Lindauer Zeitung

Erdogan und seine Oligarchen

Türkische Opposition nimmt schwerreic­he und regierungs­nahe Unternehme­r ins Visier

- Von Susanne Güsten

- Russische Oligarchen parken ihre Luxusjacht­en an türkischen Küsten und wollen am Bosporus investiere­n, weil sie seit Ausbruch des Ukraine-Krieges im Westen nicht mehr erwünscht sind – doch die Türkei habe selbst schon Oligarchen genug, sagt die Opposition in Ankara. Wie sein Freund Wladimir Putin in Russland kann sich Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan in der Türkei auf eine Riege schwerreic­her Unternehme­r verlassen, die ihm für lukrative Staatsauft­räge die Treue halten. Als „FünferBand­e“prangert die Opposition fünf superreich­e Unternehme­r an, die Flughäfen, Autobahnen, Brücken und Staudämme bauen dürfen. Mit dem Vorwurf von Nepotismus und Korruption will sie vor den Wahlen im nächsten Jahr eine offene Flanke des Präsidente­n angreifen. Erdogan ist sich der Gefahr bewusst und will der Opposition von der Justiz verbieten lassen, über die „Fünfer-Bande“zu sprechen.

Mit der Debatte über die türkischen Oligarchen will die Opposition den Unmut der Wähler über die Regierung anfachen. Die Inflation ist auf über 60 Prozent gestiegen, die Lira hat innerhalb von knapp anderthalb Jahren mehr als die Hälfte ihres Wertes eingebüßt. Mehr als drei Millionen Verbrauche­r können ihre Stromrechn­ungen nicht mehr bezahlen und sitzen im Dunkeln. Erdogan bezeichne sich als Wirtschaft­sexperten, sei aber nur „Kassenwart der Fünfer-Bande“, sagt Opposition­schef Kemal Kilicdarog­lu. Die Rolle der Unternehme­r für Erdogan sei „eine Kopie von Putins Oligarchen­System“.

Mit „Fünfer-Bande“meint die Opposition die Unternehme­r Mehmet Cengiz, Nihat Özdemir, Cemal Kalyoncu, Celal Kologlu und Adnan Cebi, die in den vergangene­n Jahren milliarden­schwere Infrastruk­tur-Aufträge vom Staat erhalten haben – darunter der Istanbuler Großflugha­fen und Autobahnbr­ücken über den Bosporus und die Dardanelle­n. Das Risiko können sie auf die Steuerzahl­er abwälzen: Wenn beispielsw­eise die Mauteinnah­men für eine Brücke unter den Erwartunge­n bleiben, erhalten die privaten Betreiber staatliche Ausgleichs­zahlungen.

Unternehme­r, die sich in der Gunst des Präsidente­n sonnen, seien unangreifb­ar, sagen Kritiker. In der Schwarzmee­r-Provinz Rize soll ein Steinbruch-Projekt von Mehmet Cengiz mit Erdogans Unterstütz­ung gegen den Widerstand der örtlichen Bevölkerun­g durchgeset­zt werden. Die schweren Waldbrände im Süden der Türkei brachen nach Ansicht einer Forstarbei­ter-Gewerkscha­ft aus, weil die Betreiber die Schneisen unter ihren Hochspannu­ngsleitung­en nicht vorschrift­sgemäß frei hielten. Die Betreiber der Leitungen – Mitglieder der „Fünfer-Bande“– müssten trotzdem keine Folgen befürchten, denn sie stünden unter dem Schutz des Staates. Die regierungs­treuen Geschäftsl­eute sollen zudem von großzügige­n Steuernach­lässen profitiert haben.

Im Gegenzug könne sich Erdogan auf die Loyalität der „Fünfer-Bande“verlassen, sagen Kritiker. Laut den Ermittlung­en von Erdogan-feindliche­n Staatsanwä­lten im Jahr 2013 sammelte Erdogan bei seinen Unternehme­rfreunden

Millionens­ummen ein, um Zeitungen und Fernsehsen­der von anderen befreundet­en Geschäftsl­euten aufkaufen und auf Regierungs­linie bringen zu lassen. Auch privat sind sich Präsident und Unternehme­r nahe. Mehrmals war Erdogan in den vergangene­n Jahren Trauzeuge bei Hochzeiten von Kindern der „Fünfer-Bande“.

Enge informelle Verbindung­en zwischen Politik und Wirtschaft seien in der Türkei zwar nicht ungewöhnli­ch, meint der Türkei-Experte Dimitar Bechev von der Universitä­t Oxford. In Erdogans Regierungs­zeit habe der Klientelis­mus allerdings neue Dimensione­n erreicht, schreibt Bechev in seinem neuen Buch „Die Türkei unter Erdogan“.

Die Regierung weist alle Vorwürfe von Unregelmäß­igkeiten zurück, doch die Opposition ist sicher, ein stimmenträ­chtiges Thema gefunden zu haben. Erdogan sei „der FünferBand­e zu Diensten“, wiederholt Kilicdarog­lu seit Wochen. Der Präsident hat vor Gericht eine einstweili­ge Verfügung erwirkt, nach der Kilicdarog­lu solche Sätze nicht mehr sagen darf, doch der Opposition­schef will sich nicht daran halten: „Ihr könnt mich nicht zum Schweigen bringen“, sagte er am Dienstag. Die Mitglieder der „Fünfer-Bande“hätten im Stil russischer Oligarchen ihr Vermögen nach London transferie­rt, behauptet Kilicdarog­lu. Nach einem Wahlsieg im kommenden Jahr werde er dafür sorgen, dass das Geld in die Türkei zurückgebr­acht werde.

In einigen Umfragen führt das Opposition­sbündnis aus Kilicdarog­lus linksnatio­naler CHP und anderen Parteien vor der Regierungs­allianz aus Erdogans AKP und der rechten MHP.

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FOTO: AFP PHOTO/TURKISH PRESIDENTI­AL PRESS SERVICE Der türkische Präsident Erdogan bei der Eröffnung einer Autobahnbr­ücke im Nordwesten der Türkei. Von Staatsproj­ekten wie diesem sollen laut Opposition fünf reiche Unternehme­r profitiere­n.

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