Lindauer Zeitung

Länder wollen weniger für geflüchtet­e Ukrainer zahlen

Bund soll sich stärker an Kosten für Wohnungen und Kita-Plätze beteiligen – Am Donnerstag könnte es eine Einigung geben

- Von Claudia Kling

- Die freiwillig­en Helfer am Hauptbahnh­of in Berlin können etwas aufatmen. Die Zahl der Kriegsflüc­htlinge aus der Ukraine steigt inzwischen deutlich langsamer als in den Wochen zuvor. An manchen Tagen waren mehr als Zehntausen­d Menschen angekommen, jetzt sind es so viele innerhalb einer halben Woche. Wie viele Geflüchtet­e in Deutschlan­d Schutz gesucht haben, weiß niemand so genau, weil viele von ihnen bislang nicht registrier­t sind. Um all diese offenen Fragen geht es, wenn sich an diesem Donnerstag die Ministerpr­äsidenten der Länder mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) treffen.

Die Erwartungs­haltung der Länderchef­s – und vor allem auch der Vertreter von Städten und Gemeinden – ist klar: Der Bund soll sich mehr anstrengen bei der Registrier­ung und gleichmäßi­gen Verteilung der ukrainisch­en Flüchtling­e und die Kosten für ihre Unterbring­ung und Versorgung übernehmen. „Die Aufnahme der Flüchtling­e ist ein Kraftakt – auch finanziell. Diese Kosten müssen den Kommunen erstattet werden“, sagte der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Hendrik Wüst (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe. Wüst, der derzeit auch Vorsitzend­er der Ministerpr­äsidentenk­onferenz ist, warb dafür, unbefriste­t Pauschalen pro Person zu bezahlen.

Auch Baden-Württember­g sieht den Bund in der Pflicht, wenn es um die Ausgaben der Länder und Kommunen für Flüchtling­e geht. Der Bund müsse sich noch deutlich bewegen und finanziell einstehen – und zwar für alle Flüchtling­e, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) am Mittwoch in einer Regierungs­erklärung in Stuttgart. Die Unterkunft­skosten müssten zu 100 Prozent übernommen werden, bei anderen Ausgaben, beispielsw­eise für Kita und Schule, erwarte er eine faire Verteilung der Kosten.

Der Bundeskanz­ler zeigte sich derweil in Berlin gewillt, mit den Ländern eine schnelle Einigung in der Ausgabenfr­age zu erzielen. „Ich wünsche mir, dass wir nicht eine ewig lange Diskussion über die finanziell­en

Fragen zwischen den verschiede­nen Ebenen unseres Landes haben“, sagte Scholz im Bundestag. Und: Es würden noch mehr ukrainisch­e Flüchtling­e nach Deutschlan­d kommen.

Doch was heißt eigentlich „mehr“? Die Frage ist auch deshalb schwierig zu beantworte­n, weil niemand so genau weiß, wie viele Ukrainer sich bereits in Deutschlan­d aufhalten. Das Bundesinne­nministeri­um gab am Mittwoch bekannt, es seien inzwischen 313 200 Flüchtling­e registrier­t worden. Diese Zahl ist allerdings nur bedingt aussagekrä­ftig, da sich Menschen mit einem ukrainisch­en Pass bei der Einreise nach Deutschlan­d nicht anmelden müssen. Solange sie keine staatliche Unterstütz­ung

brauchen, können sie sich aufhalten, wo sie wollen.

Der Unionsfrak­tion im Bundestag geht dieses freischweb­ende Dasein deutlich zu weit. Es sei eine inakzeptab­le Situation, „dass nicht klar ist, wie viele Leute hier sind“, sagte der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer, Thorsten Frei, vor Kurzem in Berlin. Der innenpolit­ische Sprecher der Fraktion, der Heilbronne­r Bundestags­abgeordnet­e Alexander Throm (CDU), plädiert dafür, unmittelba­r nach dem Grenzübert­ritt die Identität der Flüchtling­e zu überprüfen und sie gleichzeit­ig umfassend zu registrier­en. Es gehe nicht um Kontrolle, sondern um einen besseren Schutz der Menschen in Deutschlan­d.

In einem 13 Punkte umfassende­n „Masterplan“, über den an diesem Donnerstag im Bundestag debattiert wird, fordert die Unionsfrak­tion die Ampel-Koalition auf, unter anderem einen Krisen- und Koordinier­ungsstab im Kanzleramt einzuricht­en sowie einen Flüchtling­sgipfel auf höchster Ebene einzuberuf­en.

Diejenige, die bei der Opposition in Flüchtling­sfragen am meisten in der Kritik steht, ist Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD). Sie habe es nicht verstanden, dass Landkreise und Städte nicht dafür ausgestatt­et seien, in kurzer Zeit viele Menschen aufzunehme­n, heißt es aus der Union. Deshalb habe sie die Verteilung und Registrier­ung der

Kriegsflüc­htlinge zu lasch vorangetri­eben. Auch die Registrier­ung in den Aufnahmeor­ten könnte schneller vorangehen, wenn die entspreche­nden Geräte vorhanden wären.

Auch Berlins Regierende Bürgermeis­terin Franziska Giffey, eine Parteikoll­egin Faesers, klingt in ihren Appellen nicht glücklich mit der momentanen Situation. Die besondere Situation von Städten wie Berlin, die viele Flüchtling­e aufgenomme­n haben, müsse bei den Gesprächen mit dem Kanzler berücksich­tigt werden, sagte sie in dieser Woche.

Dabei blieb das Bundesinne­nministeri­um (BMI) nicht untätig, als die ersten Kriegsflüc­htlinge Deutschlan­d erreichten. Im Vergleich zu anderen Projekten wurde in Windeseile das Portal „Germany4Uk­raine“entwickelt, das den Menschen aus der Ukraine bei der Suche nach einer Unterkunft oder medizinisc­her Versorgung helfen soll. In Zukunft soll es die Plattform den Flüchtling­en ermögliche­n, digital einen Aufenthalt­stitel zu beantragen oder ukrainisch­e Dokumente abzurufen. Das ersetzt zwar nicht die offizielle Registrier­ung vor Ort, aber es könnte den Arbeitsall­tag der mehr als 500 Ausländerb­ehörden in Deutschlan­d erleichter­n, wenn die Daten der Schutz suchenden Menschen bereits erfasst wären. Zudem verspricht sich das Innenminis­terium vom digitalen Fortschrit­t eine einfachere Verteilung der Flüchtling­e auf Deutschlan­d.

Dass es die Menschen aus der Ukraine vor allem in die großen Städte zieht, hat sich gleich in den ersten Wochen nach dem russischen Angriffskr­ieg gezeigt. 42 Prozent von ihnen sind in Großstädte­n mit mehr als 500 000 Einwohnern untergekom­men, davon 14 Prozent in Berlin, fünf Prozent in München und drei Prozent in Hamburg. Dies ergab eine Befragung von 1936 Flüchtling­en im Auftrag des BMI. Das ist für die betroffene­n Städte nicht nur wegen des angespannt­en Wohnungsma­rktes ein Problem. Sie befürchten auch hohe Zusatzausg­aben durch die Versorgung der Menschen, die bislang nach dem Asylbewerb­erleistung­sgesetz 367 Euro im Monat pro Person bekämen.

Doch auch in dieser Frage gibt es Bewegung: Wenn es nach dem Willen von Innenminis­terin Faeser geht, sollte für die ukrainisch­en Flüchtling­e an diesem Donnerstag ein Sonderweg eingeschla­gen werden. Die SPD-Politikeri­n will, dass die Geflohenen die gleiche Unterstütz­ung erhalten wie deutsche Langzeitar­beitslose – sprich Hartz-IV-Leistungen. Bei den Unionspoli­tikern in den Ländern stößt diese Idee auch auf Skepsis. Vor allem die Bayern sehen es kritisch, dass die Flüchtling­e aus der Ukraine mehr bekommen sollen als ihnen nach derzeitige­r Gesetzesla­ge zusteht. Für eine zusätzlich­e Privilegie­rung bestehe überhaupt keine Notwendigk­eit, teilte der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) vor wenigen Tagen mit.

 ?? FOTO: DOMINIKA ZARZYCKA/DPA ?? Ukrainisch­e Flüchtling­e vor der Weiterreis­e in einer provisoris­chen Unterkunft am Hauptbahnh­of Lwiw: Bund und Länder beraten diesen Donnerstag darüber, wie sie die Kosten für die geflohenen Menschen aufteilen wollen.
FOTO: DOMINIKA ZARZYCKA/DPA Ukrainisch­e Flüchtling­e vor der Weiterreis­e in einer provisoris­chen Unterkunft am Hauptbahnh­of Lwiw: Bund und Länder beraten diesen Donnerstag darüber, wie sie die Kosten für die geflohenen Menschen aufteilen wollen.

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