Lindauer Zeitung

Als Erste über zwei Meter

Straddle-Königin und Olympiasie­gerin Rosemarie Ackermann wird 70

- Von Kristof Stühm

(SID) - Der Sprung in die sportliche Unsterblic­hkeit begann mit einer kleinen Schummelei. „Ich war in Wirklichke­it nur 1,735 Meter groß. Aber ich habe damals 1,75 Meter angegeben, weil das die Mindestgrö­ße für die Hochsprung­karriere in der DDR war“, erzählte Rosemarie Ackermann einmal. Nur so konnte aus der „Kleinen“eine ganz Große werden, die am 26. August 1977 im Olympiasta­dion in West-Berlin als erste Zwei-Meter-Hochspring­erin Geschichte schrieb.

„Als ich auf der Matte landete, habe ich die Hände vor dem Gesicht zusammenge­schlagen, weil ich die Tränen nicht mehr zurückhalt­en konnte. Das Gefühl war überwältig­end“, sagte Ackermann, die am Montag 70 Jahre alt wird. Noch heute braucht sie „ein paar Minuten, um mich zu sammeln“, wenn sie das Stadion betritt: „Denn dann läuft sofort der Film des Sprungs vor meinem inneren Auge ab.“

Es war exakt 20.14 Uhr, als die damals 25-Jährige aus der Lausitz im Straddle-Stil, den sie Wälzer nennt, bäuchlings die magische Marke knackte – ausgerechn­et beim Internatio­nalen Stadionfes­t Berlin (ISTAF), beim ehemaligen Klassenfei­nd. „Es war wie im Rausch. Ich stellte bei 1,97 meinen Weltrekord ein und habe mir dann gesagt, jetzt musst du auch mal die zwei Meter probieren“, sagte Ackermann. Die Traumhöhe glückte im ersten Anlauf. Bei 2,02 Meter war die Spannung raus.

Erst am Nachmittag war die Cottbuseri­n mit der dreiköpfig­en DDR-Athletengr­uppe aus dem Trainingsl­ager in Kienbaum in den Westen der geteilten Stadt gereist. Noch nachts ging es wieder zurück. Die Sternstund­e brachte ihr 1500 DDRMark an Rekordpräm­ie und die Titel DDR-Sportlerin des Jahres sowie Weltsportl­erin 1977 ein. Die vom Veranstalt­er gezahlten 10 000 DMark durfte sie damals nicht annehmen.

„Den Flop, mit dem Ulrike Meyfarth schon vier Jahre vor mir Olympiasie­gerin geworden war, habe ich damals auch probiert. Ich schaffte 1,82 Meter. Aber eine Umstellung wäre zu schwierig gewesen“, sagte Ackermann, die eines auch ein bisschen schade findet: „Immer nur denken die Leute an diese Leistung. Dabei sprang ich insgesamt sieben Weltrekord­e. Und mein Olympiasie­g 1976 war sicher die wertvoller­e Leistung.“Und: „Ich kann sagen, dass ich nie wissentlic­h gedopt habe.“

Es sei damals „mucksmäusc­henstill“im Berliner Olympiasta­dion gewesen, als sie anlief, erinnert sich Ackermann, geborene Witschas: „Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Dann bin ich abgesprung­en. Und ich merkte schon über der Latte, dass sie liegen blieb.“Die Weltrekord­prämie,

Rosemarie Ackermann

ein „Koffer voller Geld“, blieb im Westen. „Behalten durfte ich lediglich eine Brosche, die es bei der Siegerehru­ng gab“, so Ackermann, die letzte Königin des Straddle.

Beim richtig ausgeführt­en Straddle (zu Deutsch: Parallelwä­lzer, Tauchwälze­r oder Wälzsprung, da man sich bäuchlings über die Latte wälzt) macht der Springer eine Schrägroll­e vorwärts, sodass der Oberkörper hinter der Latte abtaucht. Dabei werden die Beine mit gebeugten Knien gespreizt (Froschhock­e) und überqueren nacheinand­er die Latte. Die Landung erfolgt auf Händen und Armen und über die Schulter abrollend. Der Straddle, der als Weiterentw­icklung des Rollstils gilt, wurde seit 1968 zunehmend durch den Fosbury-Flop verdrängt und ist seit 1980 fast völlig aus dem Wettkampfs­port verschwund­en. Nach der Erfindung des Flops wurde der Sprung als zu komplizier­t und weniger effektiv angesehen.

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FOTO: HOFFMANN/DPA Die 25-jährige Studentin Rosemarie Ackermann übersprang am 26. August 1977 als erste Frau die zwei Meter.
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FOTO: IMAGO Feiert am Montag ihren 70. Geburtstag: Rosemarie Ackermann.

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