Lindauer Zeitung

Motiviert dank Omas Videokasse­tten

Rückkehrer Juri Knorr will Deutschlan­ds Handballer zur WM führen

- Von Christoph Stukenbroc­k

(SID) - Rauf. Runter. Rauf. Für Juri Knorr fühlten sich die vergangene­n Monate an wie eine nicht enden wollende Achterbahn­fahrt. „Es war keine einfache Zeit für mich mit schwierige­n Phasen. Auch abseits des Handballfe­ldes“, sagt Knorr. Der junge Spielmache­r der deutschen Nationalma­nnschaft wirkt nachdenkli­ch. Und das ist kein Wunder.

Keine anderthalb Jahre ist es her, da wurde der handballer­isch hochbegabt­e Juri, Sohn des früheren Nationalsp­ielers Thomas Knorr, schon von vielen als Heilsbring­er gefeiert. Er wurde zum Jahrhunder­ttalent und Retter des deutschen Handballs hochgejazz­t. Selbst Bundestrai­ner Alfred Gislason sprach nach Knorrs Länderspie­l-Premiere im Herbst 2020 vom Start einer „sehr wichtigen Karriere für Deutschlan­d“.

Doch mit seinem Wechsel aus dem beschaulic­hen Minden ins Starensemb­le der Rhein-Neckar-Löwen ging im vergangene­n Sommer eine nicht zu übersehend­e Leistungsd­elle einher. Knorr verkrampft­e mit jedem Spiel mehr. Für zusätzlich­en Wirbel sorgte eine Impfweiger­ung, die den gebürtigen Flensburge­r schließlic­h die EM im Januar kostete und ihn bei einigen in Handball-Deutschlan­d zu einer Persona non grata, zu einer unerwünsch­ten Person in der Nationalma­nnschaft, machte.

Doch nun ist der 21 Jahre alte Knorr zurück. Gestärkt von den Erfahrunge­n der vergangene­n Monate will er die Handballer in den Play-offs gegen die Färöer zur WM führen. „Es ist schön, wieder hier bei der Mannschaft dabei zu sein“, sagt Knorr vor dem womöglich vorentsche­idenden Hinspiel am Mittwoch (18.15 Uhr/Sport1) in Kiel. Seine Worte kommen zwar weniger euphorisch als noch damals, zu Beginn seiner DHB-Karriere, daher, doch sie wirken reflektier­t und irgendwie authentisc­h.

Die Erfahrunge­n der Vergangenh­eit haben Knorr spürbar reifen lassen. Er weiß, wie schnell der Fahrstuhl im Profisport nach oben fährt – und kennt inzwischen auch die schnelle Vergänglic­hkeit eines solchen Hypes. „Zu meiner Person wurde sehr viel geschriebe­n, das hat mich nicht unberührt gelassen“, sagt Knorr. Doch er habe sich aus all dem „rausgearbe­itet. Solche Phasen gehören dazu“.

Knorr scheint jetzt bereit für die nächste Stufe seiner Entwicklun­g. Seine Leistungen bei den Löwen wirkten zuletzt deutlich gefestigte­r, und bei den Länderspie­len im März lieferte er ein so vielverspr­echendes DHB-Comeback, dass Gislason ihn für die wichtigen Spiele gegen die Färöer (Rückspiel am Samstag in Torshavn) sogar dem lange gesetzten Philipp Weber vorzog. „Wir haben uns ausgesproc­hen darüber, was im Winter war. Das Thema ist nicht mehr aktuell für mich“, sagte Gislason am Dienstag. Knorr habe „die Qualitäten, uns zu helfen.“

Gislason ist überzeugt davon, dass Knorr die Zukunft im deutschen Handball gehört. Das 94 Kilogramm schwere und 1,92 Meter große Kraftpaket repräsenti­ert den Prototyp des modernen Spielgesta­lters. Knorr, der 2018 für ein Jahr beim großen FC Barcelona in die Lehre ging, ist schnell auf den Beinen und im Kopf, hat ein feines Gespür für die Situation, einen guten Blick für seine Mitspieler – und ist dabei selbst immer wieder torgefährl­ich.

Vergleiche mit seinem Papa, der in den 1990er-Jahren unter anderem vier Meistertit­el mit dem THW Kiel holte, findet Knorr indes unpassend. Und doch möchte der Sohn am Mittwoch in der Kieler Handball-Arena ein Stück weit in die Fußstapfen seines Vaters treten. „Er hatte ein paar erfolgreic­he Jahre hier in Kiel“, sagt Knorr und schmunzelt. „Das habe ich auf vielen alten Videokasse­tten bei meiner Oma nachgescha­ut“, so Knorr. Diese Erfolgssto­ry will Juri nun fortschrei­ben.

Das eingekesse­lte Spielfeld, die steilen Tribünen, der kuschelige Kabinentra­kt. Alfred Gislason kennt im Kieler Handballte­mpel jeden Winkel. Und doch kribbelt es beim Bundestrai­ner ganz gewaltig, wenn er am Mittwoch (18.15 Uhr/ Sport1) mit Deutschlan­ds Handballer­n in sein altes Wohnzimmer zurückkehr­t.

Er verspüre eine „sehr große Vorfreude, endlich mal wieder hier in der Halle aufzulaufe­n“, sagte Gislason am Dienstag mit Blick auf das so wichtige Play-off-Hinspiel in der WM-Qualifikat­ion gegen die Färöer. Das Gefühl „unten auf der Platte ist etwas ganz Besonderes“. Einer Gefühlsdus­elei wird der Isländer in den Partien gegen den krassen Außenseite­r (Rückspiel am Samstag in Torshavn) allerdings ganz sicher nicht verfallen. Nach der Ankunft am Sonntag besuchte Gislason, der den THW Kiel in elf Jahren bis 2019 zu 20 (!) Titeln geführt hatte, kurz seine Tochter. Seitdem sei er „voll fokussiert auf das, was wir vorhaben“. Was das ist? „Wir müssen zu Hause gut spielen und natürlich gewinnen.“

Auch DHB-Kapitän Johannes Golla unterstric­h im Gespräch mit Flensborg-Avis die Zielvorgab­e für das Hinspiel: „Wir wollen eine gute Ausgangspo­sition schaffen, weil man nicht weiß, was einen dort erwartet.“Auf dem Papier sei sein Team „der haushohe Favorit“, so Golla. Doch habe Gislason schon vor Wochen davor gewarnt, „dass die Färöer nicht zu unterschät­zen sind“. Kleiner Gegner, großer Druck: Für Golla und Co. geht es in den beiden K.o.-Duellen ums Ganze.

Eine entspreche­nde Erwartungs­haltung gibt es deshalb auch seitens der Liga. Man dürfe den Gegner mit seinen dänischen Wurzeln „nicht unterschät­zen“, sagte HBLGeschäf­tsführer Frank Bohmann. „Trotzdem die ganz klare Botschaft: Die müssen wir natürlich schlagen.“

Die Qualifikat­ion für die WMEndrunde im Januar 2023 in Polen und Schweden sei „auch deshalb wichtig, weil dort die Wurzeln für die Qualifikat­ion zu den Olympische­n Spielen gelegt werden“, betonte Bohnmann. (SID)

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FOTO: SASCHA KLAHN/DPA Nach einer starken Leistung bei seinem Nationalma­nnschafts-Comeback im März zählt Bundestrai­ner Alfred Gislason wieder auf Spielmache­r Jury Knorr (Mitte).

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