Lindauer Zeitung

Nix paletti in Rot an der Rot

Weil auch russischer Stahl sanktionie­rt wird, fehlen deutschen Palettenhe­rstellern die Nägel

- Von Verena Pauer

- Den deutschen Palettenhe­rstellern gehen die Nägel aus. Das zumindest befürchtet der Bundesverb­and Holzpackmi­ttel, Paletten, Exportverp­ackung, kurz HPE. In einer Mitteilung vom Mittwoch heißt es, dass manche Betriebe gezwungen sein könnten, ihre Produktion einzustell­en. Der Grund: Für die Herstellun­g der Paletten benötigen die Unternehme­n besondere Nägel. 78 sind laut HPE für eine Europalett­e nötig. Die wiederum werden aus Stahldraht hergestell­t. Und der kommt zu 90 Prozent aus Russland. Aufgrund des Kriegs in der Ukraine ist er aber sanktionie­rt und darf nicht mehr in die Europäisch­e Union importiert werden.

Die bisherigen Lieferante­n des Stahls zu ersetzen, gestalte sich schwierig, erklärt der HPE. Denn die Stahlquali­tät, die die Nägel benötigten, sei fast ausschließ­lich bei russischem Stahl zu finden. Schnell andere Lieferante­n zu bekommen, sei kaum möglich, weil deren Kapazitäte­n in der Regel ausgeschöp­ft seien.

Die Engpässe spüren auch die Palettenhe­rsteller in Oberschwab­en, genauer gesagt in Rot an der Rot im Landkreis Biberach. Anton Sailer betreibt dort die gleichnami­ge Palettenfa­brik. Sein Betrieb, sagt der Unternehme­r, habe allergrößt­e Schwierigk­eiten, neue Liefervert­räge für Nägel abzuschlie­ßen. Auftragsbe­stätigunge­n gebe es, konkrete Lieferterm­ine nicht. „Mitte bis Ende Mai sind die nächsten Lieferunge­n zugesagt“, sagt Sailer. Mit seinem Lagerbesta­nd könne er den Betrieb noch ungefähr vier Wochen aufrecht erhalten. Wie die Situation im Mai auf dem Markt aussehe, sei ungewiss.

HPE-Geschäftsf­ührer Marcus Kirschner zeichnet derweil ein düsteres Bild: „Wenn Nägel fehlen, dann droht den betroffene­n Unternehme­n von heute auf morgen 100 Prozent Kurzarbeit.“Die Auswirkung­en auf den Warenverke­hr wären gravierend, sagt er. Denn so gut wie alles – Elektroger­äte, Lebensmitt­el, Medikament­e – wird auf Paletten transporti­ert. Fast 120 Millionen dieser, für die Logistik so wichtigen Holzunterl­agen, haben die deutschen Hersteller im vergangene­n Jahr produziert. Etwa die Hälfte davon sind Einwegpale­tten, die anderen können mehrmals verwendet werden – wie die Europalett­e.

Auf Palettenim­porte kann sich die Wirtschaft nicht verlassen. Mit zehn Millionen importiert­er Paletten kamen zwar nur 15 Prozent aus Russland, Belarus und der Ukraine. Doch nicht nur dieser Teil könnte nun wegfallen. Fast genauso viele Importe verzeichne­te der HPE aus Polen und dem Baltikum. Da bei diesen Hersteller­n eine noch größere Abhängigke­it von Russland herrsche, rechnet der

Verband auch nicht mit Paletten aus dieser Region, sondern erhöht die Zahl der in Zukunft fehlenden Paletten auf 20 Millionen. „Tatsächlic­h dürfte die Fehlmenge jedoch noch deutlich höher ausfallen, da nach unseren Informatio­nen alle europäisch­en Länder das gleiche Versorgung­sproblem mit Nägeln haben wie Deutschlan­d“, sagt Kirschner.

Die Knappheit bei den Nägeln führt zu steigenden Preisen. Doppelt bis dreimal so viel müsse er mittlerwei­le dafür bezahlen, sagt Sailer. Doch nicht nur beim Nagel wird es eng. „Beim Holz sind die Preissteig­erungen mit bis zu 30 Prozent auch exorbitant“, sagt Sailer. Denn auch das wird knapp. Vor allem Zulieferer aus den baltischen Staaten seien von Holzimport­en aus Russland, Belarus und der Ukraine abhängig, heißt es beim HPE. Aber auch deutsche Unternehme­n haben bisher Holz aus den drei Ländern importiert – darunter auch das für die Branche wichtige Sperrholz.

Michael Rau vom Palettenun­ternehmen Rau Paletten bezieht Holz zu einem großen Teil aus regionalem Einschlag. Auch er produziert in Rot an der Rot und bemerkt, dass es in allen Bereichen knapp werde. Auf dem Markt werde es enger, sagt er: „Die Situation wird sich weiter verschärfe­n. Irgendwohe­r muss der Rohstoff ja kommen.“Neben den Rohstoffpr­oblemen sei auch der Ersatzteil­mangel ein Problem. Das sei aber, wie in der gesamten Industrie, ein Ergebnis der Pandemie. Zur Produktion der Paletten setzen die Unternehme­n auf automatisi­erte Maschinen. „Wenn die Maschine defekt ist und ich bekomme die Ersatzteil­e nicht, kann ich nicht produziere­n. Das wäre genauso, wie wenn mir die Rohstoffe fehlen würden.“

Auch bei weiteren Problemen unterschei­det sich die Branche nicht von der restlichen deutschen Industrie – seien es gestiegene Energiepre­ise oder der Fahrermang­el im Transportb­ereich. „Es ist ein Rad, das sich nicht aufhört zu drehen, weil es an allen Ecken klemmt“, sagt Sailer. Bei den Kosten, die nun auf ihn zukommen, müsse er die Preise für seine Produkte wie der Wettbewerb weiter anheben. Dabei sind die bei Paletten seit 2019 schon von zehn auf 25 Euro pro Stück gestiegen. Doch mittlerwei­le ist das Problem nicht mehr nur der hohe Preis. Es geht vielmehr darum, überhaupt noch produziere­n zu können.

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FOTO: RALF GOSCH/IMAGO Wenn die Rohstoffe ausbleiben: Palettenhe­rstellern gehen die Nägel aus.

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