Länder wollen weniger für geflüchtete Ukrainer zahlen
Bund soll sich stärker an Kosten für Wohnungen und Kita-Plätze beteiligen – Am Donnerstag könnte es eine Einigung geben
- Die freiwilligen Helfer am Hauptbahnhof in Berlin können etwas aufatmen. Die Zahl der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine steigt inzwischen deutlich langsamer als in den Wochen zuvor. An manchen Tagen waren mehr als Zehntausend Menschen angekommen, jetzt sind es so viele innerhalb einer halben Woche. Wie viele Geflüchtete in Deutschland Schutz gesucht haben, weiß niemand so genau, weil viele von ihnen bislang nicht registriert sind. Um all diese offenen Fragen geht es, wenn sich an diesem Donnerstag die Ministerpräsidenten der Länder mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) treffen.
Die Erwartungshaltung der Länderchefs – und vor allem auch der Vertreter von Städten und Gemeinden – ist klar: Der Bund soll sich mehr anstrengen bei der Registrierung und gleichmäßigen Verteilung der ukrainischen Flüchtlinge und die Kosten für ihre Unterbringung und Versorgung übernehmen. „Die Aufnahme der Flüchtlinge ist ein Kraftakt – auch finanziell. Diese Kosten müssen den Kommunen erstattet werden“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Wüst, der derzeit auch Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist, warb dafür, unbefristet Pauschalen pro Person zu bezahlen.
Auch Baden-Württemberg sieht den Bund in der Pflicht, wenn es um die Ausgaben der Länder und Kommunen für Flüchtlinge geht. Der Bund müsse sich noch deutlich bewegen und finanziell einstehen – und zwar für alle Flüchtlinge, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch in einer Regierungserklärung in Stuttgart. Die Unterkunftskosten müssten zu 100 Prozent übernommen werden, bei anderen Ausgaben, beispielsweise für Kita und Schule, erwarte er eine faire Verteilung der Kosten.
Der Bundeskanzler zeigte sich derweil in Berlin gewillt, mit den Ländern eine schnelle Einigung in der Ausgabenfrage zu erzielen. „Ich wünsche mir, dass wir nicht eine ewig lange Diskussion über die finanziellen
Fragen zwischen den verschiedenen Ebenen unseres Landes haben“, sagte Scholz im Bundestag. Und: Es würden noch mehr ukrainische Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Doch was heißt eigentlich „mehr“? Die Frage ist auch deshalb schwierig zu beantworten, weil niemand so genau weiß, wie viele Ukrainer sich bereits in Deutschland aufhalten. Das Bundesinnenministerium gab am Mittwoch bekannt, es seien inzwischen 313 200 Flüchtlinge registriert worden. Diese Zahl ist allerdings nur bedingt aussagekräftig, da sich Menschen mit einem ukrainischen Pass bei der Einreise nach Deutschland nicht anmelden müssen. Solange sie keine staatliche Unterstützung
brauchen, können sie sich aufhalten, wo sie wollen.
Der Unionsfraktion im Bundestag geht dieses freischwebende Dasein deutlich zu weit. Es sei eine inakzeptable Situation, „dass nicht klar ist, wie viele Leute hier sind“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer, Thorsten Frei, vor Kurzem in Berlin. Der innenpolitische Sprecher der Fraktion, der Heilbronner Bundestagsabgeordnete Alexander Throm (CDU), plädiert dafür, unmittelbar nach dem Grenzübertritt die Identität der Flüchtlinge zu überprüfen und sie gleichzeitig umfassend zu registrieren. Es gehe nicht um Kontrolle, sondern um einen besseren Schutz der Menschen in Deutschland.
In einem 13 Punkte umfassenden „Masterplan“, über den an diesem Donnerstag im Bundestag debattiert wird, fordert die Unionsfraktion die Ampel-Koalition auf, unter anderem einen Krisen- und Koordinierungsstab im Kanzleramt einzurichten sowie einen Flüchtlingsgipfel auf höchster Ebene einzuberufen.
Diejenige, die bei der Opposition in Flüchtlingsfragen am meisten in der Kritik steht, ist Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie habe es nicht verstanden, dass Landkreise und Städte nicht dafür ausgestattet seien, in kurzer Zeit viele Menschen aufzunehmen, heißt es aus der Union. Deshalb habe sie die Verteilung und Registrierung der
Kriegsflüchtlinge zu lasch vorangetrieben. Auch die Registrierung in den Aufnahmeorten könnte schneller vorangehen, wenn die entsprechenden Geräte vorhanden wären.
Auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, eine Parteikollegin Faesers, klingt in ihren Appellen nicht glücklich mit der momentanen Situation. Die besondere Situation von Städten wie Berlin, die viele Flüchtlinge aufgenommen haben, müsse bei den Gesprächen mit dem Kanzler berücksichtigt werden, sagte sie in dieser Woche.
Dabei blieb das Bundesinnenministerium (BMI) nicht untätig, als die ersten Kriegsflüchtlinge Deutschland erreichten. Im Vergleich zu anderen Projekten wurde in Windeseile das Portal „Germany4Ukraine“entwickelt, das den Menschen aus der Ukraine bei der Suche nach einer Unterkunft oder medizinischer Versorgung helfen soll. In Zukunft soll es die Plattform den Flüchtlingen ermöglichen, digital einen Aufenthaltstitel zu beantragen oder ukrainische Dokumente abzurufen. Das ersetzt zwar nicht die offizielle Registrierung vor Ort, aber es könnte den Arbeitsalltag der mehr als 500 Ausländerbehörden in Deutschland erleichtern, wenn die Daten der Schutz suchenden Menschen bereits erfasst wären. Zudem verspricht sich das Innenministerium vom digitalen Fortschritt eine einfachere Verteilung der Flüchtlinge auf Deutschland.
Dass es die Menschen aus der Ukraine vor allem in die großen Städte zieht, hat sich gleich in den ersten Wochen nach dem russischen Angriffskrieg gezeigt. 42 Prozent von ihnen sind in Großstädten mit mehr als 500 000 Einwohnern untergekommen, davon 14 Prozent in Berlin, fünf Prozent in München und drei Prozent in Hamburg. Dies ergab eine Befragung von 1936 Flüchtlingen im Auftrag des BMI. Das ist für die betroffenen Städte nicht nur wegen des angespannten Wohnungsmarktes ein Problem. Sie befürchten auch hohe Zusatzausgaben durch die Versorgung der Menschen, die bislang nach dem Asylbewerberleistungsgesetz 367 Euro im Monat pro Person bekämen.
Doch auch in dieser Frage gibt es Bewegung: Wenn es nach dem Willen von Innenministerin Faeser geht, sollte für die ukrainischen Flüchtlinge an diesem Donnerstag ein Sonderweg eingeschlagen werden. Die SPD-Politikerin will, dass die Geflohenen die gleiche Unterstützung erhalten wie deutsche Langzeitarbeitslose – sprich Hartz-IV-Leistungen. Bei den Unionspolitikern in den Ländern stößt diese Idee auch auf Skepsis. Vor allem die Bayern sehen es kritisch, dass die Flüchtlinge aus der Ukraine mehr bekommen sollen als ihnen nach derzeitiger Gesetzeslage zusteht. Für eine zusätzliche Privilegierung bestehe überhaupt keine Notwendigkeit, teilte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vor wenigen Tagen mit.