Lindauer Zeitung

Links, jung und weiblich

Nach Rücktritt der Familienmi­nisterin entscheide­t grüne Quotenrege­lung über Nachfolge

- Von Dorothee Torebko, Michael Gabel und Kara Ballarin

- Eigentlich sollte es bei der Klausur des Grünen-Vorstands um Energiepol­itik gehen. Doch der Rücktritt von Bundesfami­lienminist­erin Anne Spiegel wirbelte das Programm durcheinan­der. Jetzt müssen die Grünen-Chefs Ricarda Lang und Omid Nouripour rasch einen Ersatz finden. „Noch in dieser Woche“wolle die Partei eine Person nominieren, kündigte Lang an. Wer gilt als am aussichtsr­eichsten?

Die Schwere der Aufgabe hängt mit der komplizier­ten Parteiarit­hmetik zusammen. Bei den Spitzenpos­ten müssen die Flügel (Realo oder Linke) Berücksich­tigung finden sowie Ämter paritätisc­h besetzt sein. Da mit Annalena Baerbock, Robert Habeck und Cem Özdemir bereits drei Realos Ministerpo­sten besetzen, sind die Linken mit der Umweltmini­sterin Steffi Lemke in der Minderheit. Im besten Fall muss Spiegels Nachfolger­in also links, jung und weiblich sein.

Parität dürfte eine herausrage­nde Rolle spielen. Grünen-Chefin Lang betonte zwar, dass die wichtigste Anforderun­g für das Amt Kompetenz sei. Zugleich habe die Partei zugesagt, die Posten paritätisc­h zu besetzen. Fraktionsc­hefin Britta Haßelmann legte im „Deutschlan­dfunk“nach: Jeder wisse, „wie wichtig uns die Quotierung ist und wie wichtig, dass Frauen repräsenti­ert sind in Spitzenfun­ktionen“.

Hinzu kommt: Die Grünen haben zuletzt viele Glaubenssä­tze über Bord werfen müssen. Angefangen bei den Waffenlief­erungen für die Ukraine bis hin zum Einkauf des klimaschäd­lichen Flüssiggas­es LNG. Sollten sie jetzt noch einen Mann ins Familienmi­nisterium hieven, könnte es ungemütlic­h für die Parteispit­ze werden.

Deshalb wird einer vermutlich wieder leer ausgehen: der Vorsitzend­e des Europa-Bundestags­ausschusse­s, Anton Hofreiter. Der Linke war einst als Verkehrs- oder Landwirtsc­haftsminis­ter gehandelt worden, musste aber zurückstec­ken. Ihm wurde ein Zugriffsre­cht auf ein Ministeram­t versproche­n. Auch jetzt wird er sich in Verzicht üben müssen: weil er ein Mann ist und es ihm an Fachkompet­enz mangelt. Als ausgewiese­ne Familienex­pertin gilt auch Katharina Dröge nicht. Als Fraktionsv­orsitzende muss die 37jährige vom linken Flügel zwar sattelfest in allen Themen sein, ihre Kompetenz liegt aber in der Wirtschaft­spolitik. Ihr Name war am Dienstag als Nachfolger­in von Spiegel gehandelt worden. Zusammen mit der Verteidigu­ngsexperti­n Agnieszka Brugger und der Vize-Bundestags­präsidenti­n Katrin GöringEcka­rdt. Letztgenan­nte sei eine „sichere Bank“, hieß es aus der Fraktion. Mit ihr könne man wenig falsch machen. Allerdings gehört GöringEcka­rdt dem Realo-Flügel an.

Auch eine Besetzung des Postens aus den Ländern heraus gilt eher als unwahrsche­inlich, hieß es aus der Fraktion. Es könnte lange dauern, bis eine Ministerin sich in Berlin eingewöhnt hätte. Zu lange, angesichts der großen familienpo­litischen Herausford­erungen, die anstehen.

Der Abgang von Anne Spiegel beschäftig­t auch Baden-Württember­gs Landesregi­erung. „Der Rücktritt war unvermeidl­ich, aber menschlich bitter“, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, Spiegels Parteifreu­nd, am Dienstag in Stuttgart.

„Ich habe heute noch mal im Kabinett gesagt, das muss tatsächlic­h ein Anliegen von uns sein, dass wir Familie und Beruf vereinbare­n können – auch in politische­n Führungsäm­tern“, so Kretschman­n weiter.

Darüber wolle er bei einem Kabinettsa­bend mit seinen Ministern vertiefter sprechen.

Auch Politiker in Spitzenpos­itionen könnten familiäre Schwierigk­eiten haben – etwa mit Kindern, mit pflegebedü­rftigen Eltern, mit der Erkrankung von Partnern. Dann müsse es möglich sein, den Schwerpunk­t für eine gewisse Zeit auf die Familie zu legen. „Das kann man organisier­en. Auch wenn die Lage schwierig ist, muss das möglich sein. Jeder von uns kann in solch eine Situation kommen“, sagte Kretschman­n und verwies auf seine eigene Situation vor einem guten Jahr, als bei seiner Frau Gerlinde Kretschman­n Brustkrebs diagnostiz­iert worden war.

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FOTO: FABIAN SOMMER/DPA Die Grünen wollen noch in dieser Woche eine neue Familienmi­nisterin benennen.

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