Ohne Auto mobil
Redakteur Emanuel Hege pendelt im Selbstversuch kreuz und quer durch den Kreis Ravensburg – Eigenes Auto ist dabei tabu
- In Amtzell steigt Günther Schmid in den Schnellbus 40 nach Wangen ein. Er ist wackelig auf den Beinen, dennoch läuft er bis ins hintere Drittel des Busses und lässt sich langsam auf einem der bunten Sitze nieder.
Eigentlich sei er immer ein Autofahrer gewesen, sagt Schmid, bis ihm sein Führerschein abgenommen wurde. Das dürfe ruhig in der Zeitung stehen, die Polizei wisse ja Bescheid, sagt er und grinst. Seit rund einem Jahr fährt er nun jeden Tag mit dem Bus von Amtzell nach Wangen und findet es großartig. Im Juni könnte Günther Schmid seinen Führerschein wieder zurückbekommen, doch er sagt: „Ich werde wahrscheinlich darauf verzichten“. Der Bus sei einfach weniger stressig und billiger.
Geht es nach der Politik und Klimaschützern, hat Schmids Einstellung Zukunft. Fahrten mit dem eigenen Auto sollen zur Seltenheit werden, auch auf dem Land. Schnelle Busverbindungen, FahrradSchnellstraßen, Auto-Sharing und Kleinbusse auf Abruf, sollen helfen, den Autoverkehr zu verdrängen.
Doch wie weit sind wir damit in der Region? Wie gut kommt man im Landkreis Ravensburg von A nach B ohne eigenes Auto? Ich habe das getestet und war eine Woche ohne eigenes Auto kreuz und quer im Kreis unterwegs. Es war anstrengend, das Angebot hat mich aber auch an einigen Stellen überrascht – mit der Zeit beschlich mich aber eine bedrückende Erkenntnis.
Der Selbstversuch
An fünf aufeinanderfolgenden Tagen fahre ich morgens von meiner Wohnung in der Ravensburger Altstadt in eine der fünf Redaktionen im Kreis. In Wangen, Bad Wurzach, Isny, Bad Waldsee und Leutkirch werde ich den Tag über arbeiten und abends wieder zurückfahren. Für mein Projekt nutze ich die Mobil-App der Technischen-Werke-Schussental (TWS).
Die gibt es seit 2020 und zeigt mir nicht nur den schnellsten Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern auch wie ich mit einem LeihFahrrad oder Leih-Auto mein Ziel erreiche. In der App werden ältere und neuere Lösungen gebündelt, erklärt TWS-Mobilitätsexpertin Jenny Jungnitz vor meinem Selbstversuch. In der Mobilität der Zukunft müsse man es dem Nutzer einfach machen und alles aus einer Hand bieten.
Montag
Ich friere am Montagmorgen, denn ich bin viel zu früh an der Haltestelle. In meiner Jugend kannte ich die Buspläne auswendig und war immer auf die Minute genau an der Haltestelle. Durch viele Jahre mit eigenem Auto habe ich das verloren.
Ich fahre nach Wangen, die wohl einfachste Fahrt der Woche. Seit vergangenen Dezember gibt es eine Schnellbuslinie von Ravensburg in die zweitgrößte Stadt des Kreises. Teil des ÖPNV-Konzeptes des Landkreises sind aber auch neue Verbindungen von Wangen nach Isny, Leutkirch nach Bad Wurzach, künftige Nachtbuslinien und Busse auf Abruf. Das Konzept hat der Kreistag vergangenes Jahr beschlossen und kostet jedes Jahr zwei Millionen Euro, gefördert durchs Land.
Nach einer halben Stunde Fahrt bin ich am Wangener Bahnhof. Ich laufe nur wenige Minuten bis zur Redaktion und bin froh, keinen Parkplatz suchen zu müssen. Denn die werden in Wangen und anderen Städten im Kreis teurer.
Am Abend nehme ich den gleichen Bus zurück nach Ravensburg. Unterwegs buche ich mein E-Auto für den nächsten Tag. Seit rund einem Jahr bietet die TWS ein Carsharing mit drei Elektro-Kleinwagen an. Im Vorhinein musste ich mich durch ein Dickicht an Registrierungen kämpfen. Man braucht eine TWSKundenkarte, muss sich beim Sharing-Anbieter aus Bayern anmelden und seinen Führerschein über eine spezielle App validieren lassen. Das macht man nur mit, wenn man das Carsharing wirklich nutzen will, denke ich mir.
Dienstag
Zehn Minuten laufe ich am nächsten Morgen zum E-Auto am Bahnhof. Mit der Kundenkarte der TWS öffne ich die Tür. Ich stecke das Ladekabel aus und lege es in den Kofferraum, überfliege die laminierte Anleitung, die vom Rückspiegel herunterbaumelt und greife zum Autoschlüssel in der Mittelkonsole. Fuß aufs Gaspedal und sofort auf die Bremse. Ich bin versehentlich im Rückwärtsgang und nur einen Fußbreit von einem Auffahrunfall entfernt.
3000 Nutzer sind bereits auf der TWS-Mobil-App registriert, 13 500 Mal wurde im vergangenen Jahr ein Auto oder ein Fahrrad über die App gebucht. „Das ist nicht wahnsinnig viel, unter den Umständen der Pandemie sind wir aber schon zufrieden“, sagt Jenny Jungnitz. Neben Alltagsnutzern wie mir, richtet sich die App auch an Unternehmen und Verwaltungen. Vor allem die Mitarbeiter der Stadt Ravensburg nutzten das Angebot bereits häufig, so Jungnitz.
Die Fahrt mit dem E-Auto in die Redaktion in Bad Wurzach macht überraschend viel Spaß. Obwohl ich am liebsten einige Umwege fahren würde, bringe ich das Auto schon am Nachmittag wieder zurück, denn die Leihe geht ganz schön ins Geld. 45 Euro zahle ich für sieben Stunden und bemerke: Car-Sharing ist das eigentlich nicht.
Bei Angeboten in Großstädten kann man die Autos an beliebigen Orten abstellen, wo dann andere Nutzer wieder einsteigen und ihr Ziel anfahren. So steht das Auto seltener nutzlos herum. Beim TWSSharing
muss man das Auto immer an den Ausgangsort zurückbringen. Es wird nicht eine Fahrt von A nach B gebucht, sondern ein fester Zeitraum. Es ist also eher ein Leih-System. Das Angebot müsste deutlich größer werden, mit mehr Fahrzeugen und Nutzern in der ganzen Region, damit die Autos wirklich effizient und damit auch kostengünstiger für den Nutzer geteilt werden würden.
Mittwoch
Am dritten Tag fahre ich mit dem Bus nach Isny, mit Umstieg in Wangen. Auf dem Weg treffe ich besagten Günther Schmid, der mir außerdem erzählt, dass die Busfahrer viel netter sein als noch zu seiner Jugend in den 1970er-Jahren. „Die sind uns Schülern damals immer vor der Nase weggefahren.“Es ist ein sonniger Morgen, von Eglofs aus sehe ich die Alpen. Obwohl die Fahrt doppelt so lang dauert wie mit dem Auto, löst die Begegnung mit Schmid und der Ausblick ein kurzes Hochgefühl aus, das ich im Auto so nicht gehabt hätte.
Donnerstag
Am Donnerstagmorgen habe ich das erste Mal üble Laune. Ich komme in dieser Woche deutlich später heim als normalerweise und stehe deutlich früher auf. Die Vorfreude auf das Ende des Selbstversuches wächst. Um in die Redaktion nach Bad Waldsee zu kommen, nutze ich den Zug. Wie die ganze Woche, läuft alles unkompliziert.
Der Tag geht schnell vorüber, ich habe viel zu tun. Um 18 Uhr schrecke ich plötzlich hoch: Ich muss zum Bus und ich habe kein Bargeld für das Ticket – in der TWS-Mobil-App kann man nur Tickets für den Stadtbus Ravensburg-Weingarten kaufen. Ich renne also durch die Waldseer Altstadt auf der Suche nach einem Bankautomaten. Dann weiter. Im Stechschritt hetze ich in Richtung Parkplatz Bleiche, das Handy mit einer Stadtkarte in der Hand.
Zwei Minuten später sacke ich in den Sitz der Linie 30 und könnte direkt einschlafen. Ich wollte eigentlich noch zum Basketballtraining – natürlich mit dem Bus. Weil heute alles länger gebraucht hat als gedacht, geht sich mein ursprünglicher Plan aber nicht mehr aus. Mit dem Auto würde ich es noch schaffen. Am Ende lasse ich Basketball ausfallen und hänge nur noch vor dem Fernseher.
Einige Tage zuvor hatte mir Ravensburgs Oberbürgermeister Daniel Rapp bei einem Interview von dem Freiheitsgefühl erzählt, das das eigene Auto hervorrufe. Rapp hofft auf einen starken ÖPNV mit Bussen auf Abruf, mehr Fahrradfahrer durch den Radschnellweg von Baindt an den See und nennt dabei Vorbilder wie Kopenhagen. Doch er bemerke eben auch enorme Widerstände. „Das Eigentum von einem Auto hat bei uns eine emotionale Bedeutung. Bei einer Umfrage, was man unter Freiheit verstehe, haben andere europäische Bürger so Dinge gesagt wie Meinunsgfreiheit. Die Mehrheit der Deutschen sagte, das eigene Auto.“
Freitag
Ich fahre mit Bus und Bahn nach Leutkirch und brauche über eine Stunde. Im Bus spreche ich einen Mann in meinem Alter an. Er heißt Kishore Mani, kommt urprünglich aus Indien und lebt seit fast vier Jahren in Weingarten – ohne Auto. Erst studierte er Mechatronik und arbeitet jetzt bei einem Unternehmen in Wangen.
„Früher kam ein Bus nur einmal die Stunde, das ist seit der Fahrplanänderung viel besser“, sagt er. Für einen Führerschein habe er bisher keine Zeit gehabt, und es sei ihm auch nicht so wichtig. Mit Bus, Bahn und seinem Rennrad komme er auch in der Freizeit gut zurecht.
Es ist Abend, ich verabschiede mich von den Leutkircher Kollegen. Am Kartenautomat am Bahnhof spricht mich eine junge, hagere Frau mit osteuropäischen Akzent an. Mit ihr unterwegs: eine ältere Frau und sechs Kinder und Jugendliche verschiedenen Alters. Wie sie denn nach Wangen kommen würden, fragt die Frau, und ich studiere mit ihr den Fahrplan. Ich ahne es schon, da beantwortet sie bereits die unausgesprochene Frage. Die Gruppe ist aus der Ukraine geflohen. Sie hätten viel Hilfe erfahren und dürfen den Zug kostenlos nutzen, sagt sie und dankt überschwänglich für meine Auskunft. Auch wenn es eine unbedeutende Begegnung war, sie zeigt mir eines: Die Isolation, die das eigene Auto bietet, kann schön sein. Aber eben auch isolierend.
Fazit
Nach fünf Tagen, zehn Fahrten, sechs Mal umsteigen und fast zehn Stunden in Bus, Bahn und Sharing-Auto bin ich um einige Erkenntnisse reicher. Der Autoverkehr in unserem ländlichen Landkreis wird nie verschwinden, da machen sich Landratsamt, Jenny Jungnitz von der TWS und Oberbürgermeister Rapp keine Illusion. Sie peilen aber eine Zukunft an, in der die Alternativen zum Auto immer besser werden und Zweitund Drittwagen überflüssig machen.
Auch wenn kleinere Gemeinden wie Haslach bei Wangen immer noch kaum ohne Auto erreichbar sind – es gibt Verbesserungen. In der Anzahl der Linien und der Taktung. Die neuen Regiobusse zeigen beispielsweise Wirkung, das haben die Vielfahrer Günther Schmid und Kishore Mani bestätigt. Auch der neu gegründete „Interessenverband Bodo-Ringzug“hat im März seine Arbeit aufgenommen. Das Car-Sharing Angebot ist noch längst nicht so komfortabel und günstig wie man es aus Ballungsräumen kennt, doch der Anfang ist zumindest getan. Nicht nur in Ravensburg, beispielsweise auch in Isny.
Wichtig wird eine gute Zusammenarbeit zwischen Anbietern und der öffentlichen Hand – damit Angebote kein Stückwerk bleiben. Es braucht ein Sharing-Angebot für die ganze Region, in einer App. Die TWS-Mobil-App hat hier einen guten Start hingelegt, Details wie die Suchfunktion und Ticketkäufe für Verbindungen in der Region müssen noch verbessert werden. Aber: Kostspielige Förderungen für immer bessere Angebote bringen nur dann etwas, wenn sie auch angenommen werden. Letztlich geht es um Zeit und Geld. Fahrten mit dem eigenen Auto sind flexibel und passen in unseren modernen Alltag, in den wir immer mehr Erlebnisse und Verpflichtungen stopfen. Ein Anreiz, auf das Auto zu verzichten, wäre das Geld. Ein Leben mit Auto kostet zwar mehr, aber nicht zu viel, als ein Leben mit ÖPNV und Car-Sharing.
Wenn der Autoverkehr weniger werden soll, müssen sich die Politik und unsere Verwaltungen für gute Alternativen einsetzen. Am Ende liegt es aber an uns – der Gesellschaft – ob wir diese Alternativen nutzen. Diese Alternativen, die mehr Zeit fressen. Nach meinem Selbstversuch glaube ich: Wenn die Mobilitätswende klappen soll, müssen wir alle genügsamer werden.