“, meinte Dingert, nun müsse „der DFB entscheide­n“. sind die „ärgsten Verfolger“noch weit auf Abstand gehalten. Die jüngste Dortmunder 1:4 (0:2)-Niederlage gegen RB Leipzig steht sinnbildli­ch für die Saison des BVB. Auf hohe Erwartunge­n folgen bittere Enttäuschu­ngen. Die Umstände unterstric­hen die Tragik nur noch

Was ist das Problem? Die entscheide­nde Frage ist: Wird der Fauxpas dem Schiedsric­hterteam um Dingert oder dem FC Bayern angelastet? Regel 3 der Fußball-Regeln des DFB, in der es unter anderem im Abschnitt „Zusätzlich­e Personen auf dem Spielfeld“wird lediglich festgelegt, was der Schiedsric­hter während der Partie zu tun hat und wie eine Spielunter­brechung sanktionie­rt beziehungs­weise das Spiel fortgesetz­t wird. Coman hätte eigentlich eine Gelbe Karte bekommen müssen. Geschenkt. Wichtiger: Unklar ist, ob der für Coman eingewechs­elte Sabitzer als nicht spiel- oder einsatzber­echtigter Spieler gilt. Falls ja, müsste Paragraf 17 Absatz 4 der Rechtsund Verfahrens­ordnung des DFB greifen, wonach das Spiel mit 2:0 für Freiburg gewertet werden müsste. Schiedsric­hterchef Lutz Michael Fröhlich sieht darin „eine sportjuris­tische Fragestell­ung“. Der 64-Jährige bei Sport1: „Inwieweit diese sportjuris­tische mehr. Zum ersten Mal nach 763 Tagen durfte der Fußballtem­pel mit 81 365 Zuschauern wieder ausverkauf­t werden – und dann das.

Doch geht es nicht nur um eine Niederlage, die immer mal passieren kann, sondern vielmehr um das, wofür Formalie strapazier­t wird, um in einen Protest zu gehen – da sind die Juristen am Werk, nicht die Schiedsric­hter.“

Welche rechtliche­n Grundlagen gibt es? Für einen Protest gibt es eine Frist von 48 Stunden, die Breisgauer müssten also bis Montagnach­mittag handeln. Erst dann begännen die Ermittlung­en. „Der Kontrollau­sschuss ist nicht beteiligt, solange Freiburg keinen Einspruch einlegt“, so der Vorsitzend­e Anton Nachreiner.

Was sagen die Bayern? In den Katakomben des neuen Freiburger Europa-Park-Stadions diskutiert­en Bayerns Vorstandsb­oss Oliver Kahn, Sportvorst­and Hasan Salihamidz­ic und Freiburgs Sportvorst­and Jochen Saier angeregt. Nagelsmann sah in dem Wechsel-Malheur „nichts Spielentsc­heidendes“und argumentie­rte: „Es passieren Fehler. Aus Sicht beider Mannschaft­en und des fairen sie steht. Gibt es Widerstand, ist es, als werde unten ein tragendes Bauklötzch­en aus dem mühsam aufgericht­eten Turm gezogen. Dann fällt der BVB auseinande­r. Wie schon das 2:5 gegen Bayer Leverkusen, das 0:4 bei Ajax Amsterdam, das PokalAus auf St. Pauli oder das 2:4 gegen die Glasgow Rangers war auch dieses Spiel wieder ein Wink mit dem ganzen Zaun: Diese Mannschaft benötigt einen schnellen, tiefgreife­nden Umbruch. Sebastian Kehl, der als Sport-Verantwort­licher im Sommer Michael Zorc ablösen wird, hat das erkannt. Doch so einfach ist es nicht. „Wir streben Veränderun­gen an, Gespräche laufen. (...) Aber es wird halt ein bisschen darauf ankommen: Wird uns der eine oder andere Spieler verlassen? Viele haben noch längere Verträge. Welche Möglichkei­ten ergeben sich, dass Spieler wechseln können oder wollen?“, sagte Kehl im „SZ“-Interview. Übersetzt: Die Dortmunder haben sich Spieler ans Bein gebunden, die für zu viel Geld zu wenig Leistung bringen. „Ich will hier lauter Jungs haben, die aber mal so richtig Bock auf diesen Verein haben, sich zerreißen“, sagte Kehl, er sprach vom Aufbrechen „verkrustet­er Strukturen“.

Doch ist das ein schwierige­r und vor allem langwierig­er Prozess. Aktuell ist der Zug der Ziele für den BVB abgefahren. Realitätss­inn zumindest ist bei den Akteuren vorhanden. Auch wenn es nicht nötig gewesen wäre – weil es mehr als offensicht­lich ist –, erklärte Mats Hummels offiziell die BVB-Saison für beendet. „Den Blick nach oben gibt es nicht mehr“, sagte der Abwehrchef: „Jetzt geht es um einen Grundstein für das nächste Jahr“– für den BVB und die gesamte Bundesliga.

Sports war nichts dabei, was gegen ein faires Spiel spricht.“

Was sagen die Freiburger? SCTrainer Christian Streich betonte, er finde dieses Prozedere „absurd“und sagte entschloss­en: „Es gibt eine Regel dafür, fertig. Es gibt ja für alles Regeln, es gibt auch keinen Einspruch beim Eckball oder Freistoß. Ich bin fest davon überzeugt, dass es ein Regelwerk gibt.“Also: „Wieso sollen wir da involviert werden? Wir wollen nicht, dass irgendeine­m in der Sache der schwarze Peter zugeschobe­n wird. Wir bekommen eine Informatio­n, wie der Fall ausgeht – und Ende.“Ein SC-Sprecher teilte am Sonntag mit, dass sich die Situation im Vergleich zum Vortag nicht verändert habe. „Die Verantwort­lichen schauen sich das an und bewerten die Lage. Wir kommunizie­ren dann etwas, wenn es etwas zu kommunizie­ren gibt. Einen Zeitplan haben wir dafür nicht“, hieß es weiter.

Freitag, 8. April

VfB Stuttgart – Borussia Dortmund (20.30)

Samstag, 9. April

Bayern München – FC Augsburg (15.30) VfL Wolfsburg – Arminia Bielefeld (15.30) 1. FC Köln – FSV Mainz 05 (15.30) Greuther Fürth – Mönchengla­dbach (15.30) Hertha BSC – Union Berlin (18.30)

Sonntag, 10. April

VfL Bochum – Bayer Leverkusen (15.30) Eintracht Frankfurt – SC Freiburg (17.30) RB Leipzig – TSG Hoffenheim (19.30)

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FOTO: IMAGO/ GRUENDL Marcel Sabitzer (M.) hätte noch nicht aufs Feld gedurf. Sind nun die Punkte weg? Die Situation ist diffus.
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FOTO: IMAGO/VON DER LAAGE Auch ein Erling Haaland kann nicht immer liefern.
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