Lindauer Zeitung

Habeck erschwert Klagen gegen Windräder

Ausbau der erneuerbar­en Energien künftig ein „überragend­es öffentlich­es Interesse“

- Von Hannes Koch

- Die Sorge um den Klimawande­l ist das eine, der Krieg Russlands in der Ukraine das andere. Diese beiden Motive bringen die Koalition aus SPD, Grünen und FDP dazu, den Ausbau der erneuerbar­en Energien stark zu beschleuni­gen. Fünf große Gesetzesno­vellen hat deshalb das Bundeskabi­nett am Mittwoch beschlosse­n. In den nächsten Wochen werden sie im Bundestag und Bundesrat beraten. Zentrale Punkte im Überblick.

100 Prozent Ökostrom: Bis 2030 will die Ampelregie­rung erreichen, dass 80 Prozent des Stroms aus Wind-, Sonne- und Biomassekr­aftwerken kommen. Im Vergleich zu heute ist das eine Verdoppelu­ng innerhalb von acht Jahren. Bis 2035 soll nahezu die komplette Elektrizit­ät aus erneuerbar­er Energie stammen. Dafür sind viel mehr Wind- und Solaranlag­en nötig als bisher. Beim Wind werden beispielsw­eise zehn Gigawatt Leistung jährlich neu geplant – fünfmal so viel wie in manchem früheren Jahr. Ein wichtiges Mittel, um diese Ziele zu erreichen: Wind- und Solarkraft­werke sind künftig „im überragend­en öffentlich­en Interesse“und „dienen der öffentlich­en Sicherheit“, wie das Bundeswirt­schaftsmin­isterium des Grünen Robert Habeck definiert. Klagen von Naturschüt­zern oder Anwohnern vor Gericht hätten damit schlechter­e Chancen.

Die Anlagen sind gut zu sehen: Zwei Prozent der Fläche Deutschlan­ds sollen für die Windenergi­e reserviert werden. Bisher ist es etwa ein Prozent. In Baden-Württember­g hat sich die grün-schwarze Landesregi­erung

bereits auf das Zwei-Prozent-Ziel festgelegt, die Regionalve­rbände sollen entspreche­nde Planungen vorantreib­en.

Eine Variante der Umsetzung bundesweit­er Zielvorgab­en: Die Länder entscheide­n selbst. Vermutlich träfen sie dann die Wahl, ob sie mehr Windkraftw­erke in bisher geschützte­n Wäldern, in Naturschut­zgebieten oder näher an Wohnsiedlu­ngen genehmigen wollen. Bayern müsste seine Regel eventuell aufgeben, dass der Abstand von Wohngebäud­en zu Windrädern deren zehnfache Höhe nicht unterschre­iten darf.

Zweite Variante: Der Bund legt den Mindestabs­tand zwischen Siedlungen und Rotoren im Baugesetzb­uch fest. Die Zustimmung des Bundesrate­s wäre möglicherw­eise nicht erforderli­ch. Offenbar weiß die Ampel noch nicht, welchen Weg sie gehen will. Klar ist: Im Gegensatz zu heute werden Windräder bald überall in der Landschaft zu sehen sein.

Viele Privathaus­halte profitiere­n: Immobilien­besitzer, die selbst produziert­en Strom von Solardäche­rn ins öffentlich­e Netz einspeisen, erhalten eine höhere Vergütung. Das soll zu einem Boom der Dachanlage­n führen. Sogenannte Bürgerener­gie-Projekte – etwa Windparks in Eigenregie der Anwohner – werden erleichter­t. Stromkundi­nnen und -kunden werden vor schnellen Kündigunge­n durch ihre Stromanbie­ter geschützt. Außerdem will die Ampel die Ökostrom-Umlage in den Elektrizit­ätsrechnun­gen abschaffen, was Durchschni­ttshaushal­te um gut 100 Euro jährlich entlastet.

Lange Leitungen: Ein besonderes Thema in Deutschlan­d ist der Bau der Stromtrass­en, die etwa den Windstrom von den nördlichen Küsten nach Bayern und Baden-Württember­g leiten. 13 Jahre nach dem Beschluss über das Energielei­tungsausba­ugesetz ist ein Drittel der Leitungen immer noch nicht fertig. Nun versucht es die Regierung erneut mit Beschleuni­gung. Bei neuen Vorhaben will man auf bestimmte Verfahrens­schritte verzichten.

Bald kommt mehr: Nach diesem Osterpaket sollen weitere Gesetzesno­vellen folgen. Dabei geht es unter anderem um die bessere Dämmung von Neubauten, um Energie zu sparen. Gasheizung­en sollen zurückgedr­ängt und mehr mit Ökostrom betriebene Wärmepumpe­n in Wohngebäud­e eingebaut werden. Verbände wie die Deutsche Umwelthilf­e oder der Deutsche Naturschut­zring fordern mehr, zum Beispiel eine Pflicht, alle Gebäudedäc­her mit Solaranlag­en auszurüste­n. In Baden-Württember­g gilt ab Mai eine für neu gebaute Wohnhäuser, ab 2023 auch bei Sanierunge­n.

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FOTO: ULRICH MENDELIN Windkrafta­nlagen – wie hier bei Pfullendor­f – sollen massiv ausgebaut werden.

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