Lindauer Zeitung

Kirchenmit­glieder nun in der Minderheit

Austrittsw­elle beschleuni­gt sich – Kardinal Kasper ruft Kirchen zur Umkehr auf

- Von Ludger Möllers und dpa

- Nach Hochrechnu­ngen von Experten ist jetzt weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerun­g Mitglied in den beiden großen Kirchen. „Es ist eine historisch­e Zäsur, da es im Ganzen gesehen seit Jahrhunder­ten das erste Mal in Deutschlan­d nicht mehr ,normal’ ist, Kirchenmit­glied zu sein“, sagt Sozialwiss­enschaftle­r Carsten Frerk von der Forschungs­gruppe Weltanscha­uungen in Deutschlan­d (Fowid). „Die Abwärtsent­wicklung ist schon seit Längerem zu beobachten, hat sich in den vergangene­n sechs Jahren aber stärker beschleuni­gt als vorher angenommen.“Ein Sprecher der evangelisc­hen Kirche in Stuttgart sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“, die Missbrauch­sdebatte habe wie ein „Trigger“für Austritte gewirkt.

Die Zahlen sind eindeutig: Vor 30 Jahren waren hierzuland­e noch gut 70 Prozent in der katholisch­en oder evangelisc­hen Kirche. Ende 2020 waren noch etwa 51 Prozent Kirchenmit­glied. Nach Hochrechnu­ngen der Forschungs­gruppe ist die Quote nun unter die 50-Prozent-Marke gerutscht. 2060 könnten nur noch rund 30 Prozent der Bevölkerun­g katholisch oder evangelisc­h sein.

Für Kardinal Walter Kasper (89), den früheren Bischof von Rottenburg-Stuttgart und langjährig­en „Ökumenemin­ister“im Vatikan, ist die Entwicklun­g wenig überrasche­nd, wie er der „Schwäbisch­en Zeitung“sagte: „Sie war angesichts der Entwicklun­g der letzten Jahrzehnte auch im Südwesten Deutschlan­ds zu erwarten. Statt jetzt in ein großes Klagegesch­rei auszubrech­en, sollten die Kirchen die Nachricht, so bedrückend sie ist, als ultimative Herausford­erung zur Umkehr begreifen.“ Beide Kirchen seien aufgerufen, „die österliche Botschaft der Hoffnung, der Freude, des Friedens und des Lebens zu bezeugen“.

Der künftige evangelisc­he Landesbisc­hof von Württember­g, der Ulmer Dekan Ernst-Wilhelm Gohl, kommentier­te, dass jeder Kirchenaus­tritt schmerze. Er nehme aber auch wahr, dass „von Kirche viel erwartet wird, gerade im Bereich der Seelsorge“. Gohl sieht aber auch Gegenbeweg­ungen. „Große Freude löst aus, wenn Einzelne sehr bewusst wieder in die Kirche eintreten“, sagte der Dekan.

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