Links, jung und weiblich
Nach Rücktritt der Familienministerin entscheidet grüne Quotenregelung über Nachfolge
- Eigentlich sollte es bei der Klausur des Grünen-Vorstands um Energiepolitik gehen. Doch der Rücktritt von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel wirbelte das Programm durcheinander. Jetzt müssen die Grünen-Chefs Ricarda Lang und Omid Nouripour rasch einen Ersatz finden. „Noch in dieser Woche“wolle die Partei eine Person nominieren, kündigte Lang an. Wer gilt als am aussichtsreichsten?
Die Schwere der Aufgabe hängt mit der komplizierten Parteiarithmetik zusammen. Bei den Spitzenposten müssen die Flügel (Realo oder Linke) Berücksichtigung finden sowie Ämter paritätisch besetzt sein. Da mit Annalena Baerbock, Robert Habeck und Cem Özdemir bereits drei Realos Ministerposten besetzen, sind die Linken mit der Umweltministerin Steffi Lemke in der Minderheit. Im besten Fall muss Spiegels Nachfolgerin also links, jung und weiblich sein.
Parität dürfte eine herausragende Rolle spielen. Grünen-Chefin Lang betonte zwar, dass die wichtigste Anforderung für das Amt Kompetenz sei. Zugleich habe die Partei zugesagt, die Posten paritätisch zu besetzen. Fraktionschefin Britta Haßelmann legte im „Deutschlandfunk“nach: Jeder wisse, „wie wichtig uns die Quotierung ist und wie wichtig, dass Frauen repräsentiert sind in Spitzenfunktionen“.
Hinzu kommt: Die Grünen haben zuletzt viele Glaubenssätze über Bord werfen müssen. Angefangen bei den Waffenlieferungen für die Ukraine bis hin zum Einkauf des klimaschädlichen Flüssiggases LNG. Sollten sie jetzt noch einen Mann ins Familienministerium hieven, könnte es ungemütlich für die Parteispitze werden.
Deshalb wird einer vermutlich wieder leer ausgehen: der Vorsitzende des Europa-Bundestagsausschusses, Anton Hofreiter. Der Linke war einst als Verkehrs- oder Landwirtschaftsminister gehandelt worden, musste aber zurückstecken. Ihm wurde ein Zugriffsrecht auf ein Ministeramt versprochen. Auch jetzt wird er sich in Verzicht üben müssen: weil er ein Mann ist und es ihm an Fachkompetenz mangelt. Als ausgewiesene Familienexpertin gilt auch Katharina Dröge nicht. Als Fraktionsvorsitzende muss die 37jährige vom linken Flügel zwar sattelfest in allen Themen sein, ihre Kompetenz liegt aber in der Wirtschaftspolitik. Ihr Name war am Dienstag als Nachfolgerin von Spiegel gehandelt worden. Zusammen mit der Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger und der Vize-Bundestagspräsidentin Katrin GöringEckardt. Letztgenannte sei eine „sichere Bank“, hieß es aus der Fraktion. Mit ihr könne man wenig falsch machen. Allerdings gehört GöringEckardt dem Realo-Flügel an.
Auch eine Besetzung des Postens aus den Ländern heraus gilt eher als unwahrscheinlich, hieß es aus der Fraktion. Es könnte lange dauern, bis eine Ministerin sich in Berlin eingewöhnt hätte. Zu lange, angesichts der großen familienpolitischen Herausforderungen, die anstehen.
Der Abgang von Anne Spiegel beschäftigt auch Baden-Württembergs Landesregierung. „Der Rücktritt war unvermeidlich, aber menschlich bitter“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Spiegels Parteifreund, am Dienstag in Stuttgart.
„Ich habe heute noch mal im Kabinett gesagt, das muss tatsächlich ein Anliegen von uns sein, dass wir Familie und Beruf vereinbaren können – auch in politischen Führungsämtern“, so Kretschmann weiter.
Darüber wolle er bei einem Kabinettsabend mit seinen Ministern vertiefter sprechen.
Auch Politiker in Spitzenpositionen könnten familiäre Schwierigkeiten haben – etwa mit Kindern, mit pflegebedürftigen Eltern, mit der Erkrankung von Partnern. Dann müsse es möglich sein, den Schwerpunkt für eine gewisse Zeit auf die Familie zu legen. „Das kann man organisieren. Auch wenn die Lage schwierig ist, muss das möglich sein. Jeder von uns kann in solch eine Situation kommen“, sagte Kretschmann und verwies auf seine eigene Situation vor einem guten Jahr, als bei seiner Frau Gerlinde Kretschmann Brustkrebs diagnostiziert worden war.