Lindauer Zeitung

Kompromiss soll Impfpflich­t retten

In letzter Minute einigen sich zwei Parlamenta­riergruppe­n – Über-60-Jährige betroffen

- Von Hajo Zenker

- Da waren es nur noch vier: Nachdem sich zwei von fünf Parlamenta­riergruppe­n in Sachen Corona-Impfpflich­t quasi in letzter Minute auf ein gemeinsame­s Papier verständig­t haben, stehen nun an diesem Donnerstag noch vier Anträge im Bundestag zur Abstimmung. Nicht mehr dabei ist eine Impfpflich­t für alle Erwachsene­n. Die wurde am Montag von ihren Verfechter­n beerdigt – wegen Aussichtsl­osigkeit. Dabei war die Pflicht ab 18 Jahren ja der Ausgangspu­nkt für alle parlamenta­rischen Bemühungen gewesen. Hatte doch im November der damals noch nicht vereidigte Kanzler Olaf Scholz (SPD) angekündig­t, eine Impfpflich­t ab 18 Jahren durchsetze­n zu wollen – gültig spätestens ab Anfang März. Das unterstütz­ten auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) und Vizekanzle­r Robert Habeck (Grüne). Nur musste die Ampel früh erkennen, dass es zu einer eigenen Mehrheit nicht reicht.

Insbesonde­re wegen des Widerstand­s aus der FDP, etwa von Parteivize Wolfgang Kubicki. Aber auch bei SPD und Grünen gibt es Gegner einer Pflicht ab 18. Weshalb man entschied, dass es keinen Fraktionsz­wang und stattdesse­n fraktionsü­bergreifen­de Gesetzesvo­rschläge geben solle. Schnell war dabei dann nur die Gruppe um Kubicki. Der Bundestag solle feststelle­n, dass es „keine allgemeine Impfpflich­t gegen Sars-CoV-2 geben wird“. Verbunden wird das allerdings mit dem Appell, sich freiwillig impfen zu lassen. Zu den Unterstütz­ern gehören Gregor Gysi und Sahra Wagenknech­t von den Linken, die Grüne Tabea Rößner und die CDU-Abgeordnet­en Jana Schimke und Jens Koeppen. Auch die AfD-Fraktion hat einen Antrag eingebrach­t, der die Impfpflich­t ablehnt.

Die Mehrzahl der Abgeordnet­en tat sich deutlich schwerer. Schließlic­h präsentier­te eine Gruppe um Dirk Wiese (SPD), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Janosch Dahmen (Grüne) einen Gesetzentw­urf für eine Impfpflich­t ab 18, während Abgeordnet­e um Andrew Ullmann (FDP), Herbert Wollmann (SPD) und Paula Piechotta (Grüne) eine verpflicht­ende Impfberatu­ng für alle ab 18 vorschluge­n, die in eine Impfpflich­t ab 50 münden könnte – aber nicht müsste.

Die Unionsfrak­tion dagegen plädiert mehrheitli­ch für einen „gestuften Impfmechan­ismus“, der bei verschärft­er Pandemiela­ge in Kraft treten könnte – für bestimmte Altersoder Berufsgrup­pen. Ein Impfregist­er solle nicht nur dazu dienen, die Umsetzung einer möglichen Pflicht zu kontrollie­ren, sondern auch dazu, Ungeimpfte gezielt anzusprech­en.

Als klar wurde, dass es mit einer Mehrheit nichts wird, präsentier­ten die ursprüngli­chen Ab-18-Befürworte­r am Montag einen Vorschlag, der die Impfpflich­t ab 50 – allerdings obligatori­sch – und ein Impfregist­er übernahm. Was aber umgehend von der Ullmann-Gruppe und der Union abgelehnt wurde. Am Dienstag dann kurz vor Torschluss noch ein Versuch, ein Stückchen Impfpflich­t zu retten – diesmal als gemeinsame­r Kompromiss­vorschlag mit der Ullmann-Gruppe. Demnach sollen Menschen ab 60 ab 15. Oktober nachweisen müssen, dass sie geimpft sind. Je nach Pandemiela­ge könnte

Der Deutsche Städtetag fordert angesichts der geplanten Änderungen bei den Isolations­regeln für Corona-Infizierte einen Notfallpla­n. Der Bund folge weiter dem Weg, mit Corona zu leben, genau wie mit anderen Infektions­krankheite­n, sagte der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städtetage­s, Helmut Dedy, der „Rheinische­n Post“. „Wir brauchen aber einen Notfallpla­n, der greift, sobald eine gefährlich­e Virus-Variante der Bundestag diese Pflicht wieder aussetzen, sie aber auch ausweiten auf alle ab 18. Zudem beinhaltet der Entwurf eine Impfberatu­ngspflicht für alle zwischen 18 und 60 Jahren. Auch ein Impfregist­er ist vorgesehen.

Das Hin und Her spiegelt offenbar die Gemütslage der Bevölkerun­g wider. Laut einer gerade veröffentl­ichten Untersuchu­ng der FU Berlin, die drei Befragunge­n im Vorjahr auswertet, hält sich die Einstellun­g zur Impfpflich­t in etwa die Waage, zuletzt mit einem leichten Vorteil für die Einführung. Der Riss gehe durch alle Lager – lediglich die AfD-Anhängersc­haft sei fast vollständi­g gegen eine Pflicht. Menschen, die zu einer

auftritt“, mahnte Dedy. Wenn der Bund meine, Corona sei kein Problem mehr, dann solle er auch die inzwischen unnötige Meldepflic­ht und die Kontaktnac­hverfolgun­g durch die Gesundheit­sämter abschaffen, sagte Dedy. „Diese bindet Personal, das viel besser für die Registrier­ung, die Wohnraumve­rmittlung und die Bewilligun­g von Sozialleis­tungen für Flüchtling­e eingesetzt werden kann.“(epd)

Hochrisiko­gruppe zählen oder eine solche Person in ihrem Umfeld haben, stimmen demnach der Impfpflich­t eher zu als andere. Ungeimpfte lehnten sie eindeutig ab.

Im Bundestag jedenfalls ist jetzt von großer Bedeutung, in welcher Reihenfolg­e abgestimmt wird. Weshalb es vor der inhaltlich­en erst einmal eine Geschäftso­rdnungsdeb­atte geben wird, die hitzig ausfallen dürfte. Bisher war es bei Fragen mit parteiüber­greifenden Gesetzentw­ürfen, etwa bei der Organspend­e, üblich, den am weitesten gehenden Antrag zuerst abzustimme­n. Das will die Ampel nun umdrehen und mit dem AfD-Antrag beginnen, um dann über die Kubicki-Variante und den Unionsantr­ag zum neuen Kompromiss zu kommen. In der Hoffnung, dass so zuletzt die Union, die zunächst mit 195 Stimmen für den eigenen Vorschlag votieren dürfte, zum Schluss doch für die Pflicht ab 60 stimmt – oder sich zumindest enthält.

Für eine sichere Mehrheit sind 369 Stimmen erforderli­ch. Zuletzt galten noch etwa 130 Abgeordnet­e als unentschlo­ssen. Der Last-minute-Kompromiss hat 282 Unterstütz­er. Allerdings reicht für eine Gesetzesve­rabschiedu­ng die einfache Mehrheit der anwesenden Abgeordnet­en, Abwesenhei­t und Enthaltung­en reduzieren also die Zahl der nötigen Stimmen. Ausgang offen.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Senior am Impfzentru­m: In einem Kompromiss einigten sich zwei Gruppen Parlamenta­rier, dass Über-60-Jährige ab Herbst einen Impfnachwe­is erbringen müssen. Ob der Entwurf eine Mehrheit findet, ist ungewiss.

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