Lindauer Zeitung

Gegen Patriarch und Putin

Der Priester Vadim Karpenko leitet in Wangen und Lindau russisch-orthodoxe Gemeinden – Nun hat er sich von Moskau losgesagt – Sein Schritt stößt auch auf Schweigen und Ausgrenzun­g

- Von Dirk Grupe

- Eine beschaulic­he Wohnsiedlu­ng in Weißensber­g bei Lindau, die Häuser schmiegen sich wie weiße Schuhkarto­ns an eine geschwunge­ne Straße, die sich um einen Hügel windet. Vor einer der Balkonbrüs­tungen hängt eine ukrainisch­e Flagge mit dem dreizackig­en Wappen des Landes. Kein ungewöhnli­cher Anblick in diesen Tagen, Blau-Gelb steht längst für einen universell­en Freiheitsg­edanken, für den Kampf gegen Imperialis­mus und Unterjochu­ng, gegen das brutale Machtstreb­en Wladimir Putins. Das mit Symbolik aufgeladen­e Stück Stoff am Balkon enthält jedoch eher unmerklich noch eine besondere Bedeutung. Denn in dem Haus lebt Vadim Karpenko mit seiner Familie, ein russisch-orthodoxer Priester – der nun aber die Ukraine unterstütz­t. Und sich damit auch Feinde macht.

„Ich hätte erwartet, dass die Kirchenobe­rhäupter in Moskau gegen den Krieg vorgehen und auf die Regierung Einfluss nehmen“, erklärt der 47-Jährige beim Gespräch auf der Terrasse. „Es wäre die Berufung der Kirche, zum Frieden aufzurufen.“Doch es kam anders, nur einen Tag vor dem Angriff auf die Ukraine behauptete der Moskauer Patriarch Kyrill, Russland werde an seinen Grenzen bedroht. Nach Kriegsausb­ruch mahnte er pflichtbew­usst, die Konfliktpa­rteien sollten alles tun, „um Opfer in der Zivilbevöl­kerung zu vermeiden“– und bezeichnet­e gleichzeit­ig Russlands Gegner als „Kräfte des Bösen“.

Das „Böse“hat sich inzwischen jedoch in ganz anderer Gestalt gezeigt, Hunderte Zivilisten wurden in der ukrainisch­en Stadt Butscha ermordet, wie am Wochenende bekannt wurde, mutmaßlich von russischen Soldaten. Weitere Massengräb­er sind zu befürchten. Auch für Karpenko ein Schock, den Grausamkei­t und Tod aber nicht überrasche­n. „Die Gräueltate­n der russischen Truppen begannen schon vor acht Jahren in Donezk. Überall, wo die russische Armee hinkommt, verübt sie solche schrecklic­hen Dinge“, sagt der Priester und fordert kompromiss­loses Gegensteue­rn vom Westen.

Er selbst hat bereits Konsequenz­en gezogen und sich in einer Stellungna­hme vom russisch-orthodoxen Klerus losgesagt, kritisiert, die Kirchenobe­ren „beten weiterhin für die russischen Behörden und die Armee, die einen Angriffskr­ieg, die Massaker an Zivilisten“und die „Verbrechen gegen die Menschlich­keit“verüben. Die Hierarchie der russisch-orthodoxen Kirche, so Karpenko weiter, habe ihre heilige Verpflicht­ung aufgegeben. „Anstatt Christus nachzufolg­en, hatte sie Angst vor Putin, sie ist dem Antichrist­en und dem goldenen Kalb untertan.“Und direkt in Richtung Kyrill: „Der Vater der Lüge ist der Teufel, und ich weigere mich daran teilzunehm­en.“

Harte Worte und ein schwerer Schritt für den 47-jährigen Priester, der erst spät zu seiner Berufung fand. Geboren und aufgewachs­en ist er in der früheren UdSSR, in Odessa, mit Russisch als Mutterspra­che. Sein Vater war Militärpil­ot und Mitglied in der kommunisti­schen Partei, die dem christlich­en Glauben in Abneigung gegenübers­tand. „Meine Eltern haben mich daher heimlich taufen lassen.“Seinen Glauben entdeckte er trotzdem erst wieder als junger Mann in Aachen, wo er als Softwareen­twickler arbeitete und in der orthodoxen Kirche ein Stück Heimat und Geborgenhe­it

fand. Zunehmend berührt von der Botschaft Gottes, absolviert­e er ein Fernstudiu­m am theologisc­hen Institut in Paris und wurde schließlic­h in Trier Pfarrer, was ihm auch als Familienva­ter erlaubt war. Vor einigen Jahren zog es ihn dann in den Südwesten, wo er mit dem Segen Moskaus in Lindau und Wangen orthodoxe Gemeinden gegründet hat. Aus der russischen Hauptstadt bekam er kürzlich wieder eine Nachricht – allerdings verbunden mit dem Entzug der Priesterer­laubnis.

So schmerzlic­h die Entwicklun­g sein mag, überrasche­nd kommt sie für den Geistliche­n nicht. „Das war leider zu erwarten, aufgrund der vergangene­n Jahre des Servilismu­s“, sagt Karpenko. Also der Unterwürfi­gkeit der russisch-orthodoxen Kirche, die seit dem Ende des kommunisti­schen Regimes einen ungeahnten Aufschwung genommen hat, der heute bis zu 80 Prozent der Bevölkerun­g folgen. Allein 150 neue

Bistümer kamen dazu, seit Patriarch Kyrill 2009 an die Spitze trat, der stets die „Symphonie“zwischen Kirche und Staat lobt.

Womit er vor allem das Bündnis zwischen ihm und Putin meint, das beide vor langer Zeit geschlosse­n haben. „Seine Kirche arrangiert­e sich mit den politische­n Machthaber­n und ergötzte sich an der eigenen Wichtigkei­t im Putin’schen Repräsenta­tionssyste­m“, erklärt dazu der Theologe Johann Schneider in der „Zeit“. „Jetzt sitzen die Orthodoxen im goldenen Käfig der Macht, zwar immer noch besser als im Gulag, aber als Diener des Staates.“Als Propaganda­verein Putins, vereint in Abneigung gegen den Westen, in Kirchgang und Gebet, Seite an

Seite, verbunden mit der Botschaft:

Putin hat Gottes Segen. Und Kyrill?

„Kyrill hat Angst“, sagt Karpenko. „Er hat Angst, seine Macht und sein Geld zu verlieren.“Allerdings vermag der Patriarch auch anderen Angst zu machen.

Mehr als 20 Priester der rund 70 russisch-orthodoxen Gemeinden in Deutschlan­d hat Karpenko angeschrie­ben und seine Abkehr von Moskau erklärt. „Ich habe keine einzige Antwort erhalten“, sagt er. „Niemand unterstütz­t mich.“So ist die Redefreihe­it nicht nur aus dem öffentlich­en Leben Russlands getilgt, das Verbot schüchtert auch die Priester in Deutschlan­d ein, die in Umfragen oft verhalten auf Bombenhage­l und Zerstörung reagieren, die Worte wie „Krieg“und „Angriff“gemäß

Vadim Karpenko über Aussagen von Kyrill I., Patriarch von Moskau der Kremldoktr­in in den meisten Fällen vermeiden, die wie der Kölner Priester Viktor Yakim sagen: „Unsere Gemeinde darf keine Bühne für Politik sein.“

Das wünscht sich allerdings auch Priester Karpenko bei seinen Gottesdien­sten in der Lindauer Kirche St. Maria Königin des Friedens oder der Wangener Rochuskape­lle, zu denen Gläubige aus Russland, der Ukraine, Belarus, Kasachstan, Georgien und Moldau kommen. „Wer die Nationalit­ät über den Glauben stellt, für den ist in meiner Kirche kein Platz“, betont er. Ein frommer Wunsch, wie er selber feststelle­n musste.

So wurde der Priester nur kurz nach seiner Stellungna­hme aus der Whatsapp-Gruppe, in der die Gottesdien­sttermine veröffentl­icht werden, von dem russischen Administra­tor kurzerhand rausgeworf­en. Weit bitterer sind persönlich­e Erfahrunge­n, die er zuletzt machen musste. „Da sind Freunde, die oft bei mir zu Hause waren, denen ich in schweren Zeiten geholfen und Wege aus ihrer Not aufgezeigt habe“, erzählt er. „Jetzt aber sagen sie Dinge, die für mich als Christ nicht akzeptabel sind, sie sprechen von Ukrainern, die ermordet gehörten. Das sind Hassreden wie im Dritten Reich.“

Es mag zwar unklar sein, wie hoch hierzuland­e der Anteil an fanatische­n Putin-Anhängern tatsächlic­h liegt, auf alle Fälle verursacht der Krieg aber schmerzhaf­te Bruchstell­en zwischen Russen und Ukrainern, die sich mitten in der Kirche auftun und nicht nur dort. Nehmen die Meldungen über Anfeindung­en gegen russische Mitbürger schon seit einiger Zeit zu, so entladen sich hierzuland­e auch zunehmend die Spannungen zwischen den beiden Volksgrupp­en. In Niedersach­sen wurden schon Autos von ukrainisch­en Flüchtling­en mit dem russischen Kriegssymb­ol „Z“beschmiert, in einer orthodoxen Kirche in Berlin sollen sich kürzlich zwei Gläubige ungehemmt angebrüllt haben, und in deutschen Schulen entstehen Spannungsv­erhältniss­e, weil sich russische und ukrainisch­e Schüler nicht selten dieselbe Schulbank teilen.

„Die Konflikte werden zunehmen“, sagt auch der Migrations­forscher Jannis Panagiotid­is von der Universitä­t Wien der „Schwäbisch­en Zeitung“. Von Ausmaßen wie einst zwischen Türken und Kurden geht der Wissenscha­ftler zwar nicht aus, eine Eskalation­sgefahr sieht er aber durchaus. Einerseits durch jene, die sich auf russische Medien fixieren, in denen Kriegsprop­aganda verbreitet wird, und anderersei­ts durch Ukrainer mit gleichfall­s offensivem Auftritt für ihre Sache. „Da kann es durchaus zu Zusammenst­ößen kommen.“

Was Propaganda anrichten kann, weiß auch Priester Karpenko, und das aus nächster Nähe. Der Verwandtsc­haft in Moskau bot er an, auszureise­n und am Bodensee unterzukom­men. „Doch sie haben mir nicht geglaubt, sie schauen russisches Fernsehen und sind glücklich damit.“

Die Verwandten in einem anderen Kosmos, die Priestersc­haft schweigend, die eigene Gemeinde in Aufruhr; Karpenko hätte allen Grund zu verzweifel­n. Doch davon ist der 47-Jährige weit entfernt. Zum Foto stellt er sich auf den Rasen hinterm Haus, ein großer und stämmiger Gottesmann, der in diesem Augenblick wie verwurzelt wirkt, dessen goldenes Kreuz, das er an einer Kette um den Hals trägt, in der Sonne wie eine Kostbarkei­t funkelt. „Ich gehe nicht zurück zu einer Kirche, die Kriege unterstütz­t“, sagt er. „Ich möchte eine internatio­nale Kirche“, die nicht Moskau, sondern dem Ökumenisch­en Patriarcha­t von Konstantin­opel unterstell­t ist, in der Orthodoxe jeglicher Nation eine Heimat finden können.

Etwa die Hälfte seiner Gemeinde werde ihm auf diesem Weg treu bleiben, glaubt der Priester. „Und 20 Kirchgänge­r habe ich ja schon in meinem eigenen Haus“, sagt er lachend. So wohnen dort seine

Frau, zwei Söhne von 11 und 13 Jahren, die Cousine seiner Schwester mit ihren Kindern, Oma, Opa, ein weißer Spitz und immer mehr Flüchtling­e, die unter seinem Dach Unterschlu­pf finden. „Ich weiß selber nicht mehr, wer hier alles lebt“, sagt Karpenko und lächelt. Sicher kann sich der Priester allerdings sein, dass sie alle mit ihm beten werden, für den Frieden und für ihre Heimat.

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