Steinmeier darf nicht, Scholz will nicht
Unmut nach Selenskyjs Ablehnung von Ukraine-Reise des Bundespräsidenten
- Die Bundesregierung hat es offengelassen, ob Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) demnächst nach Kiew reisen wird. Man habe die Einladung der ukrainischen Regierung registriert, sagte ein Regierungssprecher am Mittwoch in Berlin. Über die Reisen des Kanzlers werde man aber „erst dann informieren, wenn sie anstehen“.
Am Tag zuvor hatte die Kiewer Regierung einen Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Hinweis auf dessen enge Beziehungen zu Russland in der Vergangenheit abgelehnt. Erwünscht sei aber, dass Kanzler Scholz baldmöglichst die ukrainische Hauptstadt besuche.
Nach der Ausladung des Bundespräsidenten sehen manche die Beziehungen Deutschlands zur Ukraine mitten im russischen Angriffskrieg schwer belastet. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kommentierte: „Ich erwarte, dass sich ukrainische Repräsentanten an ein Mindestmaß diplomatischer Gepflogenheiten halten und sich nicht ungebührlich in die Innenpolitik unseres Landes einmischen.“
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki betonte, er habe Verständnis für die schwierige Situation, in der sich das Land befinde. „Aber alles hat auch Grenzen“, sagte er. Eine Reise von Scholz unter diesen Umständen halte er für unwahrscheinlich. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kanzler einer von der FDP mitgetragenen Regierung in ein Land reist, das das Staatsoberhaupt unseres Landes zur unerwünschten Person erklärt.“
Kubickis Parteifreundin MarieAgnes Strack-Zimmermann äußerte ebenfalls Unverständnis. „Es geht gar nicht, den Bundespräsidenten auszuladen“, sagte die Verteidigungsexpertin, die selbst gerade von einer Reise nach Kiew zurückgekehrt war. „Das ist nicht nur ungeschickt, das ist unfreundlich. Das muss entsprechend geklärt werden.“
Unmittelbar nach der Absage, die Steinmeier bei seinem Besuch in Warschau erreichte, hatte der Bundespräsident noch von der Residenz des deutschen Botschafters in Polen aus mit Kanzler Scholz telefoniert. Der gehörte zu den wenigen, die im Vorfeld in die streng geheimen Reiseplanungen eingeweiht gewesen waren.
Eigentlich hätte, so die Hoffnung, die Visite des Bundespräsidenten auch Druck von Scholz nehmen sollen. Denn aus Kiew, aber auch aus dem Inland kamen in den vergangenen Wochen nahezu unablässig Forderungen, der Kanzler möge selbst in die Hauptstadt des kriegsbelagerten Landes fahren. Scholz selbst gilt aber nicht unbedingt als Freund derartiger Symbolpolitik, zumal sich in Kiew umso mehr die Frage gestellt hätte, warum Deutschland noch immer Gas aus Russland bezieht und nicht längst Panzer an die Ukraine liefert. Scholz’ Bereitschaft, nach diesem Affront nach Kiew zu reisen, dürfte, vorsichtig formuliert, nun nicht gestiegen sein.
Verständnis für die Entscheidung des ukrainischen Präsidenten äußerte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt. Steinmeier habe die Erdgaspipeline Nord Stream 1 „mit möglich gemacht“, weshalb er in der Ukraine sehr kritisch gesehen werde. Hardt forderte Scholz auf, umgehend mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu telefonieren, um den entstandenen Schaden zu begrenzen.