Ein Medikament gegen zwei Krankheiten
Erfolg mit Arznei Jardiance – Pharmakonzern Boehringer steckt 25 Milliarden Euro in die Forschung
- Dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim ist ein kleines Kunststück gelungen: Normalerweise erhalten Medikamente immer nur für eine bestimmte Erkrankung eine Zulassung. Nur in Ausnahmefällen wird ein Medikament für die Behandlung von zwei verschiedenen Krankheiten zugelassen. Das ist aber nun der Fall beim Medikament Jardiance von Boehringer Ingelheim. Bisher war Jardiance für die Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen. Seit diesem Jahr kann das Medikament auch gegen Herzschwäche eingesetzt werden. Für das Pharmaunternehmen mit Sitz in Ingelheim am Rhein, das im oberschwäbischen Biberach einen Forschungsstandort mit rund 6500 Mitarbeitern betreibt, bedeutet das – neben dem Forschungserfolg – auch die Chance auf viel Geld.
Schon jetzt ist das 2014 auf den Markt gekommene Medikament Jardiance der stärkste Umsatztreiber für das Unternehmen – 3,9 Milliarden Euro hat die Arznei dem Unternehmen 2021 gebracht. Künftig dürfte sich diese Zahl deutlich erhöhen. „Wir sehen gewaltiges weiteres Potenzial für Jardiance“, sagte Vorstandschef Hubertus von Baumbach bei der Präsentation der Jahreszahlen am Dienstag.
Tatsächlich werden mit dem zusätzlichen Einsatzgebiet eine Menge neuer Patienten für das Unternehmen verfügbar. In Deutschland leiden fast vier Millionen Menschen an der Krankheit, die durch eine verminderte Pumpleistung des Herzens gekennzeichnet ist – weltweit sind es 60 Millionen Betroffene. Und mehr noch: „Das Medikament könnte auch bei einer Vielzahl von chronischen Nierenerkrankungen von
Nutzen sein“, ist das Unternehmen überzeugt. Es gehe darum, „Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Krankheiten besser zu verstehen, zum Beispiel die Zusammenhänge zwischen Herz-, Nieren- und Stoffwechselsystem“, sagte von Baumbach.
Wie viel genau sich mit Jardiance unter den neuen Voraussetzungen in diesem
Jahr verdienen lässt und ob und wann das Medikament die Fünf-Milliarden-Umsatz-Marke knacken könnte, will man bei Boehringer nicht kommentieren.
Generell geht der Konzern, der weltweit knapp 52 400 Mitarbeiter beschäftigt, für das Jahr 2022 von einer „leichten Umsatzsteigerung“ aus, wie von Baumbach am Dienstag sagte.
Schon das vergangene Jahr lief gut für das Unternehmen – trotz der anhaltenden Herausforderungen durch Covid-19. Boehringer Ingelheim hat im vergangenen Jahr 20,6 Milliarden Euro umgesetzt, fünf Prozent mehr als 2020. Unter dem Strich verdiente das Unternehmen 3,4 Milliarden Euro, rund elf Prozent mehr als im Vorjahr.
Boehringer Ingelheims größter Geschäftsbereich der Humanpharmazeutika wuchs dabei um 8,4 Prozent auf 15,3 Milliarden Euro, vor allem eben dank des Medikamentes Jardiance. Die USA waren dabei der umsatzstärkste Markt. Hier erzielte das Unternehmen Umsatzerlöse von 5,8 Milliarden Euro.
Auch der zweite Geschäftsbereich Tiergesundheit legte zu. Das Unternehmen verzeichnete hier einen Umsatz von 4,3 Milliarden Euro, was einem Zuwachs von 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Hintergrund ist unter anderem, dass sich mehr Menschen in der Pandemie ein Haustier zugelegt haben.
Im dritten Geschäftsbereich der Biopharmazeutischen Auftragsproduktion wurde im Jahr 2021 ein Umsatz von 917 Millionen Euro erzielt – ein Plus von 9,5 Prozent. Den Bereich der Biopharmazie, den Boehringer vor allem am Standort in Biberach angesiedelt hat, will das Unternehmen weiter ausbauen, denn in den meisten Gebieten der Medizin sind biotechnologisch hergestellte Arzneimittel nicht mehr wegzudenken.
Vor allem die Behandlung von Immun-, Krebs- und Stoffwechselerkrankungen erfolgt heute immer öfter mit Biopharmazeutika, da sich die zur Therapie notwendigen großen und komplexen Wirkstoffmoleküle nicht mehr chemisch herstellen lassen. Sie werden stattdessen durch gentechnisch veränderte Tierzellen in riesigen Bioreaktoren produziert, anschließend gefiltert und gereinigt und zu guter Letzt aseptisch – also keimfrei – abgefüllt.
Am Standort in Biberach investiert das Unternehmen aus diesem Grund derzeit laut Finanzchef Michael Schmelmer 240 Millionen Euro in ein neues Entwicklungszentrum für biopharmazeutische Medikamente (BDC). Zum 15. März vergangenen Jahres hatte das Unternehmen außerdem das Biotechnologieunternehmen
Labor Dr. Merk mit Hauptsitz in Ochsenhausen, also in unmittelbarer Nähe zum Standort Biberach, übernommen.
Boehringer Ingelheim gab am Dienstag das Versprechen, seine Forschungsausgaben auf ein neues Rekordniveau zu steigern. Mehr als 25 Milliarden Euro sollen in den kommenden fünf Jahren in die Forschungspipeline investiert werden, mehr als sieben Milliarden in die Produktion. Allein in der Sparte Humanmedizin stellte das Familienunternehmen bis zu 15 neue Produkteinführungen in den nächsten vier Jahren in Aussicht. Derzeit umfasse die Pipeline mehr als 100 klinische und präklinische Projekte.
Die Anstrengungen unternimmt das Unternehme trotz eines unsicheren Umfelds, ausgelöst durch die anhaltende Covid-19-Pandemie und die geopolitischen Spannungen in Europa. Besonders der UkraineKrieg treibt den Konzernchef von Baumbach um. In der Ukraine beschäftigt das Unternehmen 100 Menschen. In Russland arbeiten 600 Beschäftigte. Der russische Markt ist für das Unternehmen kein wichtiger. „Derzeit haben wir jegliche geschäftliche Tätigkeit vor Ort in Russland eingestellt“, sagte von Baumbach, dennoch liefere das Unternehmen seine Medikamente weiter in das Land. „Wir sehen es als unsere Verpflichtung an, dass wir Produkte an die russischen Patienten liefern, die sie brauchen“, sagte von Baumbach.
Gleichzeitig habe das Unternehmen 15 Millionen Euro an Schutzsuchende und Bedürftige in der Ukraine bereitgestellt und unterstütze unter anderem mit Medikamentenlieferungen.
Der Vorstandschef betont angesichts der aktuellen Diskussion um ein Energieembargo gegen Russland, wie wichtig die verlässliche Verfügbarkeit von Energie sei. „Hier direkt vor unserem Fenster in Ingelheim steht eine unserer bedeutendsten Wirkstoffproduktionstätten, und Energie dafür bereitzustellen, ist extrem wichtig.“Zusätzlich stammten viele der Vorprodukte bei Boehringer aus Chemiewerken, die wiederum stark von den Gaslieferungen aus Russland abhängig seien.
Er unterstütze die Regierung bei dem Kurs, sich von russischen Energielieferungen unabhängiger zu machen. Als Chef eines Pharmaunternehmens weiß von Baumbach aber auch, wie lange es dauern kann, bis das richtige Medikament zur Therapie eines Problems gefunden ist.