Kräfteverlagerung nach Osten
Ukraine-Krieg hat das Bedrohungsgefühl in Europa verschärft – Finnland und Schweden erwägen Nato-Beitritt
- Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine rückt etwas in Reichweite, vor dem Experten schon vor Jahren gewarnt haben: eine neue Konfrontation der Nato mit dem Riesenland im Osten. Nachdem Westeuropa jahrzehntelang davon ausgegangen war, dass die gegenseitige atomare Abschreckung als Sicherheitsgarantie genügt, setzt das Bündnis nun auf eine Stärkung konventioneller militärischer Mittel: Panzer, Flugzeuge, Schiffe, Truppen. Plötzlich rücken die osteuropäischen Nato-Mitglieder als neue Frontstaaten gegenüber Russland in den Fokus. Was bedeutet das für Europa?
Die Worte von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg lassen an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig: „Was wir sehen, ist eine neue Wirklichkeit, eine neue Normalität für Europa.“Er sprach sogar von einem Neustart, einer langfristigen Neuaufstellung der Nato. „Egal, wann und wie der Krieg in der Ukraine endet, er hat bereits jetzt Langzeitfolgen für unsere Sicherheit.“
Der angepeilte militärische Aufbau an den Ostgrenzen des Bündnisses basiert bisher auf dem Prinzip „Stolperdraht“. Es wurden relativ kleine Verbände im Baltikum oder auch in Polen stationiert, um die Entschlossenheit des Bündnisses zu demonstrieren, das Territorium aller Mitgliedstaaten zu verteidigen. Mit der neuen Strategie rückt die Nato davon ab. Jetzt geht es um den Aufbau von tatsächlichen militärischen Verbänden, um eine eventuelle Invasion nicht nur abzuschrecken, sondern tatsächlich verhindern zu können. „Wir müssen sicherstellen, dass wir weiterhin fähig sind, alle NatoAlliierten zu beschützen und zu verteidigen“, sagte Stoltenberg. Dafür sei eine „vollumfängliche Präsenz“an der Ostflanke notwendig.
Gegenwärtig rücken auch bisher neutrale Staaten wie Finnland oder Schweden an das Bündnis heran, die bisher zwar Partner, aber keine Mitglieder waren. Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin ist dabei auf einen ziemlich deutlichen Kurs für eine Mitgliedschaft eingeschwenkt. „Der Nato-Artikel 5 bietet eine umfassende Sicherheit. Die Nato hat auch gemeinsame Übungen und eine gemeinsame Verteidigungspolitik“,
erklärte sie mit Blick auf den sogenannten Beistandsparagrafen des Bündnisses. Er sieht vor, dass ein Angriff auf ein Mitglied als Angriff auf alle bewertet wird und eine
Vor dem Hintergrund des UkraineKriegs sind in Tschechien Spekulationen über eine mögliche dauerhafte US-Truppenpräsenz in dem NatoMitgliedstaat aufgekommen. Der Oppositionspolitiker und Ex-Ministerpräsident Andrej Babis forderte bereits ein Referendum vor einem solchen Schritt, wie die Zeitung „Lidove noviny“berichtete. entsprechende Reaktion nach sich zieht. Bis Mitte des Jahres soll das finnische Parlament über einen Antrag für eine Aufnahme entscheiden. Seit Kriegsbeginn hat sich die
Der 67-Jährige lehnte eine USMilitärbasis zugleich als unnötig ab und sprach von einem „sehr sensiblen Thema“. Beobachter rechnen damit, dass Babis im nächsten Jahr für das Präsidentenamt kandidieren wird. Das Verteidigungsministerium in Prag stellte klar, dass weder eine entsprechende Anfrage aus Washington noch ein konkreter Plan
Zustimmung für einen Nato-Beitritt verdoppelt, von 30 auf 60 Prozent der Bevölkerung.
Das Land hat eine 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Eine Aufnahme auf dem Tisch liege. Man habe aber Interesse an einem Abkommen über eine verstärkte Verteidigungskooperation mit den USA. Das werde Thema bei einem geplanten Treffen der Ministerin Jana Cernochova mit ihrem US-Kollegen Lloyd Austin sein. Vorbild für das Abkommen könnte ein jüngst abgeschlossener Vertrag der USA mit
Finnlands würde also die direkte Grenze von Russland und Nato in Europa verdreifachen. Bislang haben das Bündnis und Russland nur in den baltischen Staaten und Norwegen der Slowakei sein, der unter anderem den Ausbau von zwei Militärflugplätzen vorsieht. Tschechien ist seit März 1999 Mitglied der Nato. Vor mehr als fünfzehn Jahren sorgten Pläne für den Aufbau von Teilen eines neuen US-Raketenschutzschilds für Europa auf dem tschechischen Truppenübungsplatz Brdy für Protestkundgebungen. (dpa)
eine gemeinsame Grenze – und streng genommen auch im äußersten Osten, zwischen Russland und dem US-Bundesstaat Alaska.
Auch in Schweden, das über keine direkte Grenze mit Russland verfügt, wird gegenwärtig ein Nato-Beitritt diskutiert. Allerdings dürfte der sozialdemokratischen Regierung von Ministerpräsidentin Magdalena Andersson ein Schwenk schwerer fallen als den Finnen, weil ihre Partei noch im vergangenen Jahr einen Nato-Beitritt kategorisch ausgeschlossen hatte – und im Herbst Wahlen anstehen. Dennoch hat sie einen internen „sicherheitspolitischen Dialog“in Gang gesetzt, der auch die Gefahr durch Russland einschätzen soll.
In Russland werden diese Entwicklungen mit Argusaugen verfolgt. Zwar erklärte ein Kremlsprecher, dass eine Nato-Erweiterung um Finnland und Schweden keine „existenzielle Bedrohung“Russlands darstelle. Allerdings müsse sein Land in diesem Fall die Situation neu ausbalancieren und seine westliche Flanke stärker schützen.
In der deutschen Politik findet die neue Nato-Strategie zahlreiche Unterstützer. „Es ist klar, dass die NatoOstflanke gestärkt werden muss“, sagt Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Die Bedrohungslage für die Nato, Europa und Deutschland habe sich „massiv verschärft“, betont er. „Wir müssen unsere Abschreckung ausweiten.“
Das sieht man in Polen ganz ähnlich. Da in dem Land keine US-Atomwaffen zur Abschreckung stationiert sind, weitet es seine konventionelle Kraft deutlich aus. Erst kürzlich unterschrieb Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak einen Vertrag, der die Lieferung von 250 AbramsKampfpanzern aus den USA vorsieht. Das Land gilt als Vorzeigemitglied der Nato, schon seit Jahren erfüllt es das Zwei-Prozent-Ziel des Bündnisses. Angesichts des Krieges in der Ukraine plant die Regierung eine Aufstockung auf drei Prozent. Es verfügt über die größte Panzerstreitmacht der Nato: 1115 Kampfpanzer und rund 2000 Schützenpanzer.
Rufe aus Polen nach einer Stationierung von US-Nuklearwaffen auf polnischem Territorium lehnt der SPD-Politiker Schmid vorerst ab. „Ich wäre da vorsichtiger“, betont er.