Als Erste über zwei Meter
Straddle-Königin und Olympiasiegerin Rosemarie Ackermann wird 70
(SID) - Der Sprung in die sportliche Unsterblichkeit begann mit einer kleinen Schummelei. „Ich war in Wirklichkeit nur 1,735 Meter groß. Aber ich habe damals 1,75 Meter angegeben, weil das die Mindestgröße für die Hochsprungkarriere in der DDR war“, erzählte Rosemarie Ackermann einmal. Nur so konnte aus der „Kleinen“eine ganz Große werden, die am 26. August 1977 im Olympiastadion in West-Berlin als erste Zwei-Meter-Hochspringerin Geschichte schrieb.
„Als ich auf der Matte landete, habe ich die Hände vor dem Gesicht zusammengeschlagen, weil ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Das Gefühl war überwältigend“, sagte Ackermann, die am Montag 70 Jahre alt wird. Noch heute braucht sie „ein paar Minuten, um mich zu sammeln“, wenn sie das Stadion betritt: „Denn dann läuft sofort der Film des Sprungs vor meinem inneren Auge ab.“
Es war exakt 20.14 Uhr, als die damals 25-Jährige aus der Lausitz im Straddle-Stil, den sie Wälzer nennt, bäuchlings die magische Marke knackte – ausgerechnet beim Internationalen Stadionfest Berlin (ISTAF), beim ehemaligen Klassenfeind. „Es war wie im Rausch. Ich stellte bei 1,97 meinen Weltrekord ein und habe mir dann gesagt, jetzt musst du auch mal die zwei Meter probieren“, sagte Ackermann. Die Traumhöhe glückte im ersten Anlauf. Bei 2,02 Meter war die Spannung raus.
Erst am Nachmittag war die Cottbuserin mit der dreiköpfigen DDR-Athletengruppe aus dem Trainingslager in Kienbaum in den Westen der geteilten Stadt gereist. Noch nachts ging es wieder zurück. Die Sternstunde brachte ihr 1500 DDRMark an Rekordprämie und die Titel DDR-Sportlerin des Jahres sowie Weltsportlerin 1977 ein. Die vom Veranstalter gezahlten 10 000 DMark durfte sie damals nicht annehmen.
„Den Flop, mit dem Ulrike Meyfarth schon vier Jahre vor mir Olympiasiegerin geworden war, habe ich damals auch probiert. Ich schaffte 1,82 Meter. Aber eine Umstellung wäre zu schwierig gewesen“, sagte Ackermann, die eines auch ein bisschen schade findet: „Immer nur denken die Leute an diese Leistung. Dabei sprang ich insgesamt sieben Weltrekorde. Und mein Olympiasieg 1976 war sicher die wertvollere Leistung.“Und: „Ich kann sagen, dass ich nie wissentlich gedopt habe.“
Es sei damals „mucksmäuschenstill“im Berliner Olympiastadion gewesen, als sie anlief, erinnert sich Ackermann, geborene Witschas: „Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Dann bin ich abgesprungen. Und ich merkte schon über der Latte, dass sie liegen blieb.“Die Weltrekordprämie,
Rosemarie Ackermann
ein „Koffer voller Geld“, blieb im Westen. „Behalten durfte ich lediglich eine Brosche, die es bei der Siegerehrung gab“, so Ackermann, die letzte Königin des Straddle.
Beim richtig ausgeführten Straddle (zu Deutsch: Parallelwälzer, Tauchwälzer oder Wälzsprung, da man sich bäuchlings über die Latte wälzt) macht der Springer eine Schrägrolle vorwärts, sodass der Oberkörper hinter der Latte abtaucht. Dabei werden die Beine mit gebeugten Knien gespreizt (Froschhocke) und überqueren nacheinander die Latte. Die Landung erfolgt auf Händen und Armen und über die Schulter abrollend. Der Straddle, der als Weiterentwicklung des Rollstils gilt, wurde seit 1968 zunehmend durch den Fosbury-Flop verdrängt und ist seit 1980 fast völlig aus dem Wettkampfsport verschwunden. Nach der Erfindung des Flops wurde der Sprung als zu kompliziert und weniger effektiv angesehen.