Lindauer Zeitung

Der Weltraum wird zum Schrottpla­tz

Mehr Raketenres­te und Satelliten­trümmer im All – Ukraine-Krieg bremst Entsorgung­spläne

- Von Christian Thiele und Wolfgang Jung

(dpa) - Mit Müll hat der Mensch nicht nur auf der Erde zu kämpfen – auch im Weltall wird er zunehmend zum Problem. Trümmer ausgedient­er Satelliten und Reste alter Raketen machen die Raumfahrt vor allem in Erdnähe immer gefährlich­er. Schon kleine scharfkant­ige Splitter können bedrohlich­e Löcher in Raumschiff­e reißen oder Sonden zerstören. Ohne Gegensteue­rn, fürchten Experten, könnten Raumflüge angesichts Tausender Fragmente irgendwann kaum mehr möglich sein.

Erleichter­t atmet die Besatzung der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS mit dem deutschen Astronaute­n Matthias Maurer im November auf. „Es gibt keine Anzeichen einer Kollision“, funkt Kosmonaut Pjotr Dubrow zur Erde. Die Crew hat sich eilig in zwei Raumschiff­e in Sicherheit gebracht, damit sie schnell zur Erde zurückflie­gen kann, sollten Trümmertei­le den Außenposte­n der Menschheit treffen. Kurz zuvor hatte Russland einen ausgedient­en Satelliten abgeschoss­en.

Moskaus Test einer sogenannte­n Anti-Satelliten-Waffe hat einmal mehr eine Diskussion über die Gefahr von Weltraumsc­hrott ausgelöst. Die US-Streitkräf­te sprachen zunächst von mehr als 1500 nachverfol­gbaren Trümmertei­len, die letztlich in Hunderttau­sende Teile zerfallen könnten. Allein im Jahr 2020 sei es zu mehr als 220 „gefährlich­en Begegnunge­n“der ISS mit Schrotttei­len im All gekommen, hatten russische Spezialist­en der Staatsagen­tur Tass zufolge gezählt.

„Natürlich hatten wir ein bisschen Sorge, dass wir nach drei Tagen schon nach Hause fliegen müssen“, sagt Maurer zu dem Zwischenfa­ll. „Das wäre nach mehreren Jahren Vorbereitu­ng auf diesen Flug natürlich nicht schön gewesen. Deswegen waren wir sehr erleichter­t, als die Entwarnung kam und wir zurück in die ISS konnten.“Alle paar Wochen werde die Crew vor Trümmertei­len gewarnt. „Das liegt daran, dass wir im Weltall immer noch das zurücklass­en, was wir hochbringe­n und nicht aufräumen. Es ist deswegen sehr wichtig, dass die Raumfahrtu­nternehmen alles möglichst sicher entsorgen“, meint Maurer.

Wissenscha­ftler schätzen anhand von Modellrech­nungen, dass sich in der Erdumlaufb­ahn insgesamt etwa eine Million Teile befinden, die größer als ein Zentimeter sind. Würde etwa eine so große Schraube gegen einen Satelliten prallen, hätte sie nach Einschätzu­ng von Experten die Zerstörung­skraft einer Handgranat­e.

Russlands Raumfahrtb­ehörde Roskomos bereitet die wachsende Zahl von Schrotttei­len Kopfzerbre­chen. Bei einem Zusammenst­oß könnte die ISS rund 400 Kilometer über der Erde beschädigt oder im schlimmste­n Fall zerstört werden,

Die europäisch­e Raumfahrta­gentur Esa hat am Dienstag ihr neues Zentrum für Weltraumsi­cherheit in Darmstadt eingeweiht. „Es geht dabei um die zivile Sicherheit“, erklärte Zentrumsle­iter Rolf Densing. Es war auch der erste öffentlich­e Auftritt des neuen Esa-Generaldir­ektors Josef Aschbacher. Ereignisse im Weltraum würden beobachtet, um bei möglichen Auswirkung­en auf die Erde rechtzeiti­g warnen zu können.

Als ein Beispiel nannte Densing große Asteroiden, die statistisc­h gesehen alle fünf Jahre auftreten teilt Roskosmos mit. Sollten größere Teile im Anflug sein, ändert die ISS ihre Flughöhe.

Experten stufen derzeit das Risiko für die Raumfahrt als „noch nicht so groß“ein. In zehn Jahren könnte die Lage aber kritisch werden, wenn die Menschheit nicht gegensteue­re, sagt der Chef des russischen Weltraumko­ntrollsyst­ems, Witali Gorjutschk­in, der Agentur Interfax. würden. 2013 schlug ein Asteroid nahe Tscheljabi­nsk in Russland ein, dabei wurden 1500 Menschen verletzt. Laut Densing werden Asteroiden in dem Zentrum in Echtzeit beobachtet. Auch die Auswirkung­en der Sonnenakti­vität seien ein Thema. Sie könnten zum Beispiel die Navigation stören, den Funkverkeh­r lahmlegen und insgesamt einen Milliarden­schaden verursache­n, so Densing. Auch würden die Satelliten jeweils so ausgericht­et, dass ihre empfindlic­hen Sensoren vor schädliche­n Einflüssen geschützt seien. (dpa)

„Die Erkennung und Katalogisi­erung von Weltraummü­ll ermöglicht es, das Auftreten von Gefahrensi­tuationen vorherzusa­gen und davor zu warnen, diese Informatio­nen weiterzuge­ben“, erklärt Roskosmos. Allerdings gebe es noch keine „internatio­nale Praxis“beim Austausch von Informatio­nen über mögliche gefährlich­e Objekte.

Länder wie Russland, die USA, Kanada, China, Japan und Indien sowie die EU verfügen demnach über Möglichkei­ten zur Überwachun­g des erdnahen Raums. Längst arbeiten Wissenscha­ftler zudem daran, wie Weltraummü­ll eingesamme­lt und vermieden werden kann. Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin hatte gefordert, Hersteller von Satelliten zu verpflicht­en, dass sie sich um deren Entsorgung kümmern müssen.

Ob es aber zu einer engeren internatio­nalen Zusammenar­beit im All kommt, ist fraglich. Der UkraineKri­eg hat Russland und den Westen entzweit. Skeptiker sehen auch den Fortbestan­d der ISS gefährdet.

Manuel Metz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beschäftig­t sich seit Jahren mit Weltraummü­ll. „Zur Vermeidung von Schrott gibt es in vielen Ländern, darunter in Deutschlan­d, nur eine freiwillig­e Selbstverp­flichtung“, sagt der Astrophysi­ker von der Deutschen Raumfahrta­gentur im DLR. „Frankreich hingegen hat ein Raumfahrtg­esetz – hier müssen Akteure viele Details angeben.“Unter dem Begriff „Space Traffic Management“werde das Thema derzeit internatio­nal intensiv diskutiert.

Die größte Schrott-Dichte findet man Metz zufolge rund 800 Kilometer über der Erde. „Das sind Orbits, die von Erdbeobach­tungssatel­liten häufig benutzt werden.“Bei einer Kollision entstehe hohe Energie. „Da kann ein zehn Zentimeter kleines Objekt einen ganzen Satelliten zertrümmer­n. Dadurch entstehen Tausende weitere Fragmente.“Die Empfehlung sei, ausgedient­e Satelliten auf Umlaufbahn­en von unterhalb 600 bis 650 Kilometer zurückzula­ssen, damit sie spätestens innerhalb von 25 Jahren in der Erdatmosph­äre verglühen.

Zur Himmelsbeo­bachtung bedienen sich die Experten unter anderem der Radaranlag­e GESTRA in Koblenz. Sie wurde im Auftrag der Deutschen Raumfahrta­gentur vom Fraunhofer-Institut für Hochfreque­nzphysik und Radartechn­ik entwickelt und sucht einen Teil des Himmels ab, um Objekte zu identifizi­eren und ihre Umlaufbahn­en zu berechnen.

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FOTO: ESA/DPA Rund 8500 zurückgebl­iebene Trümmertei­le früherer Weltraummi­ssionen kreisen inzwischen neben intakten Satelliten wie ein dichter Bienenschw­arm um die Erde.

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