„Russisches Gas kann nicht komplett ersetzt werden“
Experte Ulreich über die deutsche Energieabhängigkeit, Take-or-pay-Verträge und darüber, wie Moskau Europa den Hahn abdrehen könnte
- Die deutsche Wirtschaft hat wegen des Ukraine-Kriegs jeden Tag mehr Angst vor den Folgen eines Energie-Embargos – sowohl von Seiten Russlands als auch der Europäischen Union. Stefan Ulreich hat sich mit einem solchen Szenario beschäftigt. Verena Pauer hat den Professor für Energiehandel und Energiepolitik an der Hochschule Biberach gefragt, wie wichtig Russland für den weltweiten Energiehandel ist und wie europäische Länder russisches Gas ersetzen können.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnt, dass Deutschland anderen Staaten nicht das Öl wegnehmen dürfe. Wie eng wird es auf dem Energiemarkt?
Auf dem Markt ist schon noch einiges vorhanden. In Saudi-Arabien ist man außerdem dazu in der Lage, mehr Öl zu fördern. Man kann auch darüber nachdenken, ob ein Embargo gegen den Iran aufgehoben wird. Das wäre ein zusätzlicher Exporteur. Die Frage ist, ob der Iran einem lieber ist als Russland. Die Idee, dass wir aus demokratisch legitimierten Ländern unsere Energie beschaffen können, müssen wir wahrscheinlich ad acta legen. Wir sind gezwungen, mit Ländern zusammen zu arbeiten, die vielleicht nicht ganz unseren Vorstellungen entsprechen.
Was würde bei einem Embargo mit dem Gas in Russland passieren? Solange der Druck aufrechterhalten werden kann, kann die Förderung von Gas reduziert stattfinden. Russland hat außerdem genügend Gasspeicher, die das Gas, das gefördert werden muss, auffangen können. Und das Land hat nach wie vor die Möglichkeit, Gas als Flüssiggas zu exportieren. Auch bei Öl gibt es diese Mindestmenge, die gefördert werden muss. Denn wenn man so ein Bohrloch schließt, ist das mit Kosten verbunden. Doch rein technisch ist das dort eher möglich.
Wie würde so ein Embargo von russischer Seite aussehen?
Die Pumpen werden gestoppt, die den Druck in der Pipeline aufrechterhalten. Die Reste, die sich dann noch in der Pipeline befinden, können noch abgesaugt werden. Aber ab dem Zeitpunkt ist relativ schnell klar, dass in Deutschland kein Gas mehr ankommen kann. Aus den Speichern in Europa kann dann noch eine Zeitlang
Gas gezogen werden. Aus Norwegen wird weiterhin geliefert. Aber ab dem Zeitpunkt, an dem kein Gas mehr aus Russland kommt, wird die Bundesnetzagentur ihren Notfallplan aktiveren. Das heißt dann auch, dass bestimmte Unternehmen keinen Zugang mehr zum Erdgas haben.
Wie nützlich wäre ein Gas-Embargo gegen Russland?
Sehr viele Verträge sind sogenannte Take-or-Pay-Verträge. Sie beruhen auf einer Mindestmenge, die auch bezahlt werden muss, wenn der Kunde weniger Gas abnimmt. Im Extremfall spricht Deutschland ein Embargo aus, muss aber die Menge, die über Take-or-Pay abgesichert ist, weiterbezahlen. Und das sind beträchtliche Mengen. An den finanziellen Strömen würde sich also erst mal wenig ändern. Der einzige Unterschied ist, dass wir kein Gas haben. Man könnte natürlich auch die Zahlung komplett verweigern. Allerdings wäre das von russischer Seite einklagbar. Diese Entscheidung Deutschlands würde vom Markt genau beobachtet werden. Wenn wir anfangen, Verträge einseitig zu annullieren, wird sich ein Land wie Katar überlegen, ob es mit Deutschland wirklich einen Liefervertrag abschließen will. Vielleicht verkaufen sie dann weiterhin lieber an Japan, China und Südkorea, die in den vergangenen Jahren vertragsfest und stabil waren.
Wann laufen die Verträge aus?
Ein paar Verträge Europas mit Russland laufen Ende des Jahres aus. Da geht es dann um zehn bis 15 Milliarden Kubikmeter. Die kann man bei einem anderen Lieferanten bestellen. Ein paar Verträge laufen aber auch erst 2030 aus. Momentan ist das die einzige Möglichkeit, bis zum Take-or-Pay-Betrag zu reduzieren.
Privathaushalte verbrauchen etwa 40 Prozent des Erdgases in Deutschland. Wie wichtig ist es jetzt, Energie zu sparen?
Das Gas, das wir jetzt nicht verbrauchen, hilft die Speicher zu füllen und nächsten Winter eine unangenehme Situation zu vermeiden. Laut IEA bringt es schon etwas, wenn die europäischen Haushalte ihre Thermostate um ein Grad runterregeln. Das würde zehn Milliarden Kubikmeter einsparen. Das ist schon mal eine ordentliche Nummer.
Stefan Ulreich (Foto: Hochschule) ist Professor für Energiehandel, Risikomanagement, Energiepolitik und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Biberach. Diese veranstaltet in diesem Semester eine öffentliche Ringvorlesung mit dem Titel „Die Ukraine, Russland und der Westen – Auswirkungen des Krieges auf (Energie-)märkte, internationales Recht und Kulturen“. An drei Abenden behandelt die Vorlesungsreihe den Krieg in der Ukraine, zum Auftakt geht es um das Thema „Das ,System Putin’ und die Folgen des Krieges für den Energiemarkt“am heutigen Donnerstag um 19 Uhr im Audimax der Hochschule. Nähere Infos: www.hochschulebiberach.de (vep)