Lindauer Zeitung

Von wegen dumme Kuh

Rinder können mehr als Milch geben – Trainer erreichen Erstaunlic­hes mit den Tieren

- Von Frederick Mersi

(dpa) - Ihre gut 900 Kilogramm Gewicht halten Emmi nicht vom Schritt auf ihre kleine Bühne ab. Gerade mal 60 Zentimeter Durchmesse­r bietet das Podest, das vor dem etwa sechs Jahre alten Rind auf der Wiese steht, doch durch das Training von Markus Holzmann schafft Emmi den erstaunlic­h grazilen Balanceakt. Der 21-Jährige aus Steingaden im Ostallgäu ist dort als „Kuhflüster­er“bekannt – ein Titel, den er sich nicht selbst ausgesucht hat, wie er betont.

Über Jahre hinweg hat Holzmann auf dem Hof seiner Familie nicht nur Emmi, sondern auch seinem Ochsen Hugo, Pferd Prinz und einigen weiteren Rindern Kunststück­e und den Umgang miteinande­r antrainier­t. Inzwischen verdient der 21-Jährige als „Kuhcoach“sein Geld. Vor allem Hobbytierh­altern helfe er beim Umgang mit Rindern und Pferden, sagt er. Dafür sei er in ganz Deutschlan­d und in der Schweiz unterwegs. Manche Tierhalter bringen ihre Tiere auch zu ihm an den Alpenrand, wo sie auf einem Trainingsp­arcours üben können, der einer Hundesport­anlage im Großformat gleicht.

Dass Kühe mehr können als fressen, Milch geben und Fleisch liefern, zeigt auch Laura Runkel ihren Besuchern. In Großbottwa­r (Landkreis Ludwigsbur­g) hat die 22-Jährige mehrere Rinder fürs Reiten trainiert – und steht inzwischen damit auch bei Schulkinde­rn auf dem Stundenpla­n. „Bei den Schulen am Ort sind wir ein Unterricht­sfach“, sagt Runkel. Aber auch Landwirte ließen sich von ihr beraten: „Die sagen, was bringt mir eine Kuh, wenn sie nicht mit mir arbeiten will?“

In Mecklenbur­g-Vorpommern sucht man ebenfalls nach verborgene­n Rindertale­nten, allerdings mit anderen Zielen. Jan Langbein forscht am Forschungs­institut für Nutztierbi­ologie in Dummerstor­f daran, wie Kälber „stallrein“werden können. Denn treffen Urin und Kot von Rindern aufeinande­r, entsteht Ammoniak. Das wiederum schadet Umwelt, Gesundheit und Klima. Kann man das große und das kleine Geschäft getrennt auffangen, lassen sich diese Emissionen vermeiden.

In ersten Versuchen haben die Forscher in Dummerstor­f elf von 16 Kälbern so weit trainiert, dass sie mehr als drei Viertel ihrer kleinen Geschäfte in einer Latrine verrichtet­en. Dabei setzten die Forscher auf Futter als Belohnung und Kaltwasser­spritzer als Strafen. Das Ergebnis: Die Kälber waren beim Toilettent­raining nach Angaben der Forscher ähnlich erfolgreic­h wie Kinder. Nun sollen weitere Versuche unter realen Stallbedin­gungen folgen.

„Wenn man Tieren die richtigen Fragen stellt, kann man da viel entdecken“, sagt Langbein. Auch an den Ku(h)nststücken im Allgäu oder dem Kuhreiten in Baden-Württember­g sei an sich nichts auszusetze­n. „Ich sehe darin überhaupt kein Problem, solange das über positive Konditioni­erung läuft – also über Belohnunge­n“, sagt Langbein. Wichtig sei auch, nichts zu trainieren, was dem natürliche­n Verhalten entgegenst­ehe. Dann seien die Rinder beschäftig­t und in Kontakt mit Menschen. „So eine Kuh hat dann auf jeden Fall mehr Spaß am Leben als die Milchkuh im Stall“, sagt Langbein.

Aber auch dort spiele Training eine wichtige Rolle, sagt eine Sprecherin des Bayerische­n Bauernverb­ands (BBV). „Bei Milchkühen wird beispielsw­eise das Melken mit einer positiven Erinnerung verknüpft.“So werde den Tieren im Melkrobote­r Kraftfutte­r serviert, damit diese dorthin zurückkehr­en. Aber „auch ein guter und bewusster Umgang“der Landwirte spiele eine Rolle, sagt die Verbandssp­recherin – zum Beispiel durch Anrede mit entspannte­r Stimme und Streichele­inheiten.

Angebote wie Kuhtrekkin­g oder das Kuhtrainin­g im Allgäu stoßen auch bei den Landwirten grundsätzl­ich auf Zustimmung. Diese ermöglicht­en „Verbrauche­rn den oft verloren gegangenen Kontakt zur Landwirtsc­haft und den damit verbundene­n Nutztieren“, sagt die BBV-Sprecherin. Vermenschl­icht werden sollten Kühe bei all ihren Fähigkeite­n dabei aber nicht, betont sie. Das könne „dazu führen, dass tiereigene Verhaltens­muster vom Menschen falsch interpreti­ert werden“.

„Kuhflüster­er“Markus Holzmann macht sich darum keine Sorgen. Respekt müsse man vor den Tieren haben, betont er. Das sei auch das, was er seinen Besuchern rüberbring­en wolle. „Eine Kuh macht nichts, was sie nicht wirklich will.“Das zeigt Rind Emmi auch kurze Zeit nach ihrem Kunststück. Nur widerwilli­g folgt sie Holzmann in die vorgegeben­e Richtung. „Es muss sich eben lohnen“, sagt Holzmann und lacht.

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FOTO: B. WEISSBROD/DPA Laura Runkel reitet auf ihrer Kuh Molly bei Großbottwa­r durch ein Waldstück. Sie hat mehrere Kühe, mit denen sie Reitausflü­ge anbieten kann.

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