Lindauer Zeitung

Das Glück des Boris Johnson

Warum der britische Premier trotz seines Rechtsbruc­hs im Amt bleiben kann

- Von Sebastian Borger

- Die britische Regierungs­zentrale in der Downing Street Nummer 10 haben schon viele Taugenicht­se, Rowdys und halbseiden­e Gestalten bewohnt. Keinem seiner 51 Vorgänger und schon gar nicht seinen Vorgängeri­nnen Margaret Thatcher und Theresa May aber ist widerfahre­n, was Premier Boris Johnson am Dienstag passierte: Wegen eines Rechtsbruc­hs, nämlich einem Verstoß gegen geltende Corona-Regeln, stellte ihm die Londoner Kriminalpo­lizei einen Zahlungsbe­fehl zu.

Er habe seine Strafe (100 Pfund gleich 120 Euro) bezahlt und entschuldi­ge sich „demütig“, teilte der Regierungs­chef mit. Rücktritts­forderunge­n beantworte­te Johnson vornehm, er fühle „ein umso größeres Pflichtgef­ühl“, seine Aufgabe weiterzufü­hren.

Fünf Faktoren sprechen dafür, dass der 57-Jährige tatsächlic­h – jedenfalls vorläufig – im Amt bleiben kann: der Anlass der Strafe; der Zeitpunkt der Strafe; die innenpolit­ische Situation; der russische Krieg gegen die Ukraine; der Mangel an glaubwürdi­gen Alternativ­en.

Der Anlass der Strafe war eine Feier zu Johnsons 56. Geburtstag am 19. Juni 2020: Im Konferenzs­aal der Downing Street warteten seine Gattin Carrie sowie zwei Dutzend Mitarbeite­r auf den Premier, um „Happy Birthday“zu singen. Auch Finanzmini­ster Rishi Sunak stieß dazu.

Johnson beteuerte am Dienstag, die ganze Angelegenh­eit habe neun Minuten gedauert – dennoch war sie ein klarer Verstoß gegen geltendes Recht. Immerhin dürfte diese Lockdown-Party unter den insgesamt zwölf von der Kripo untersucht­en Zwischenfä­llen zu den milderen Varianten gehören. Genützt hat Johnson zudem, dass auch der Finanzmini­ster eine Zahlungsau­fforderung erhielt – bei einem gemeinsame­n Rücktritt hätte das Land auf einen Schlag die zwei wichtigste­n Führungspe­rsonen verloren.

Ebenso hilfreich für den Premier war der Zeitpunkt der Strafe. Das Land befindet sich in der Osterpause, das Unterhaus tritt erst am Dienstag wieder zusammen. Die Pandemie ist aus den Schlagzeil­en verschwund­en. Fast scheint es, als wolle die Bevölkerun­g nicht mehr an die Lockdowns erinnert werden, zumal im Nachhinein viele die damals geltenden Regeln für übertriebe­n halten.

Die innenpolit­ische Situation tut ihr Übriges: Drei Wochen vor den Kommunalwa­hlen will kaum ein Konservati­ver die Einheit der Partei gefährden. Die frühere schottisch­e Tory-Vorsitzend­e Ruth Davidson sowie der unbekannte Hinterbänk­ler Nigel Mills blieben einsame Rufer nach personelle­n Konsequenz­en, wenn sie auch Unterstütz­ung durch konservati­ve Publiziste­n wie Lord Danny Finkelstei­n erhielten. Dass umgekehrt Labour-Chef Keir Starmer und andere wichtige Opposition­spolitiker erneut Johnsons Rücktritt fordern, wirkt wie WahlkampfG­etümmel.

Russlands Angriffskr­ieg gegen die Ukraine hat Johnsons Image verändert: Aus dem verstrubbe­lten Durchwurst­ler ist ein wohlgekämm­ter Staatsmann geworden, der beinahe täglich mit seinem Freund Volodymyr Selenskyj telefonier­t und diesen am vergangene­n Wochenende auch in Kiew besuchte. Mitten im Krieg wechsele man nicht den Premiermin­ister, argumentie­ren Johnsons Verteidige­r. Dabei wurden sowohl im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg die Regierungs­chefs gestürzt.

Für die konservati­ven Unterhaus-Abgeordnet­en, die über Johnsons Verbleib im Amt entscheide­n, dürfte der Mangel an glaubwürdi­gen Alternativ­en schwer wiegen. Finanzmann Sunak ist durch die eklatante Steuerverm­eidung seiner millionens­chweren Gattin beschädigt, Außenminis­terin Liz Truss macht allzu aggressiv Werbung in eigener Sache, der einstige Brexit-Vorkämpfer Michael Gove gilt als brillant, aber unzuverläs­sig.

Johnson bleibt also auf absehbare Zeit in der Downing Street, mit zwei Einschränk­ungen: Zum einen könnten weitere der insgesamt zwölf untersucht­en Lockdown-Partys zu Geldstrafe­n gegen den Premier führen, was wohl die Bewertung durch die Öffentlich­keit verändern würde. Zum anderen stehen die Kommunalwa­hlen drohend am Horizont. Sollte der einstige Brexit-Marktschre­ier den Konservati­ven statt schöner Siege eine saftige Niederlage bescheren, wäre es ganz schnell vorbei mit seiner Amtszeit.

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Boris Churchill ist beschäftig­t
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