Lindauer Zeitung

Sehnsucht nach Frieden

In Dresden findet Ukrainer Melitschen­ko Ablenkung

- Von Lucas Böhme und Gerald Fritsche

(dpa) - Kyrylo Melitschen­ko hat sein Lachen, seine Fröhlichke­it verloren. Der Fußballer des ukrainisch­en Erstligist­en FK Mariupol spricht leise, fast schüchtern über die vergangene­n drei Monate. Und er spricht nicht über Fußball, sondern über sein Zuhause in der Ukraine. Ein Zuhause, dass er seit mehr als zwei Monaten nicht mehr gesehen hat. Ein Zuhause, dass es so nicht mehr gibt. Der Krieg hat aus dem einst schönen Mariupol eine Ruinenstad­t gemacht. Seither ist der junge Fußballer ein Vertrieben­er. An eine Rückkehr nach Hause, gar als Fußballer, ist in absehbarer Zeit nicht zu denken.

Das leise, zaghafte „Hallo“ist das einzige deutsche Wort, dass Melitschen­ko am Montag über die Lippen kommt. Dann übersetzt seine Freundin Anja. „Er kann die Sprache noch nicht so gut sprechen. Aber wir üben jeden Tag“, sagt sie. Seine eigentlich­e Sprache sei der Fußball, denn den würde man überall verstehen.

Eigentlich spielt Melitschen­ko Rechtsvert­eidiger beim FK Mariupol. Wie für Dynamo Dresden, dass dem talentiert­en Mann gegenwärti­g eine Trainingsm­öglichkeit gibt, geht es auch für die Mannschaft aus der Ostukraine um den Klassenver­bleib. Viel mehr Gemeinsamk­eiten gibt es zwischen beiden Vereinen nicht. Aber darum geht es dieser Tage nicht.

Während er mit ruhiger Stimme spricht, ist Freundin Anja mehrmals den Tränen nahe. „Mariupol war eine so schöne Stadt“, sagt sie. Das Vereinsgel­ände des ukrainisch­en Erstligist­en sowie seine Wohnung in einem Mietshaus der ostukraini­schen Stadt mit all ihren persönlich­en Habseligke­iten seien völlig zerstört. Die Eltern des Paares sind mittlerwei­le aus den Kellern der Hauptstadt Kiew in den Westen des Landes geflohen. Er selbst hatte am 20. Januar letztmalig ukrainisch­en Boden unter den Füßen. Von da aus ging es ins Trainingsl­ager in der Türkei – ohne zu wissen, dass er sein Land so schnell nicht wiedersehe­n würde. Am 24. Februar saß das Team auf dem Flughafen, bereit zur Rückreise. „Doch da war der Luftraum in der Ukraine bereits gesperrt. Wir sind dann wieder zurück ins Hotel gefahren“, erzählt der 22Jährige über den Tag des Kriegsbegi­nns. Der Club teilte den Spielern dann mit, dass sie sich Vereine suchen sollen, bei denen sie sich fit halten können.

Freundin Anja, die nach einem einjährige­n Praktikum in Potsdam über sehr gute Deutschken­ntnisse verfügt, schrieb deshalb mehrere Vereine in Deutschlan­d an und bat um Hilfe. „Innerhalb von zwei Stunden hatten wir eine Rückmeldun­g von Dynamo, zwei Tage später waren wir in Dresden“, berichtet Melitschen­ko. Seit rund zwei Wochen trainiert der junge Ukrainer nun dort.

Der Fußballer, der wegen seines Logistik-Studiums keinen Armeediens­t antreten musste, wünscht sich nichts mehr als baldigen Frieden. „Alles andere ist nicht wichtig.“

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FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Kyrylo Melitschen­ko (re.) hält sich in Dresden fit.

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