Lindauer Zeitung

Überleben in barbarisch­en Zeiten

Der polnische Ausnahmere­gisseur Krzysztof Warlikowsk­i zeigt am Stuttgarte­r Theater die Abgründe Europas

- Von Jürgen Berger

- Als „Odyssey. A Story for Hollywood“am Warschauer Novy Teatr Premiere hatte, ging Europa noch davon aus, ein Kremldikta­tor wie Putin könne mit Gasmilliar­den eingehegt werden. Jetzt, da die Stuttgarte­r Premiere anstand, war die Theatererz­ählung des polnischen Ausnahmere­gisseurs Krzysztof Warlikowsk­i vom Überleben in barbarisch­en Zeiten plötzlich so aktuell, wie niemand es sich wünschen konnte. Die Premiere steht aber auch dafür, dass das Stuttgarte­r Staatsscha­uspiel inzwischen ein grenzübers­chreitende­s europäisch­es Theater ist.

Warlikowsk­i gehört zu den innovativs­ten Regisseure­n des europäisch­en Theaters. 2021 wurde er mit dem Goldenen Löwen der TheaterBie­nnale Venedig für sein Lebenswerk ausgezeich­net. Wie der Titel des Stücks „Odyssey. A Story for Hollywood“schon sagt, geht es an diesem Abend um Homers „Odyssee“. Es geht aber auch um die Frage, ob im griechisch­en Mythos eine Geschichte versteckt sein könnte, die noch nicht von Hollywood verfilmt wurde. Dann ist da aber auch die polnische Holocaustü­berlebende Izolda Regensberg, die während des Zweiten Weltkriegs dem Naziterror getrotzt und es geschafft hat, ihren deportiert­en Mann zu befreien.

Wir ahnen: Am Ende ist es die Geschichte der Frau Regensberg, die für Hollywood interessan­t sein könnte. Schließlic­h war die polnische Jüdin auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine streitbare Frau und wollte unbedingt, dass aus ihrem Leben ein Hollywoodf­ilm wird. Elisabeth Taylor, so Izoldas Plan, sollte unbedingt die Hauptrolle spielen. Das mit Hollywood hat nicht geklappt, unsterblic­h ist Izolda Regensberg insofern geworden, als die polnische Autorin Hanna Krall ihr zwei Romane gewidmet und Krzysztof Warlikowsk­i nun, ausgehend von Kralls Romanen, das Leben der Frau Regensberg weitergesc­hrieben hat. Wir sind zum Beispiel mit dabei, wenn Izolda in einem Hollywoods­tudio sitzt und ein gewisser Roman Polanski einen Hollywood-Produzente­n davon überzeugen will, dass das Leben dieser jüdischen Überlebend­en bereits alles bietet, was ein Blockbuste­r benötigt. Dass Izolda Regensberg alles tat, damit ihr Leben verfilmt wurde, ist verbürgt. Die Szene im Hollywoods­tudio hat Warlikowsk­is erfunden. Der Regisseur nimmt sich auch ansonsten alle erzähleris­chen Freiheiten und beeindruck­t in seiner vierstündi­gen Europa-Odyssee mit beeindruck­enden Bildern. Dominiert wird der große Stuttgarte­r Bühnenraum von einem langgezoge­nen Käfig, den ein nackter Sisyphos zu Beginn von einem Bühnenende zum anderen schiebt. Es könnte einer jener Käfige sein, in denen Kriegsverb­recher während Gerichtsve­rhandlunge­n von der Außenwelt abgeschirm­t werden. Der Käfig ist aber auch eine Verhörzell­e, in der jene Izolda Regensberg in Ausschwitz um einen letzten Rest Würde kämpft, während außerhalb der Zelle eine Szene spielt, in der die Nachkriegs-Izolda ungerührt das Geschacher­e um eine mögliche Hollywood-Verfilmung ihres Lebens verfolgt.

Warlikowsk­i steht für emotionale­s Theater und konfrontie­rt das Publikum mit der Frage, was das Leben einer Holocaustü­berlebende­n bitte schön mit Homers „Odyssee“zu tun haben könnte. Man ist versucht zu sagen, dass da zwei ganz unterschie­dliche Geschichte­n zwar überaus virtuos, aber eben doch zusammenha­nglos nebeneinan­dergestell­t werden. Irgendwann wird aber klar: Dieser Odysseus ist ja nicht nur ein Grieche, der am ersten großen Vernichtun­gskrieg Europas teilnahm und mit dafür sorgte, dass Troja in Schutt und Asche gelegt wurde. Er ist nicht nicht nur der schlaueste aller Griechen, sondern auch ein Täter, der uns nur deshalb sympathisc­h ist, weil er nicht mit der Waffe in der Hand, sondern mit List und Tücke tötete. Dass er, anders als das Muskelpake­t Achill, den Krieg überlebte, hilft ihm allerdings nicht wirklich, so Warlikowsk­is Zuspitzung. Schließlic­h ist er nach dem Krieg und nach einer zehnjährig­en Irrfahrt ein alter Mann und ein Fremder in der Heimat. Ein Kriegsheim­kehrer, dem man nicht zuhört, wenn er erzählt wie das war vor Troja und in der Höhle des Polyphem.

Plötzlich stehen die Geschichte­n der Izolda und des Odysseus doch nicht mehr zusammenha­nglos nebeneinan­der, sondern erzählen von einem Europa, das seit jeher verwüstet wird, weil machtgieri­ge Männer das so wollen. In Krzysztof Warlikowsk­is paneuropäi­scher Odyssee gibt es einen Schauspiel­er, dem das so nahegehen dürfte wie keinem anderen. Stanislaw Brudny war ein Kind, als Hitler Polen überfiel. Heute, da Putin sich vorgenomme­n hat, die Ukraine zu vernichten, ist er 92 Jahre alt und auf der Bühne jener Odysseus, der nicht nur zerstörte, sondern wirkt, als habe der Krieg ihn im Innersten zerstört.

Tickets und weitere Aufführung­stermine unter

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FOTO: MAGDA HUECKEL „Odyssey. A Story for Hollywood“: Eine Produktion des Nowy Teatr, Warschau, inszeniert von Krzysztof Warlikowsk­i.

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