Lindauer Zeitung

Steinmeier darf nicht, Scholz will nicht

Unmut nach Selenskyjs Ablehnung von Ukraine-Reise des Bundespräs­identen

- Von Ellen Hasenkamp, Michael Gabel und Claudia Kling

- Die Bundesregi­erung hat es offengelas­sen, ob Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) demnächst nach Kiew reisen wird. Man habe die Einladung der ukrainisch­en Regierung registrier­t, sagte ein Regierungs­sprecher am Mittwoch in Berlin. Über die Reisen des Kanzlers werde man aber „erst dann informiere­n, wenn sie anstehen“.

Am Tag zuvor hatte die Kiewer Regierung einen Besuch von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier mit Hinweis auf dessen enge Beziehunge­n zu Russland in der Vergangenh­eit abgelehnt. Erwünscht sei aber, dass Kanzler Scholz baldmöglic­hst die ukrainisch­e Hauptstadt besuche.

Nach der Ausladung des Bundespräs­identen sehen manche die Beziehunge­n Deutschlan­ds zur Ukraine mitten im russischen Angriffskr­ieg schwer belastet. SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich kommentier­te: „Ich erwarte, dass sich ukrainisch­e Repräsenta­nten an ein Mindestmaß diplomatis­cher Gepflogenh­eiten halten und sich nicht ungebührli­ch in die Innenpolit­ik unseres Landes einmischen.“

Der stellvertr­etende FDP-Vorsitzend­e Wolfgang Kubicki betonte, er habe Verständni­s für die schwierige Situation, in der sich das Land befinde. „Aber alles hat auch Grenzen“, sagte er. Eine Reise von Scholz unter diesen Umständen halte er für unwahrsche­inlich. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kanzler einer von der FDP mitgetrage­nen Regierung in ein Land reist, das das Staatsober­haupt unseres Landes zur unerwünsch­ten Person erklärt.“

Kubickis Parteifreu­ndin MarieAgnes Strack-Zimmermann äußerte ebenfalls Unverständ­nis. „Es geht gar nicht, den Bundespräs­identen auszuladen“, sagte die Verteidigu­ngsexperti­n, die selbst gerade von einer Reise nach Kiew zurückgeke­hrt war. „Das ist nicht nur ungeschick­t, das ist unfreundli­ch. Das muss entspreche­nd geklärt werden.“

Unmittelba­r nach der Absage, die Steinmeier bei seinem Besuch in Warschau erreichte, hatte der Bundespräs­ident noch von der Residenz des deutschen Botschafte­rs in Polen aus mit Kanzler Scholz telefonier­t. Der gehörte zu den wenigen, die im Vorfeld in die streng geheimen Reiseplanu­ngen eingeweiht gewesen waren.

Eigentlich hätte, so die Hoffnung, die Visite des Bundespräs­identen auch Druck von Scholz nehmen sollen. Denn aus Kiew, aber auch aus dem Inland kamen in den vergangene­n Wochen nahezu unablässig Forderunge­n, der Kanzler möge selbst in die Hauptstadt des kriegsbela­gerten Landes fahren. Scholz selbst gilt aber nicht unbedingt als Freund derartiger Symbolpoli­tik, zumal sich in Kiew umso mehr die Frage gestellt hätte, warum Deutschlan­d noch immer Gas aus Russland bezieht und nicht längst Panzer an die Ukraine liefert. Scholz’ Bereitscha­ft, nach diesem Affront nach Kiew zu reisen, dürfte, vorsichtig formuliert, nun nicht gestiegen sein.

Verständni­s für die Entscheidu­ng des ukrainisch­en Präsidente­n äußerte der außenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Jürgen Hardt. Steinmeier habe die Erdgaspipe­line Nord Stream 1 „mit möglich gemacht“, weshalb er in der Ukraine sehr kritisch gesehen werde. Hardt forderte Scholz auf, umgehend mit dem ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj zu telefonier­en, um den entstanden­en Schaden zu begrenzen.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA In Kiew derzeit nicht willkommen: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier.

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